Karl Nolle, MdL

spiegel online, 15:57 Uhr, 03.07.2015

Berichterstattung zu Griechenland - Im Dschungelcamp der deutschen Medien

 
Eine Kolumne von Georg Diez

Kein Unterschied, ob "Bild", "Zeit" oder ARD: In den deutschen Medien schwingen sich Journalisten reihenweise zu pöbelnden Parteigängern auf, statt Fakten und Analysen zur Griechenlandkrise zu bringen.

Es ist wir gegen die. Es ist Vernunft gegen Wahnsinn. Es ist eine "griechische Tragödie". Es geht um "unser Geld" (Anja Kohl), es geht um "unsere Leute" (Sigmar Gabriel). Es ist Showdown, und die Waffen werden gezückt: Das "Handelsblatt" zeigt Alexis Tsipras, der sich die Knarre an den Kopf hält, und findet, dass das noch Journalismus ist.

Viele fallen gerade aus der Rolle, viele zeigen ihr wahres Gesicht. Das ist so ziemlich das einzig Gute an dieser mal wieder desaströsen Woche im Dschungelcamp der deutschen Medien.

Anja Kohl zum Beispiel. Eine Frau, die seit Jahren nichts anderes tut, als dem Dax das Händchen zu halten, wenn es ihm mal nicht gut geht, und den Finanzkapitalismus anzufeuern, der im Kern die Ursache der Griechenlandkrise überhaupt ist, wie Ana Swanson in der "Washington Post" gut beschrieben hat.

Kohl also, die schon 2009 dafür kritisiert wurde, dass sie bei einem dubiosen Börsen-Seminar auftrat und Veranstaltungen von DAX-Firmen moderierte, über die sie eigentlich objektiv berichten sollte, die 2014 bei Frank Plasberg patzig wurde, als es mal wieder um "unser Geld" ging, und die nun bei Günther Jauch auf den neben ihr sitzenden Griechen einschimpfte und dann fauchte, "wir" hätten doch Griechenland dies und das und alles Mögliche angeboten - als sei sie Teil des Verhandlungsteams und nicht des Journalismus.

Oder Rolf-Dieter Krause, der nach langen Jahren in Brüssel an einer Art Stockholm-Syndrom leidet, nur noch in der stahlblauen Rationalität der Macht denkt und wie Kohl sein gebührenfinanziertes Gehalt eigentlich dafür kriegt, dass er möglichst objektiv sein sollte - diesem ARD-Krause platzte bei Plasberg heraus, man solle doch am besten "die Jungs von Syriza zum Teufel jagen".

"Aufzeichnungen aus einer Woche des Wahnsinns"

Oder Marc Brost, der die ganze Titelseite der "Zeit" dafür nutzen durfte, den "lieben Griechen" papamäßig zu erklären, sie müssten sich "gegen die Politik wenden, die Sie erst vor fünf Monaten gewählt haben"; und zwar auf Deutsch und auf Griechisch, damit auch ja alle verstehen, dass das nicht etwa die Einzelmeinung eines Redakteurs ist, sondern ein Befehl der Schreibtisch-Merkantilisten von der "Zeit".

Lustigerweise hatten sie dazu noch ein verrostetes Kreuzfahrtschiff als Illustration, die MS Hellas, die gerade dabei ist, über einen Wasserfall in die Tiefe zu stürzen. Die Zeile dazu war "Aufzeichnungen aus einer Woche des Wahnsinns" - und man muss nicht Foucault gelesen haben, um zu wissen, dass hinter jeder Definition von Wahnsinn konkrete Interessen stecken, dass sich in einer pathologisierten Wirklichkeit direkte Macht spiegelt.

War es denn etwa Wahnsinn, immer mehr Euros in ein Loch zu schütten ohne Boden, wovor Gianis Varoufakis warnte und was er, wie alle, die für einen Schuldenschnitt waren, verhindern wollte - was aber nicht im Interesse der Banken war, die von den Zinsen dieser Schulden ja prächtig leben?

Oder war es Wahnsinn, dass man fünf Jahre mit verschiedenen griechischen Regierungen verhandelt und "Hilfsprogramme auflegt" - und kaum kommt eine Regierung an die Macht, die deshalb gewählt wurde, weil die "Hilfsprogramme" eben nicht funktioniert haben, wird diese Regierung dafür verantwortlich gemacht, dass sie in ein paar Monaten nicht geschafft hat, was die Nussknacker von der EU in fünf Jahren Verhandlungen nicht hinbekommen haben - die Entmachtung der korrupten Eliten zum Beispiel oder ein funktionierendes Katasterwesen?

Großes Händeringen, tiefe Betrübnis, echte Sorgen

Die Zeit schrumpft eben zusammen, wenn man solche Worte wie Wahnsinn verwendet. Die Kausalität verschwindet. Es ist genau das gleiche wie mit dem Gerede von der "griechischen Tragödie": Huhu, großes Händeringen, tiefe Betrübnis, echte Sorgen.

Und eine Tragödie - das wissen die Altphilologen in der Regierung, da kann man echt nichts machen - ist das Werk der Götter, die wie immer launisch sind. Der Mensch wird da zum Spielball, sei es der Rentner, der langsam verhungert: Ursachen, das ist im Wort von der Tragödie angelegt, Ursachen sind nicht zu erkennen bei dem Riesenverhau.

Dass die "Bild" den Schmeißt-sie-raus-Populismus noch ein wenig pimpt und zum eigenen Referendum aufruft: eklig, geschenkt; dass aber zum Beispiel Mister Fassungslos, Frank-Walter Steinmeier, in all den Jahren nicht offensiv davon gesprochen hat, das zwischen 77 (SPIEGEL ONLINE) und 90 Prozent ("Guardian") der "Hilfsgelder" direkt an die Banken gingen und nicht an die griechische Bevölkerung?!

Aber die SPD ist ja jetzt auch eine Kohleverschmutzungs- und Das-wird-man-doch-noch-sagen-dürfen-Sicherheitspartei und verrät - wie die anderen sozialdemokratischen Parteien Europas auch - ein Land, das nicht von Tsipras, sondern von langfristigen Interessen und grundsätzlichen Fehlern über den Abgrund getrieben wird: Fehler, die, und das ist die Schuld der agierenden Politiker in der EU, in den Jahren seit 2008 hätten behoben werden müssen.

Was wäre also, wenn James Galbraith Recht hätte, der Merkel, Hollande etc. "flach" findet, eingesperrt in ihrer eigenen Realität und "moralisch und intellektuell zu unterversorgt, um ein kontinentales Problem zu lösen"?

Sie würden sich freuen, wenn sie bald wieder einen der ihren am Tisch sitzen hätten, einen, der nicht politisch denkt, wie Tsipras, sondern finanzpolitisch wie sie, einen wie Samaras zum Beispiel, der macht, was sie wollen - und Ruhe ist.

Es kann aber natürlich auch sein, dass bald mal die Neonazis vom Goldenen Morgen an die Macht kommen. Das ist dann aber echt die Schuld der Griechen, und zwar der Griechen allein.

Karl Nolle im Webseitentest
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