Karl Nolle, MdL

Rede im Plenum des Sächsischen Landtages zu Drucksache DS 3/3968, 11.10.2002

SPD fordert "Pilotprojekt Berufsausbildung mit Fachabitur für technische Berufe"

BMA ist ein Schritt in die Zukunft für unsere Kinder und unsere Unternehmen.
 
Im Frühsommer dieses Jahres hatte ich in meinem Druckhaus dutzende Bewerberinnen für die Ausbildung zur Mediendesignerin für Printmedien. Eine fiel mir besonders auf, sie hatte eine Eins in Deutsch im Zeugnis einer Dresdner Mittelschule.

Nun machte auch diese junge Frau, wie andere auch, einen umfangreichen Eignungstest, u.a. sollte sie von 100 falsch geschriebenen Worten erkennen, wie viele falsch waren.

Sie erkannte ganze 33 von 100! und hatte eine Eins in Deutsch!

Offensichtlich spielt die Rechtschreibung in unseren sächsischen Schulen keine Rolle mehr. Deutschzensuren werden offensichtlich fürs Sprüche klopfen und Labern erteilt.

Ich habe auch das Beispiel eines jungen Mannes, der schon durch das Schulsieb der DDR gefallen war und ohne Schulabschluss Teilfacharbeiter für Rundgefäßefertigung wurde, einem exotischen Beruf, den es nur in einem einzigen Betrieb in Sachsen gab. Dieser Teilfacharbeiter ging als Erwachsener Abend für Abend auf die Abendrealschule und machte den Hauptschulabschluss nach. Er kann heute bei uns Drucker lernen und erhält eine Chance, weil er selber was aus sich gemacht hat. Er ist einer von 5 Lehrlingen, die in diesem Jahr bei uns lernen nachdem wir weitere 5 unserer Lehrlinge als Facharbeiter übernommen haben.

Seit langem sendet die Wirtschaft SOS-Signale. Junge und gut ausgebildete Fachkräfte – vor allem in technischen Berufen – werden zur Mangelware. In drei bis vier Jahren werden Azubis sogar richtig gehend knapp. Ab 2006 wird sich die Schere öffnen zwischen denen die aus dem Berufsleben ausscheiden und denen die eine Ausbildung beginnen. Diese demografische Entwicklung wird sich in unseren Betrieben gravierend bemerkbar machen.

Daneben klagen die Unternehmen über die Qualität unserer Schulen. Bei vielen Besuchen in den Unternehmen – und ein Beispiel habe ich gerade genannt – höre ich über die Lehrlinge immer wieder dasselbe. Mängel gibt es beim Lesen, Schreiben und Rechnen, beim logischen Denken, bei der Fähigkeit zum selbständigen Lernen. Reden Sie mit wem Sie wollen, meine Damen und Herren. Unternehmer, Schüler, Lehrer und Eltern werden Ihnen sagen: Diese Landesregierung freut sich über die Zensuren der Pisastudie. Sie und nur sie trägt jedoch für eine Bildungspolitik die Verantwortung, die unsere Schulen, gemessen am tatsächlichen Bedarf unserer Wirtschaft versäumt hat, gründlich zu modernisieren. Da bin ich mir mit allen Verbänden und Kammern völlig einig.

Und ich bin mir auch nicht sicher ob unser ehemaliger Kultusminister, der nun der Wissenschaft vorsteht, überhaupt gemerkt hat, was er für eine Bildungskatastrophe zu verantworten hat. Im stolperndem Redefluss hat er sich offensichtlich am bayrischen Kandidaten orientiert und blamiert.

Ausbaden müssen diese Misere unsere Betriebe, denn sie haben Schwierigkeiten, gute Leute zu finden. Ausbaden müssen dies unsere Hochschulen, sie klagen über schlecht vorbereitete Studenten. Bezahlen aber müssen wir alle diese Misere. Mit sinkenden Wachstums-chancen und letztendlich weniger Unternehmen und weniger Arbeitsplätzen.

Aber die Quittung dafür – und da bin ich mir ganz sicher, werden Sie – meine Damen und Herren von der CDU – bei den nächsten Wahlen erhalten!

Eine Quittung für miserable Politik, wie es einmal der Kollege Biedenkopf sagte, und ich füge hinzu: für Hochmut und Machtversessenheit

Machen Sie ruhig weiter, meine Damen und Herren mit ihrer verkrampften Arroganz der Macht, wenn sie glauben, nie Partner zu brauchen.

Ich sage Ihnen, Sachsen muss wieder auf Kurs gebracht werden und Sachsen wird nach 2004 wieder auf Kurs gebracht werden. Dafür werden wir Sozialdemokraten sorgen.

Denn 2004 gewinnen wir!

Und sie werden dann genauso bleich und hilflos aussehen, wie am 23. September, denn Ihr bisheriger alleinige Wahlhelfer Kurt Hans steht aus den bekannten Gründen leider oder gottseidank nicht mehr zur Verfügung.

Wir haben in Sachsen eine paradoxe Situation. Wir haben 390.000 Arbeitslose.

Und das sind Ihre Arbeitslose hier im Land, meine Damen und Herren von der CDU! Nur Ihre!

So sagte das doch immer Ihr Dauerkandidat Stoiber gegenüber unserem Kanzler.

Die sächsischen Unternehmen verzeichnen gleichzeitig in immer mehr Branchen einen gravierenden Facharbeitermangel. Elektronik und Maschinenbau sind erst der Anfang. In einer Studie der Handwerkskammern und IHK klagten Ende 2001 bereits 8 % der Handwerksbetriebe über einen Mangel an Fachpersonal. Und 15 % der Firmen gaben an, das die unbesetzten Stellen das Umsatzwachstum hemmten.

Und trotzdem haben Sachsens Betriebe im vergangenen Jahr weniger junge Leute in Ausbildung genommen als im Jahr zuvor. Weil die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Musterländle auf der Stelle tritt. Und der Negativ-Trend der vergangenen Jahre hält an.

Gleichzeitig lernen die jungen Leute heute anders. Weniger Menschen mit Hochschulzugangs-berechtigung interessieren sich für die duale Ausbildung. Stattdessen fangen mehr an zu studieren. Immer mehr Schülerinnen und Schüler wählen die vermeintlich schweren Naturwissenschaften ab. Sachsen ist absolutes Schlusslicht bei der Wahl der Leistungskurse Chemie, Mathematik und Physik. Und dies im alten Autoland, im alten Maschinenbau- und Energieland Sachsen. Und das, wo in Deutschland gerade Ingenieure, Chemiker und Informatiker fehlen.

Wir brauchen also zweierlei, sonst laufen wir in eine Sackgasse:
Erstens eine verbesserte und anspruchsvollere Ausbildung, moderne Schulen und moderne Lehrerausbildung mit der wir der Situation in unseren Unternehmen gerecht werden.
Und zweitens brauchen unsere Jugendlichen attraktive und zukunftsfähige Ausbildungsgänge, die ihnen Weiterentwicklung ermöglicht.

Deshalb fordern wir eine zeitgemäße Berufsausbildung kombiniert mit Fachabitur. Dies weist in die richtige Richtung. Denn den Jugendlichen wird neben der Fachhochschulreife auch ein technischer Berufsabschluss vermittelt. Und wir sind uns in dieser Frage einig mit dem BDA. Der fordert nämlich eine bessere Verknüpfung von Fachhochschulreife mit dem Studium an der Fachhochschule. Genau das könnte durch unsere Initiative auch erreicht werden.

Und vielleicht hören wir heute ja noch von meiner Kollegin Marlies Volkmer, Herrn Hahn von der PDS, von Herr Heinz, Herrn Schowtka und Frau Windisch und vielen anderen. Sie alle haben lt. Landtagshandbuch Berufsausbildung mit Abitur. Und, hat es Ihnen geschadet?

Für die jungen Menschen können sich mit unserem Modell unterschiedliche Entwicklungsmöglich-keiten eröffnen – die jeder für sich zukunftsweisend sein kann. Sie lernen einen Beruf. Sie können studieren. Sie können beides später miteinander kombinieren. Auch für die Unternehmen ist dies attraktiv, da sie hoch qualifizierte Leute bekommen, die sich später sogar noch weiterentwickeln können. Und bekanntlich leidet unsere Wirtschaft nicht an zu vielen guten Leuten.

Was wir damit schaffen, ist eine neue – aber gleichzeitig erprobte – Form der Ausbildung. Wir verbinden Praxisorientierung und theoretische Ausbildung. Wir haben dadurch die Chance, die Fähigkeit zu selbständigen Lernen und zu planvollem Arbeiten zu vermitteln. Das sind Schlüsselqualifikationen.

Die Berufsausbildung mit Fachabitur kann ein erster Schritt sein zu einer stärker praxisorientierteren Ausbildung unserer Kinder. Sie kann ein Element einer neuen Form der Bildung und Ausbildung sein. Die Hochschule muss sich ja nicht gleich an die Gesellenprüfung anschließen. Denken wir an lebenslanges Lernen: das Studium kann berufsbegleitend erfolgen. Man kann es einige Jahre später machen, wenn die Familie gegründet ist. Vielleicht kann man es in Blöcken organisieren. Ich denke, in der Zukunft werden wir viele neue Formen der Weiter-Bildung erleben.

Die Berufsausbildung mit Fachabitur kann darin ein sehr wichtiger Baustein sein. Denn sie öffnet mehrere Türen. Sie öffnet das Tor in die Betriebe. Sie öffnet das Tor zu den Fachhochschulen. Und sie öffnet auch das Zeitfenster, um dass alles zu einem späteren Zeitpunkt fortzusetzen.

Ein paar wenige Worte zum Antrag der PDS. Meine Fraktion ist der Auffassung, dass Abitur in 12 Jahren und der gleichzeitige Abschluss einer Facharbeiterausbildung unter heutigen Bedingungen und Anforderungen unrealistisch ist. Das sagen auch alle Experten. Das sage ich Ihnen auch als Unternehmer. Deshalb sollten wir uns vielmehr auf das Machbare konzentrieren.

Es geht hier nicht um Ostalgie. Es geht hier nicht um die Widerauferstehung eines abgehalfterten Systems. Es geht um die Zukunft unserer jungen Menschen. Dazu brauchen wir keine historischen oder ideologischen Scheuklappen.

Die SPD hat deshalb diesen Antrag zur Berufsausbildung mit Fachabitur eingebracht.

Herr Ministerpräsident, nutzen Sie diese Chance. Eine qualifizierte Ausbildung ist für jeden Einzelnen der Schlüssel zum Arbeitsmarkt. Und für die Unternehmen ist sie erfolgsbestimmend. In Rosswein und Mittweida ließe sich diese Projekt sofort und ohne großen Aufwand in die Tat umsetzen.

Herr Ministerpräsident, reden Sie nicht immer nur von der Bildung. Starten Sie endlich Ihre gebetsmühlenartig angekündigte Bildungsoffensive!

Das Interesse der jungen Leute an einem solchen Ausbildungsgang ist da. Der Wille bei den Unternehmerinnen und Unternehmern ist da. Die Ressourcen in unseren Bildungseinrichtungen sind auch da, wenn wir nur wollen

Was fehlt ist nur eine Regierung, die sich endlich engagiert.

Machen wir Ihr Beine! Machen wir dieser Regierung Beine!


Schlusswort:

Ich denke, in der Diskussion ist sehr deutlich geworden, wie groß der Handlungsbedarf ist.

Das dies vom Wirtschaftssprecher der CDU nicht verstanden wird, wundert mich nicht, hat er sich doch bisher nur als Papagei des Herrn Schommer betätigt. Und die Orientierungslosigkeit der CDU Fraktion, die sich hier ausdrückt sieht so aus, als wäre die Elbe durch ihre Fraktionsbüros gerauscht und hätte den letzten Rest auch noch weggespült.

Was verstehen Sie, vom sächsischen Mittelsstand, was verstehen sie von den Sorgen eines Unternehmers, der selber und seine Familie, persönlich für alles in Millionenhöhe haftet und eine unglaublich Verantwortung für seine Mitarbeiter und deren Familien hat. Wissen Sie, wie es ist, jeden Monat, am Tag des Herrn einige hundertausend EUR Löhne und Gehälter zu zahlen, unabhängig, ob Kunden zahlen oder Pleite gehen?

Sie wissen es nicht und Sie haben nicht einen einzigen Mittelständischen Unternehmer bei Ihren sogenannten Wirtschaftsexperten hier.

Sie reden über Wirtschaftspolitik und Mittelstand, wie über eine andere Welt.

Unsere Betriebe brauchen gut ausgebildeten Nachwuchs – und davon eher mehr als weniger. Und unsere jungen Menschen brauchen eine Ausbildung, die ihnen Tore öffnet. Die sie auf Zukunft programmiert. Sonst werden sie Sachsen noch mehr den Rücken kehren.

Die Berufsausbildung mit Fachabitur kann ein solches Tor sein. Die Unterstützung der Wirtschaft ist ihnen sicher. Entsprechende Bildungseinrichtungen stehen zur Umsetzung ebenfalls bereit.

Insofern ist das, was uns die Regierung in ihrer Antwort anbietet ein Witz. Und zwar ein sehr schlechter. Es regiert mal wieder das alte Motto „Machen wir doch schon“. Ein doppelt qualifizierender Abschluss im Bau kann ja wohl nicht im Ernst die Antwort auf die Probleme sein, die wir haben. Zukunftsfähigkeit werden das die jungen Leute jedenfalls nicht nennen.

Nehmen Sie Mecklenburg-Vorpommern. Dort knüpft man an die Erfahrungen der BMA an. Seit letztem Jahr gibt es dort den Schulversuch Berufsausbildung mit allgemeiner Hochschulreife. Allerdings in vier Jahren, gerechnet ab der 10. Klasse. Die Kolleginnen und Kollegen von der PDS sollten sich besser erst mal dort umschauen, wo ihre Kollegen die ideologischen Scheuklappen bereits abgelegt haben.

Herr Ministerpräsident, Sie selbst haben im Mai d.J. gesagt, „Wir in Sachsen wollen bald so erfolgreich sein wie Bayern“. Da hatten Sie auch noch eine leuchtende Perspektive für die Bundestagswahl am 22.September.

Nun, dieser eine Bayer, Edmund Stoiber, das blonde Fallbeil – war nicht sonderlich erfolgreich auf seinem Weg nach Berlin. Er ist Kandidat geblieben und wird es auch bleiben und zu recht. Da haben Sie sich mit dem Bayern kräftig überhoben und was die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Bayern angeht ist es verständlich, wenn Stoiber ins Stottern gerät

Aber, ab und an kann man auch von Bayern lernen. Denn in Bayern gibt es seit 1994 den Modellversuch „Duale Berufsausbildung und Fachhochschulreife“ in nur drei Jahren. Alle Beteiligten sprechen dort von sehr positiven Erfahrungen. Die Teilnehmer der Berufsabschlussprüfung und der Abiturprüfungen erreichen dort überdurchschnittliche Ergebnisse. Neben die Industriemechaniker, Energie-elektroniker, Werkzeugmechaniker und Versicherungskaufmänner sollen nun auch noch Mechatroniker hinzukommen.

Noch ein paar Sätze zu den Änderungsanträgen: Wir haben hier einen Änderungsantrag 3-7121 der CDU. Damit will die CDU sich noch einmal berichten lassen über die Modellversuche DOBA und KASU.

Gegen einen neuerlichen Bericht haben wir nichts. Gleichwohl halten wir die umgehende Erprobung der Berufsausbildung mit Fachabitur aufrecht. Wir wollen den Änderungsantrag der CDU deshalb gerne aufnehmen, allerdings nur ergänzend zu unseren bisherigen Forderungen.

Deshalb meine Damen und Herren, bitte ich Sie um Ihre Zustimmung zu unserem Antrag.

Die Unternehmen sind bereit, die entsprechenden Bildungseinrichtungen sind bereit!

Was hindert uns, für den sächsischen Mittelstand, die sächschischen Unternehmen, endlich Nägel mit Köpfen zu machen.

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: