Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 23.04.2010

Sachsen Sumpf: Justiz nimmt Presse ins Visier

Zwei Leipziger Journalisten stehen vor Gericht wegen Verleumdung
 
Dresden. In Dresden stehen seit einigen Tagen zwei Leipziger Journalisten vor Gericht, als späte Folge jener Affäre, die als Sachsen-Sumpf für Schlagzeilen gesorgt hat. In dem Verfahren am Amtsgericht geht es um den Vorwurf der Verleumdung - und um die Frage, ob das Vorgehen der Justiz die Pressefreiheit einschränkt.

Als vor drei Jahren Berichte über mögliche kriminelle Netzwerke und Geheimakten des Verfassungsschutzes die Runde machten, war die Aufregung enorm. Innenexperten sondierten umgehend die Lage, und auch die Politik reagierte sofort. Landtagsabgeordnete quer durch fast alle Fraktionen forderten Aufklärung. Schließlich waren die Vorwürfe gravierend: Die Tausende Blatt Papier waren gefüllt mit einer wilden Melange aus Ermittlungsergebnissen und Gerüchten - von dubiosen Immobiliendeals in Leipzig über Kindesmissbrauch bis hin zu verwickelten Justiz- und Polizeibeamten.

Mittlerweile ist die Affäre abmoderiert. Die Staatsanwaltschaft hat die Vorwürfe für substanzlos erklärt, die Akten seien das Ergebnis übereifriger Schlapphüte und Ermittler. Entsprechend sind die Verfahren eingestellt. Dafür geht die Staatsanwaltschaft jetzt gegen die Rechercheure vor, vor allem gegen die freien Journalisten Arndt Ginzel und Thomas Datt aus Leipzig. Die hatten ehemalige Zwangsprostituierte aus dem Leipziger Kinderbordell Jasmin aufgesucht und ihre Recherche-Ergebnisse Anfang 2008 unter anderem als Co-Autoren im Nachrichtenmagazin Spiegel veröffentlicht. Tenor: Ranghohe Juristen, mittlerweile pensionierte Richter, seien in den frühen 1990-er Jahren Freier im Jasmin gewesen.

Hendrik Zörner, Sprecher beim Deutschen Journalistenverband: "Es gibt ein paar Merkwürdigkeiten. Ich hoffe nicht, dass hier an zwei kritischen Journalisten ein Exempel statuiert werden soll."

Die Staatsanwaltschaft hält diese Version für unglaubwürdig. Ähnliches gelte auch für einzelne Passagen des Artikels, Verleumdung und üble Nachrede lauten die Vorwürfe gegen Ginzel und Datt. Dabei zieht sich der Prozess hin, ein Urteil wird frühestens Ende Mai erwartet. Unter der Hand aber geht es in dem Dresdner Verfahren nicht nur um Verleumdung, sondern auch um eine andere Frage: Wie weit dürfen Journalisten gehen - und wie steht es um die sächsische Justiz? Denn letztere hat sich bisher auch dadurch ausgezeichnet, dass sie einigermaßen rigide gegen beteiligte Rechercheure vorgegangen ist. Nicht weniger als 21 Verfahren gab beziehungsweise gibt es gegen Journalisten, die über den Sachsen-Sumpf berichteten, rechneten Sachsens Grüne kürzlich vor.

Nun steht fest, dass es nicht zuletzt im Journalismus Sorgfaltspflichten gibt. Unbegründete Attacken von Medien auf Betroffene sind nicht von der Pressefreiheit gedeckt. Wer so agiert, muss mit Verfahren rechnen. Das sieht auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) so. "Dass sich Personen, die von Medien kritisiert werden, zur Wehr setzen, ist nichts Ehrenrühriges", meint DJV-Sprecher Hendrik Zörner. Im aktuellen Verfahren aber sei die Lage etwas anders. "Es gibt ein paar Merkwürdigkeiten", sagt er. "Ich hoffe nicht, dass hier an zwei kritischen Journalisten ein Exempel statuiert werden soll."

Damit meint Zörner nicht zuletzt die Tatsache, dass die Keule des Strafgesetzbuchs bemüht wird und nicht das Presserecht wie üblich. Die Staatsanwaltschaft teilt diese Ansicht nicht. "Das sind zwei verschiedene Rechtsgebiete", sagt Sprecher Christian Avenarius. Außerdem sei ein Strafbefehl gegen die beiden erlassen worden. "So falsch kann es da nicht gewesen sein."

Bei anderen hinterlässt das einen faden Beigeschmack. "Ich habe erhebliche Zweifel, ob der Verfolgungseifer der Staatsanwaltschaft Dresden die richtigen trifft", sagt der Grüne Johannes Lichdi. Ursprünglich lief auch ein Verfahren gegen den Spiegel. Das ist mittlerweile eingestellt, nachdem das Magazin eine Korrektur gedruckt und eine Geldauflage von mehreren tausend Euro akzeptiert hat. Am kommenden Montag sagt der beteiligte Spiegel-Redakteur Steffen Winter im Prozess aus.

Offen ist, ob dann auch wieder jene zwei Richter a. D. mit im Gerichtssaal sitzen, über die Datt und Ginzel berichtet hatten - als Nebenkläger. Rechtsbeistand ist die Ehefrau des einen Juristen. Sie hat früher in Leipzig gelebt und in der Affäre um die Riemannstraße 52 für Schlagzeilen gesorgt. Und der Präsident des Amtsgerichts ist ebenfalls ein alter Bekannter aus Leipzig, ein Ex-Staatsanwalt.
Von Jürgen Kochinke

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: