Karl Nolle, MdL

Der Spiegel 42/2012, Seite 47, 14.10.2012

Rechtsterrorismus: 162 Seiten Hass

 
Neunzig Briefe erlauben Einblicke in die krude Gedankenwelt des Uwe Mundlos: Glaubte er an die Existenz einer rechten Untergrundarmee?

Sein erstes Westgeld investierte Uwe Mundlos in ein Butterflymesser. 1989 war das, kurz nach dem Mauerfall, und der damals 16-jährige Schüler trampte mit seinem Freund Andreas R. zum ersten Mal über die deutsch-deutsche Grenze, von Jena nach Kronach. Von seinem Begrüßungsgeld, so berichtete R. später dem Bundeskriminalamt (BKA), habe Mundlos dort jene aus-schwingbare Klinge gekauft, mit der er seiner Clique imponieren wollte.

Acht Jahre später war aus dem jugendlichen Messer-Fan ein militanter Rechtsextremist geworden, der sich zur Durchsetzung seiner Ziele nicht mehr auf Stichwaffen beschränken wollte: Anfang 1998 ging Mundlos mit seinen Komplizen Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe in den Untergrund; in einer Garage des Trios entdeckte die Polizei mehrere Rohrbomben sowie 1392 Gramm TNT.

Einem anderen Asservat, das die Fahnder an jenem Januarmontag in der Bombenwerkstatt sicherstellten, schenkten sie damals offenbar wenig Beachtung: einem Aktenordner, in dem Mundlos säuberlich seine Korrespondenz mit rechtsextremen Gesinnungsgenossen abgeheftet hatte. Heute ermöglicht das Konvolut, das jahrelang im Archiv verstaubte und erst in diesem Frühjahr aufmerksam ausgewertet wurde, dem BKA wichtige Einblicke in die krude Gedankenwelt des Neonazis, der nach seinem Suizid im vergangenen November kaum Schriftliches hinterlassen hatte.

Der Aktenordner, dessen erste Seite ein Porträt des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß zeigt, enthält 162 Seiten mit insgesamt 90 Schreiben von oder an Mundlos; die ersten datieren aus dem Dezember 1994, die letzten aus dem April 1997. Die Briefwechsel zeugen nicht nur vom Hass und von der Paranoia des Neonazis, der um die „Zukunft des deutschen Vaterlands“ bangt, sich von den „Sklaven des Systems verfolgt“ fühlt oder gegen vermeintliches „Untermenschentum“ hetzt. Sie dokumentieren auch seine schon damals rassistische Weltanschauung.

In einem Brief an Thomas S., den späteren Sprengstofflieferanten des Trios und V-Mann des Landeskriminalamts Berlin, heißt es: „Sicherlich werdet Ihr am 26.4. auch den 102 Geburtstag von unserem Vorbild Rudolf Hess feierlich begehen (wäre ja auch eine Schande für jeden aufrechten Deutschen dies nicht zu tun)“, schreibt Mundlos dem damals inhaftierten S.*.

Dann kommt er „zu lustigeren Dingen“: „Bei Jena, hat sich doch jetzt echt eine Judenpuppe von der Autobahnbrücke gehangen“ (siehe Ausriss). Mundlos spielt auf eine antisemitische Propagandatat an, die sein Komplize Böhnhardt begangen hatte. An anderer Stelle schwärmt der Neonazi von einem Besuch bei militanten Kameraden im baden-württembergischen Ludwigsburg: „Wir waren vor allem über die Waffen die sie alle haben erstaunt – schon fast ein kleiner Waffenladen.“

Die Radikalisierung des Uwe Mundlos war offenbar ein Prozess. Bereits zu Wendezeiten, so sagte Mundlos’ früherer Freund Andreas R. beim BKA aus, habe sich Uwe mit dem Untergrundkampf der Roten Armee Fraktion (RAF) beschäftigt. So habe er damals erzählt, „dass es ihm imponiere, wie die Terroristen untergetaucht sind“.

Die Dokumente aus dem jetzt ausgewerteten Aktenordner zeigen, dass Mundlos spätestens von Ende 1995 an Überlegungen anstellte, die RAF-Strategie der „Stadtguerilla“ auf die rechtsextreme Szene zu übertragen. In einem mit Reichsadler unterlegten Brief an inhaftierte Kameraden zeigt sich der damals 22-Jährige schockiert über den Zustand des nationalen Lagers: „Kaum sind mehr als 30 Mann versammelt“, könne man „getrost davon ausgehen, das ein Spitzel oder Angstanscheißer mit darunter ist“.

Zum Schutz vor V-Leuten erwähnt er dann ein Zellensystem. „In kleinen autonomen Gruppen“ zu arbeiten wäre eine „wirksame Alternative“. Allerdings habe er „noch immer Zweifel“, dass diese Organisationsform „uns wirklich zum Sieg führen kann“.

Am 16. November 1995 antwortet der angeschriebene Neonazi Torsten S. aus der Haftanstalt Waldheim: „Wie heißt es so schön, wer Wind sät, wird Sturm ernten ... Die Arbeit von kleinen autonomen Gruppen, wie Du Uwe, es schreibst, wird von vielen Kameraden geplant bzw. schon in die Realität umgesetzt.“

Ein Satz mit möglicherweise verheerenden Folgen: Damals, Mitte der neunziger Jahre, kursierten in der Neonazi-Szene Gerüchte über ein geheimes Zellensystem nach dem Prinzip des „Führerlosen Widerstands“. Glaubte Mundlos an die Existenz jener vermeintlichen Untergrundarmee, auf die sein Briefpartner anzuspielen schien? Bildete er sich ein, dass der später von ihm gegründete „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) Teil einer viel größeren, neuen Kampfbewegung war?

Eine Textdatei, die im letzten Versteck von Mundlos und seinen Komplizen gefunden wurde, könnte ein entsprechend übersteigertes Sendungsbewusstsein belegen. In dem offenbar im März 2002 erstellten Schreiben heißt es, dass der NSU „die neue politische Kraft im Ringen um die Freiheit der Deutschen Nation“ verkörpere. Er sei „keine ab strakte Sache“, sein Zeichen symbolisiere „die Sympathie und Verbundenheit gegenüber der Neuen Bewegung“. Es werde kein Zurück mehr geben – getreu dem Motto „Sieg oder Tod“.

Sven Röbel, Frieda Thurm 

* In den Zitaten werden Orthografie-, Grammatik- und Interpunktionsfehler wie im Original wiedergegeben.

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