Karl Nolle, MdL

DER SPIEGEL 50/2011, Seite 78, 12.12.2011

Tätowierter Totenkopf

Offenbar hatten die Zwickauer Nazi-Terroristen ein Netz von Helfern. Aussagen von Beschuldigten lösen nun das Rätsel, wo sich das Trio anfangs versteckte.
 
Die kleine Parkbucht an der Liegnitzerstraße in Nürnberg ist ein
einsamer Ort. Bäume verdecken die Fläche, auf denen Enver Şimşek am 9. September 2000 seinen Blumenstand geöffnet hatte. Von dem verlassenen Parkplatz sind es auf der Ausfallstraße im Süden Nürnbergs nur drei Kilometer bis zur Autobahn München–Berlin. in wenigen Minuten ist man raus aus der Stadt.

Der Verkaufsstand war im Rücken von einem Erdwall und Büschen abgeschirmt, die nächsten Wohnhäuser sind außer Sichtweite. Die beiden Täter, die an diesem Samstag die Waffe auf Şimşek richteten und den Blumenhändler auf der Ladefläche seines Transporters mit acht Schüssen töteten, konnten sicher sein, nicht gestört zu werden.

Es war, sagen Ermittler, der perfekte Tatort, so perfekt, dass die mutmaßlichen Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt noch Zeit fanden, die Leiche zu fotografieren, ehe sie verschwanden.

Die Hinrichtung von Abdurrahim Özüdogru, wieder Nürnberg, neun Monate später. Der schneider nähte meist abends, tagsüber arbeitete er in der Fabrik; er lebte allein. Özüdogru wurde am 13. Juni 2001 von zwei Schüssen in den Kopf getroffen. Wieder eine scheinbar perfekt geplante Tat. Lediglich eine Zeugin konnte sich vage an zwei Männer erinnern, die aus dem Laden gelaufen und in einen blauen Opel gesprungen seien.

Viel spricht dafür, dass Şimşek und Özüdogru ausgespäht wurden, lange bevor die Schüsse fielen. und einiges deutet darauf hin, dass diese Aufgabe nicht Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt oder ihre Komplizin Beate Zschäpe übernommen hatten, sondern Helfer vor Ort.

offenbar konnten sich die Zwickauer Neonazi-Terroristen gleich auf zwei Netzwerke verlassen: ein Netz von Unterstützern in Sachsen und Thüringen, das Mietverträge abschloss, Handys besorgte und Personaldokumente zur Verfügung stellte. und ein zweites Netz von Helfern, die die Anschläge unterstützt haben könnten, Kontakte, die wohl schon vor 1998 geknüpft worden waren, als das Trio noch offen in der Nazi-Szene auftrat.

Für die Sicherheitsbehörden sind diese Erkenntnisse ein Offenbarungseid. Kaum ein Milieu ist so erforscht, so durchdrungen-gen, so überwacht von verdeckten Ermittlern und Kontaktpersonen wie die rechts-extreme Szene. Allein in der NPD unter-halten die Verfassungsschutzbehörden mehr als 130 V-Leute (siehe Seite 19), dazu kommen Hunderte Informanten von Polizei und Nachrichtendiensten im Neonazi-Milieu. Kein einziger V-Mann aber wollte – oder konnte – Informationen darüber liefern, was sich tatsächlich im braunen Untergrund abspielte.

Wie unscharf der Blick auf die rechtsradikale Szene lange war, zeigt eine Zahl, die das Bundeskriminalamt (BKA) jetzt erhoben hat: 144 Rechtsextremisten sind derzeit verschwunden, in den Untergrund gegangen oder ins Ausland verzogen; wer davon aus politischen Gründen verschwand und wer nur Unterhaltszahlungen vermeiden wollte, prüfen die Ermittler jetzt.

Vergangenen Dienstag meldete sich beim BKA ein Aktivist, der behauptet, er habe Mundlos in Dortmund gesehen; unter Kameraden habe man gewusst, was das Trio treibe. Die Glaubwürdigkeit des Mannes ist allerdings gering. Ein anderer Hinweisgeber, der selbst in der militanten Szene aktiv war, berichtet von Kontakten um die Jahrtausendwende. Auch bei den Verfassungsschutzbehörden mehren sich die Hin-weise von Informanten, die über tatsächliche oder vermeintliche Verbindungen in den Untergrund berichten. Die Spuren führen in mehrere Bundesländer, vor allem nach Nordrhein-Westfalen und Bayern, wo die Ermittler im Kreis der seit 2004 verbotenen „Fränkischen Aktionsfront“ (FAF) Ansprechpartner der Terroristen vermuten.

Mit der Gründung der Aktionsfront hatte der Nürnberger Neonazi Matthias Fischer 2001 große Pläne. Eines Tages sollte „ein freier deutscher Nationalstaat aus Ruinen auferstehen“. Fischer und zwei weitere Skinheads bildeten das Führungs-Trio der Kameradschaft, Verfassungsschützer rechneten dem harten Kern der FAF rund 40 Aktive und Sympathisanten zu, vorwiegend aus dem Raum Nürnberg.

Zunächst klebten die Nazis Plakate und mobilisierten zu Rudolf-Heß-Märschen, dann outeten sie Linke und Antifaschisten, darunter Redakteure der „Kommunistischen Arbeiterzeitung“ („KAZ“), eines Polit-Blättchens, das viermal im Jahr mit einer Auflage von 2000 Exemplaren erscheint. Die Redaktion in der Nürnberger Innenstadt ist seit Jahren Ziel von rechtsextremen Übergriffen.

Am 12. November steckte im Briefkasten der „KAZ“-Redaktion ein weißer DiN-A5-umschlag ohne Absender, frankiert und vom Postboten eingeworfen. Das Kuvert enthielt eine jener perfiden „Paulchen Panther“-DVDs, mit denen sich die Terroristen zu ihren Morden be-kannten. Die „KAZ“ ist außerhalb Nordbayerns weithin unbekannt, die Adresse muss von jemandem ausgewählt worden sein, der sich in Nürnberg auskennt.

Vier der zwölf verschickten DVDs, die bisher ermittelt werden konnten, gingen nach Bayern, so viele wie in kein anderes Bundesland. sie wurden an das türkische Generalkonsulat in München geschickt, an den rechten internetversandhandel „Patria“ in Kirchberg und die Redaktion der „Nürnberger Nachrichten“, wo ein weiteres DiN-A5-Kuvert festgestellt wurde, an der Seite einmal umgeknickt. Die DVD war hier nicht per Post gekommen, sondern offenbar abgegeben worden – ein weiteres Indiz für Helfer vor Ort.

Dass Bayern und Nordrhein-Westfalen für das Terrortrio eine besondere Rolle spielten, belegt auch eine weitere DVD, die die Ermittler in den Trümmern der Wohnung in Zwickau fanden, in der Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe zuletzt gewohnt hatten. sie trägt die Aufschrift „Aktionsdatenbank“ und enthält drei Dateien mit den Namen „Nürnberg“, „München“ und „Dortmund“, in denen Asylbewerberheime, Kneipen und Imbisse aufgelistet sind, teils mit detaillierten Notizen über die Objekte. Aber wer hat die Angaben zusammengetragen?
Präziser überblicken die Ermittler mittlerweile jene Unterstützerstrukturen im Osten, die dem Trio nach seinem Abtauchen halfen. Die Zahl der Beschuldigten ist auf sieben angewachsen, neu hinzugekommen sind Matthias D. und Mandy s., deren Rolle offenbar größer war als zu-nächst angenommen.

Den Ermittlungen zufolge soll Mandy s. das Trio im Februar 1998, unmittelbar nach dessen Abtauchen, für mehrere Monate in der Wohnung ihres damaligen Freundes Max B. in der Limbacher Straße in Chemnitz einquartiert haben. Zunächst sollen Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe dort vier Wochen allein gehaust haben, dann sei er selbst mit eingezogen, räumte Max B. bei der Polizei ein. Die Flüchtigen seien bis Juli oder August 1998 geblieben. Mit Hilfe von B.s Personalausweis wurde ein Reisepass auf den Namen „Max B.“ beantragt – mit Mundlos’ Foto. Das Dokument wurde am 7. September 1998 von der Stadt Chemnitz ausgestellt. Auch der inzwischen inhaftierte Andre E., der als Produzent der Bekenner-DVD gilt, hatte offenbar eine wichtige Funktion. spätestens seit 2003 soll E., der laut Verfassungsschutz einst der rassistischen „Weißen Bruderschaft Erzgebirge“ angehört hat, dem Trio zu Diensten gewesen sein. Andre E. habe ihn 2003 gebeten, als Untervermieter für drei Freunde zu fungieren, die angeblich wegen negativer Schufa-Einträge nicht als Hauptmieter auftreten könnten, behauptet Matthias D. im Gegenzug habe D., der als Fernfahrer arbeitet, kostenlos bei den dreien übernachten dürfen, wenn er beruflich in Zwickau war. Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos habe er nur unter den Namen „Lissy“, „Gerri“ und „Max“ gekannt.

Am 1. Juni 2003 vermietete Matthias D. eine Vierzimmerwohnung an der Zwickauer Polenzstraße an Uwe Mundlos alias „Max B.“ unter; ab März 2008 überließ er dem Trio die nächste Wohnung, an der Zwickauer Frühlingsstraße.

Die 144 Rechtsextremisten sind derzeit verschwunden, abgetaucht, in den Untergrund gegangen.

Untermietverträge, ausgedruckt auf Büttenpapier, habe „Max“ ausgearbeitet. Sogar die Rundfunkgebühr sei, offenbar von Beate Zschäpe, regelmäßig bezahlt worden; zudem habe die Frau öfter auf die Kinder von Andre E. aufgepasst und für sie auch Spielzeug in der Wohnung aufbewahrt. Über die wahre Identität seiner Untermieter habe D. „zu keinem Zeitpunkt etwas gewusst“, sagt sein Rechtsanwalt Jörg-Klaus Baumgart. D. sei „getäuscht“ worden. Die Ermittler halten D. dagegen für tief verstrickt.

Drei Stunden lang hat der Fernfahrer, der sich freiwillig bei der Kripo meldete, am 6. November als Zeuge ausgesagt. Während des Verhörs legten die Polizisten D. auch Fotos von Böhnhardt und Mundlos vor. Zumindest einen konnte D. identifizieren: Uwe Böhnhardt alias „Gerri“ – anhand einer Tätowierung am Oberarm, die einen großen Totenkopf zeigt.

Die Bilder stammten aus der Gerichtsmedizin; zwei Tage zuvor hatte Mundlos zunächst seinen Komplizen Böhnhardt und anschließend sich selbst erschossen. Nachdem Zschäpe in Zwickau die gemeinsame Wohnung in Brand gesetzt hatte, forderte sie ein letztes Mal die Hilfe ihrer Unterstützer an. sie soll Matthias D. angerufen haben und es mehrmals bei Andre E. probiert haben. Der holte sie offenbar mit dem Auto ab und fuhr sie zu einem Bahnhof. Bevor Zschäpe verschwand, soll sie gesagt haben: „Es ist alles aus, es fliegt alles auf.“

Von Conny Neumann, Sven Röbel, Holger Stark

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