Karl Nolle, MdL

SPIEGEL 04/2008, Seite 48, 20.01.2008

Korruptionsaffäre in Sachsen - "Dreckige Wäsche"

Prostituierte belasten hochrangige Juristen in Sachsen
 
Vorabmeldung spiegel-online vom 19.01.08, 15:00 Uhr:
Pikante Details in der sächsischen Korruptionsaffäre: Zwei ehemalige Prostituierte haben bei ihrer Vernehmung drei hochrangige Juristen erheblich belastet. Nach SPIEGEL-Informationen ist auch ein Richter des Leipziger Landgerichts betroffen.

Hamburg - Die Prostituierten gaben bei der Staatsanwaltschaft an, dass sie zwei der Männer auf Fotos wiedererkannten und bezeichneten sie als ehemalige Freier. Betroffen sind laut SPIEGEL ein ehemaliger Oberstaatsanwalt, der heute Amtsgerichtspräsident ist, sowie ein ehemaliger hoher Richter des Leipziger Landgerichts. Besonders brisant: Der Richter am Landgericht hatte das Urteil gegen den Betreiber des betroffenen Bordells "Jasmin" gesprochen.

Der dritte Belastete ist ein Vorsitzender Richter am Dresdner Oberlandesgericht. Er wird von den Zeuginnen als "Geschäftsfreund" des Zuhälters bezeichnet. Die Juristen bestreiten die Vorwürfe. Die Anwälte der Zeuginnen bezeichnen die Aussagen indes als glaubwürdig. Auch die vernehmenden Staatsanwälte zeigten sich beeindruckt ob der detailreichen Schilderungen.

Diese Woche wird eine weitere Ex-Prostituierte aus dem "Jasmin" zu den Vorgängen vernommen. In der sächsischen Korruptionsaffäre hat die Staatsanwaltschaft zwischenzeitlich elf Prüfvorgänge und 19 Ermittlungsverfahren gegen mindestens acht Beschuldigte eingeleitet. (wal)

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SPIEGEL 04/2008, Seite 48
Korruptionsaffäre in Sachsen - "Dreckige Wäsche"

In den sächsischen Korruptionsskandal kommt neue Bewegung. Ehemalige Prostituierte wollen auf Bildmappen der Staatsanwaltschaft hochrangige Juristen als Freier wiedererkannt haben.

Ingo war kein feiner Mann. Ganz sicher keiner, um den sich Frauen gewöhnlich stritten. Er hatte wenig Ähnlichkeit mit Adonis, war nicht sonderlich freundlich und neigte zu Grobheiten. Interessiert war er eigentlich nur an einem: hartem Sex mit blutjungen Frauen. Doch die Mädchen im Leipziger Bordell "Jasmin" rissen sich um Ingo. Denn der Freier, der seine Favoritin häufig telefonisch reservierte und dann im Anzug in der Merseburger Straße 115 erschien, hatte ganz andere Qualitäten. Er zahlte fürstlich. Immer den doppelten Preis.

Ingos kostspielige Ausflüge ins Leipziger Nachtleben sind inzwischen gut 15 Jahre her. Doch sie beschäftigen seit Montag vergangener Woche die Justiz. Und sie bringen erneut Schwung in jene sächsische Korruptionsaffäre mit ihren vermuteten Verbindungen von Justiz, Polizei und Politik in die Halbwelt, die doch schon weitgehend abmoderiert schien.

Denn Ingo soll nach Aussagen zweier ehemaliger Prostituierter ausgerechnet ein späterer ranghoher Richter des Landgerichts Leipzig gewesen sein - jener Jurist, der in einem Verfahren gegen den Betreiber des Bordells das Urteil sprach. Zudem wollen die Frauen einen späteren Oberstaatsanwalt als Freier wiedererkannt haben, der heute als Amtsgerichtspräsident residiert. Auch ein Vorsitzender Richter am Dresdner Oberlandesgericht wurde von einer der beiden Zeuginnen identifiziert: als angeblicher "Geschäftsfreund" des Bordellbetreibers.

Mit den mehrstündigen Aussagen der beiden Frauen vor zwei Dresdner Staatsanwälten könnte die bisherige Verteidigungslinie der Landesregierung unter Druck geraten. Denn das Leipziger Etablissement soll eine Keimzelle für spätere Abhängigkeiten von Juristen und städtischen Bediensteten zu Rotlicht- und Immobiliengrößen gewesen sein.

Bislang wurde die Affäre gern auf eine schlampige Gerüchtesammlung des sächsischen Verfassungsschutzes reduziert, in der sich letztlich nichts Belastbares finden lasse. "Die sogenannte Korruptionsaffäre", versichert Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU), "ist keine": Es gebe lediglich "frisierte Dossiers, im Wesentlichen von einer Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes, einer früheren DDR-Staatsanwältin, wohl getrieben von blindem Jagdeifer und blühender Phantasie".

Immerhin hat die Staatsanwaltschaft Dresden elf Prüfvorgänge und 19 Ermittlungsverfahren gegen mindestens acht geheimgehaltene Beschuldigte eingeleitet. Und ein Untersuchungsausschuss versucht im Landtag zu klären, ob es im Freistaat "kriminelle und korruptive Netzwerke" gegeben habe. Die Vorwürfe sind breit gefächert: Strafvereitelung im Amt, Verletzung des Dienstgeheimnisses, Vorteilsannahme, Bestechlichkeit, Rechtsbeugung, Aussageerpressung, Nötigung, sexueller Missbrauch von Kindern und Bildung krimineller Vereinigungen. Doch der Ermittlungsführer der Staatsanwaltschaft gab schon im September weitgehend Entwarnung: "Je tiefer wir graben, desto mehr heiße Luft kommt heraus."

Nun tauchen aber Zeugen auf. Die Aussagen der Frauen werden von den sie begleitenden Leipziger Anwälten Constanze Dahmen und Steffen Soult als glaubwürdig eingestuft. Eine Beeinflussung durch Dritte schließen sie aus.

Auch die Vernehmer zeigten sich beeindruckt: Zu detailliert erinnerten sich die Zeuginnen unabhängig voneinander etwa an einen Streit um Ingo, als dieser in der Weihnachtszeit 1992 zu einem anderen Mädchen wechselte. Tagelang habe man nicht miteinander gesprochen. Bei dem beschuldigten Ex-Oberstaatsanwalt, der Anfang 1993 aus Rheinland-Pfalz in den Leipziger Justizdienst abgeordnet wurde, beschreiben die Frauen sein "markantes Gesicht", die "herausstechenden Augen" und die "buschigen Augenbrauen". Diese Woche soll eine weitere Ex-Prostituierte vor den Staatsanwälten aussagen. Sie will Ingo bereits auf Bildern wiedererkannt haben: "Es gibt Gesichter, die vergisst man nicht."

Die überraschenden Einlassungen passen zumindest zu diversen Merkwürdigkeiten, die sich rund um das Bordell ranken, in dem zwischen Juni 1992 und Januar 1993 acht Kinder und Jugendliche von 13 bis 19 Jahren teilweise unter Zwang anschafften. So finden sich in den Vernehmungsprotokollen der Mädchen, die unmittelbar nach der Schließung vor 15 Jahren gefertigt wurden, keine Aussagen zu den Freiern des "Jasmin" - obwohl zumindest Sex mit Jugendlichen unter 16 Jahren auch schon seinerzeit strafbar war.

Erst im Jahr 2000 kam es zu einem Ermittlungsverfahren gegen unbekannt wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern - da waren einige der Taten freilich längst verjährt. Nur der Verkehr mit unter 14-Jährigen hätte noch verfolgt werden können. Den Mädchen wurden Lichtbildmappen vorgelegt, in denen aber offenbar keine Fotos der vorige Woche belasteten Juristen enthalten waren - der einstige Oberstaatsanwalt hatte zu diesem Zeitpunkt bereits Karriere in der Leipziger Justiz gemacht.

Die Ermittlungen verliefen im Sande, und 2003 trat für alle Missbrauchsfälle im "Jasmin" die Verjährung ein - niemand kann heute mehr dafür strafrechtlich belangt werden. Der von den Zeuginnen beschuldigte Jurist bestreitet die Bordellbesuche: "Die Zeuginnen lügen." Er sei erst Anfang 1993 nach Leipzig gekommen und nie im "Jasmin" gewesen.

In neuem Licht erscheint aufgrund der jüngsten Aussagen auch der Prozess gegen den Bordellbetreiber, der im Januar 1994 unter Vorsitz des jetzt belasteten Richters aufgenommen wurde. Im Zeugenstand waren damals auch jene Mädchen, die ihn heute belasten. Eine erklärt, sie habe Ingo schon seinerzeit im Gericht erkannt: "Doch wer hätte mir das geglaubt?" Zwar habe sie sich später ihrem Therapeuten anvertraut, ansonsten aber geschwiegen. Die andere ehemalige Prostituierte will aus Scham bei der Verhandlung nicht zum Richtertisch gesehen haben. Sie wisse heute nicht einmal zu sagen, ob ein Mann oder eine Frau die Verhandlung geführt habe.

Der Angeklagte wurde zu vier Jahren Haft verurteilt, schon nach 34 Monaten war er wieder auf freiem Fuß. Ein mildes Urteil, bemängelt bis heute mancher Jurist. Der Zuhälter gab bei einer erneuten Vernehmung im Mai 2000 zu Protokoll, er habe damals seine Anwältin so verstanden, dass er mit zehn Jahren Haft rechnen müsse, wenn er sich zur Kundschaft der Mädchen äußere. Aber nur mit vier, wenn er keine "dreckige Wäsche" wasche. Daran habe er sich gehalten.

Die Anwältin sagte, sie erinnere sich zwar an einen Deal mit dem Gericht, aber nicht an jede Einzelheit. Sicher sei es in dem ganzen Prozess nicht um Freier gegangen, auch von zehn Jahren Haft sei keine Rede gewesen. Die ebenfalls befragte Staatsanwältin im Verfahren will von dem angeblichen "Dreckwäsche"-Geschäft nichts mitbekommen haben.

Dennoch müssen die Dresdner Staatsanwälte jetzt dem Vorwurf der Rechtsbeugung gegen den Ex-Richter erneut nachgehen. Der Jurist, der heute in Bayern lebt, sieht sich als Opfer einer Intrige. Er versichert, er sei weder Ingo, noch habe er das "Jasmin" je betreten. Die angebliche Rechtsbeugung bestreitet er.

Eines legen die Aussagen der einstigen Prostituierten zumindest nahe: Es scheint für die umfangreiche Hinweissammlung des Verfassungsschutzes offenbar mehr Quellen gegeben zu haben als zunächst angenommen. Bisher wurde gemutmaßt, die zuständige Referatsleiterin beim Verfassungsschutz - die einst selbst als junge Staatsanwältin diversen Missbrauchsfällen in Dresden auf der Spur war und dabei ausgebremst wurde - habe mit Hilfe eines Leipziger Polizisten vor allem alte Gerüchte aufgebauscht. In ihrer Vernehmung erklärte die Verfassungsschützerin inzwischen, der Kripobeamte habe zu einem späten Zeitpunkt der Ermittlungen lediglich Vorgänge bestätigt, die dem Amt bereits aus anderen Quellen bekannt waren. Und in der Tat tauchen im "Sachsen-Sumpf" so schöne Decknamen wie "Jaguar", "Asterix" oder "Topas" auf, die amtsintern durchaus realen Zuträgern zugeordnet werden können. Nur den Staatsanwälten stehen sie leider nicht zur Verfügung: Quellenschutz.

Die von Ministerpräsident Milbradt als Ex-DDR-Staatsanwältin mit blühender Phantasie abgekanzelte Regierungsdirektorin befindet sich seit Monaten im Krankenstand und wird disziplinarrechtlich belangt. Immerhin besitzt sie in ihren privaten Unterlagen ein Schriftstück vom September 2006, das ihr Dienstherr nach Ende der umfangreichen Sumpf-Ermittlungen verfasste.

Darin dankt er für ihre "über das normale Dienstgeschäft weit hinausgehende" Arbeit, die "ohne Rücksicht auf private und persönliche Belange in ausgezeichneter Qualität" erledigt worden sei. Der begeisterte Oberschlapphut wies ihr eine Leistungsprämie von 2383,25 Euro an.
THOMAS DATT, ARNDT GINZEL, STEFFEN WINTER

Karl Nolle im Webseitentest
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