Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 04.06.2007

Der Karriereknick des Georg W.

Georg Wehling galt als Mafia-Jäger in Leipzig. Dann wurde er abserviert. Weil er über den aktuellen Sumpf zu viel weiß, glaubt sein Anwalt.
 
Er ist ein unruhiger Kerl, hat keine Zeit für einen Kaffee. Die Sonnenbrille mit den gelben Gute-Laune-Gläsern passt nicht recht zur biederen Treckingweste mit den vielen Taschen. Georg Wehling lässt sich kaum einordnen auf den ersten Blick. Für einige ist der 50-jährige drahtige Typ Leipzigs „Superbulle“ schlechthin. Andere sagen, Wehling wittere hinter jeder Ecke eine Verschwörung. „Wir waren die Besten“, sagt er selbst ganz unbescheiden, meint damit sein K 26, das Polizei-Kommissariat, das in Leipzig gegen die organisierte Kriminalität kämpft.

Auf ein Geflecht gestoßen

Wegen seiner Top-Informanten ist das K 26 gut gewesen. So klärte Wehlings Truppe 1999 jenen Fall, der gegenwärtig in aller Munde ist, wenn es um die Akten des Verfassungsschutzes zur organisierten Kriminalität unter dem Namen „Abseits“ geht: Der Anschlag auf Immobilienmanager Martin Klockzin, um den sich angeblich Korruption, Erpressung und Kinderprostitution ranken.

„Das K 26 war auf ein Beziehungsgeflecht von Leuten aus dem Millieu, Immobilienmaklern, Polizisten und Juristen gestoßen“, sagt Wehlings Anwalt Rainer Wittner. Ein Gruppe mit Einfluss, die nicht wusste, wie weit Wehling in den Leipziger Sumpf eingetaucht war. „Da fürchteten wohl einige unangenehme Überraschungen und versuchten, Leute aus dem K 26 kaltzustellen“, vermutet Wittner. Wehling, ein gebürtiger Ost-Berliner und seit fast 30Jahren bei der Polizei, war Chef des K 26–bis Kollegen die Waffe auf ihn richteten.

Das war 2002. Das K 26 ermittelte gerade in einem großen Geldfälscherfall. Vermutlich waren Blüten im Wert von 50 Millionen Dollar im Spiel. Ein Mann zeigte Wehling drei 100-Dollar-Noten–hervorragend gefälschte Scheine. Wehling kannte den Informanten nur als „Rolli“, wie er sagt. Das Landeskriminalamt (LKA) stellte fest: „Rolli“ wurde mit Haftbefehl gesucht, nahm ihn fest und fragte ihn aus. Er antwortete mit „Ja“ auf die Frage, ob Wehling seinen vollständigen Namen kannte. Daraufhin rückten 50 Beamte im K 26 ein und warfen Wehling Strafvereitelung im Amt vor. Es kam zu einer bis dahin einmaligen Konfrontation zwischen Polizisten.

Wenig später standen Wehling und ein Mitarbeiter des K 26 vor Gericht. „Rolli“ sagte aus, dass er bei der Vernehmung im LKA unter Medikamenten stand und nur „Ja“ gesagt hätte, um seine Ruhe zu haben. Die beiden Männer wurden freigesprochen, die Geldfälscher wurden nie gefunden.

Das sei nur einer von mehreren Versuchen gewesen, Georg Wehling und andere Mitarbeiter des K 26 zu kriminalisieren, sagt dessen Anwalt. „Es wurden keine Tricks gescheut, um meinem Mandanten Straftaten anzudichten.“ Inzwischen liegen eidesstattliche Versicherungen vor, dass LKA-Beamte vor Jahren Straftätern offenbar Angebote machten, wenn sie gegen Wehling aussagten. „In keinem Fall konnte ihm oder seinen Mitarbeitern eine Schuld nachgewiesen werden, alle Anklagen platzten vor Gericht, oder es reichte nicht mal für eine Anklage“, so Anwalt Wittner. Warum das alles? „Neid“, glaubt Wehling. Mehr sagt er nicht. „Sein Wissen um den Fall Klockzin ist wohl der echte Grund für den Karriereknick“, sagt sein Anwalt.

Der städtische Immobilien-Manager Martin Klockzin wurde am 17. Oktober 1994 durch mehrere Schüsse lebensgefährlich verletzt. Informanten führten das K 26 auf die Spur der Täter. Angeklagt wegen Mordes, saßen im Juni 1996 vier Männer vor Gericht. Die Richter wollten wohl ein Exempel statuieren. Dreimal lebenslänglich und einmal zwölf Jahre Haft lautete das Urteil. Schon während des Prozesses gab es Hinweise zu den Auftraggebern, die angeblich im Rennen um das Leipziger Grundstück Riemannstraße 52 den Kürzeren gezogen hatten. Das LKA sollte sie überführen.

Auch Wehling ließ in dem Fall nicht locker. „Wir beackerten die hart bestraften Täter, bis zwei aussagten.“ Mit einem filmreifen Lauschangriff überführte das K 26 die Hintermänner. Sie rüsteten den verurteilten Ramilo W. mit einer „Wanze“ aus. Am 26. Oktober 1999, mitten in der Nacht, tauchte Ramilo bei den beiden mutmaßlichen Hintermännern auf. Die zwei Bayern machten dem „verwanzten“ Ramilo schwere Vorwürfe wegen des Anschlags. Sie hätten nur den Auftrag erteilt, Klockzin zu verprügeln. Mit der richterlich genehmigten Abhöraktion wurden die beiden Immobilienhändler überführt.

Nicht mit rechten Dingen

Einen Auftrag zur Ermordung Klockzins hat es wohl nie gegeben. Ließ sich das harte Urteil gegen die vier Täter aufrechterhalten?

Wenig später werteten LKA-Beamte alle Informationen zum Anschlag auf Klockzin aus und kamen in einem vertraulichen Bericht zum Schluss, dass bei den Ermittlungen offenbar einiges nicht bekannt werden sollte. Im Prozess gegen die Auftraggeber des Anschlags ging es dann auch merkwürdig zu.

Schon vor der Hauptverhandlung waren die beiden Angeklagten aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Bekannten sollen sie sogar anvertraut haben, ihnen werde nicht viel passieren. Tatsächlich tauchten zu Prozessbeginn plötzlich 22 bisher unbekannte Aktenordner aus dem LKA auf. Dann stellte sich heraus, dass die beiden Hauptzeugen vor dem Prozess auf wundersame Weise die Möglichkeit erhalten hatten, ihre Aussagen vor Gericht abzustimmen. Was sie aussagten, war somit nichts mehr wert. Die Richter reagierten genervt, regten sogar an, den Generalstaatsanwalt einzuschalten, weil in dem Fall offenbar einiges nicht mit rechten Dingen zuging. Am Ende zahlten die Auftraggeber des Anschlags jeder 2500 Euro an die Opferhilfsorganisation Weißer Ring und verließen das Gericht als freie Männer.

Im Fall Klockzin stießen Wehling und seine Leute nicht nur auf raue Sitten in der Leipziger Immobilienbranche. Mindestens fünf in den Fall verwickelte Personen hatten offenbar etwas gemeinsam: Die Vorliebe für junge Mädchen, der sie bis zum Januar 1993 im Kinderbordell „Jasmin“ nachgegangen sein sollen. Von der Wohnung in der Merseburger Straße 115 ist in diesen Tagen ebenfalls die Rede im Zusammenhang mit der Akten-Affäre des Verfassungsschutzes. Zudem meldete sich der damalige Betreiber des „Jasmin“, Michael W., beim K 26 und wollte „beichten“. Er sei 1993 lediglich zu vier Jahren Haft verurteilt worden, weil der Richter damals im Prozess keine „dreckige Wäsche“ waschen wollte, sagte W. Nun wollte W. auspacken. Die Anwältin von Michael W. bestätigte diese Aussage aber nur teilweise.

Freier aus „höheren Kreisen“

So vernahmen Wehlings Leute im Jahr 2000 fast alle Mädchen aus dem „Jasmin“ noch einmal und erfuhren, wie es zuging im Kinderbordell. Die Mädchen berichteten, dass es Prügel gab, wenn eine fliehen wollte, und dass auch Herren aus „höheren Kreisen“ bedient werden mussten. Auf Bildern erkannten sie ihre Freier wieder, auch Beteiligte am Anschlag auf den Immobilien-Manager Martin Klockzin.

Mit Sarkasmus reagiert Wehling auf die Frage nach den „höheren Kreisen“: „Die Herren stellten sich nicht mit Namen und Dienstgrad vor.“ Über das, was er über den Fall immer noch weiß, sagt Wehling kein Wort: „Warten wir doch mal ab, ob der Verfassungsschutz weiter gekommen ist als wir.“

Der ehemalige Chef-Ermittler im Sumpf der organisierten Kriminalität von Leipzig ist mittlerweile bei der Kriminaltechnik gelandet. Längst hat auch die Dienstaufsicht alle Untersuchungen gegen ihn eingestellt, wie er sagt. „Ich hatte noch nie so viel Zeit für meine Fische“, ulkt Wehling. Er züchtet Malawi-Buntbarsche, aber man merkt ihm an, er würde viel lieber wieder die Haifische jagen in der Stadt.
Von Thomas Schade

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