Karl Nolle, MdL

Verband Druck u. Medien in Sachsen, Thüringen u. Sachsen-Anh., Leipzig, Hotel Ramada, 30.04.2004

Karl Nolle: "Alles hat seinen Preis - Würde hat keinen Preis"

Rede auf der Jahreshauptversammlung des Arbeitgeberverbandes
 
Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen der schwarzen Zunft,
liebe Gäste, meine Damen und Herren,

Ich möchte heute, als Ostdeutscher Unternehmer, das wird Sie nicht wundern, etwas sagen zu einigen Aspekten der allgemeinen wirtschaftlichen Bedingungen in den neuen Bundesländern, zur Entwicklung unserer Branche und schließlich zu einigen, vielleicht eher konservativen Gedanken.

In den letzten Wochen haben sich ja jede Menge Spezialisten und selbsternannte Experten für den Aufbau Ost zu Wort gemeldet, bei denen ich mich manchmal frage, wo sie eigentlich in den 8 Jahren unter Helmut Kohl und den letzten 5 Jahren unter Gerhard Schröder gelebt haben.

Einige sehen heute doch allen Ernstes, ganz erstaunt, Probleme der demographischen Entwicklung in den neuen Ländern.

Aber, meine Damen und Herren, die Zahl der 15 Jährigen ist seit 15 Jahren bekannt und die Zahl der 60 Jährigen seit 60 Jahren. Warum dann so erstaunt?

Das, was die Bevölkerungsstatistiker mit demografischer Falle bezeichnen, findet in nur 3 (!) Jahren statt. Dann geht die Zahl der 15jährigen – oder anders gesagt, die Zahl der potentiellen Azubis und Facharbeiter – schlagartig zurück, sie hat sich dann seit 1999 von z.B. ehemals 60.000 in Sachsen auf 30.000 im Jahr 2007 halbiert. Das ist das Ergebnis des radikalen ostdeutschen Geburteneinbruchs nach der Wende!

Zur gleichen Zeit wird sich die Zahl derjenigen, die in Rente gehen, innerhalb weniger Jahre verdoppeln. Ursache dafür sind die nach 1945 gravierend angestiegenen Geburten in Deutschland.

Was hat das für Auswirkungen auf unsere Unternehmen?

Wenn besonders viele ältere Menschen in Rente gehen, haben wir keine jungen Menschen mehr, die deren Arbeitsplätze einnehmen können. Denn entweder sind sie nicht geboren oder aber sie sind abgewandert. (Wobei die Abwanderung und deren Folgen auf die Geburtenentwicklung hier noch nicht eingerechnet ist.)

Wenn man diese Entwicklung marktwirtschaftlich betrachtet, heißt dass vor allem zwei Dinge:

- Wer Wettbewerb zwischen den Azubis wird geringer – und damit auch deren Ansporn. Das heißt für uns Unternehmer, die Auswahl auf der Angebotsseite wird kleiner.

- Weniger potentielle Arbeitskräfte bedeutet weniger Auswahl an guten Leuten und das heißt auch, mit der Nachfrage nach guten Leuten steigen die Löhne.

Dann wird der Kampf um die guten Leute härter. Auch deshalb, weil wir versuchen müssen, die Leute davon abzuhalten, in den Westen zu gehen, weil wir sie hier brauchen. Den zu prognostizierenden Facharbeitermangel kann man also durchaus kennen, wenn man den Zahlen der statistischen Landesämter glaubt.

Diese demografische Falle, wie die Statistiker sagen, ist so neu nicht und sie kommt vor allem nicht überraschend.

Logisch ist auch, dass von 2007 aus gesehen drei Jahre später, also 2010, ein Mangel an Abiturienten herrschen wird.

Weiter gedacht in den Jahren 2014/2015, also acht bis zehn Semester später, wird eine Halbierung der Zahl der Hochschulabsolventen eintreten.

Das ist eigentlich alles nicht überraschend, aber bei denen, die nur in Legislaturen denken und handeln, scheint es immer wieder ein Mysterium zu sein.


Anrede,

Der Angleichungsprozess des Ostens an den Westen, die Konvergenz, ist beim wichtigsten Indikator, der Wirtschaftsleistung je Einwohner, dem Bruttoinlandsprodukt, zum Stillstand gekommen. Er liegt seit 1996 bei konstant etwa 62 % der Leistung in den alten Bundesländern (incl. Berlin).

Ohne den Bevölkerungsverlust, die Abwanderung nach Westen, hätte sich die Ost-West-Schere vermutlich noch weiter geöffnet. Die neuen Bundesländer liegen deutlich um ca. ein Viertel - unter dem Niveau der schwächsten alten Bundesländer wie Saarland und Schleswig-Holstein und Reinland/Pfalz (diese erreichen immerhin 84 % des westdeutschen Niveaus). Und seit geraumer Zeit wächst das ostdeutsche Bruttoinlandsprodukt langsamer als das westdeutsche.

Gleichzeitig schrumpft die Bevölkerung im Osten um jährlich etwa 0,6 %, mit leicht steigender Tendenz. Die ostdeutschen Bundesländer sind längst nicht mehr auf einem Konvergenzpfad es gibt keine Tendenz der Angleichung mehr. Bei mehr oder minder konstantem sehr großen Abstand zu den alten Bundesländern entwickeln sich die Neuen Bundesländer auf niedrigem Niveau.

Was hat es noch vor drei Jahren für einen Sturm der Entrüstung gegeben um Wolfgang Thierses These „der Osten steht auf der Kippe“. Ich erinnere mich noch sehr gut an Sachsens Wirtschaftsminister Kajo Schommer und des Kanzlers Ostbeauftragten Rolf Schwanitz, für die Thierses These eine Provokation von Träumern war, die die Wirklichkeit nicht sehen wollten. (Interessanterweise waren sich beide damals auch darin einig, dass es ein Problem mit der Bevölkerungsentwicklung und der Abwanderung eigentlich nicht gab, oder nicht geben durfte.)


Anrede

Heute steht Ostdeutschland nicht auf der Kippe, es ist auf dem beschriebenen niedrigen Entwicklungspfad „gekippt" und wird dort auch mit hoher Sicherheit auf lange Sicht verharren. Aber es gibt, gottseidank, wenig Anzeichen dafür, dass der (relative) Abstand zum Westen noch größer wird.

Die ostdeutsche Arbeitslosenquote ist unverändert mehr als doppelt so hoch wie im Westen. Die besten ostdeutschen Arbeitsmarktbezirke erreichen ein Niveau der Arbeitslosigkeit, das leicht unter dem Niveau der schwächsten westdeutschen Arbeitsamtsbezirke liegt.

Die faktische Unterbeschäftigung ist noch wesentlich höher, wenn die Menschen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zu den Arbeitslosen hinzugezählt werden.
Die Vereinigung hat nach 14 Jahren die deutsche Regionalstruktur grundlegend verändert. Vergleicht man sie mit einem mehrstöckigen Haus, oben die starken Bundesländer, im Erdgeschoss die schwachen westdeutschen Flächenländer (Saarland und Schleswig-Holstein), dann ist ein großes Kellergeschoss mit den ostdeutschen Ländern hinzugekommen – das sind 16,6% der Einwohner Deutschlands, die 11,1 % des deutschen BIP erwirtschaften und das liegt immer noch 25 % unter dem Niveau von Rheinland/Pfalz.

Die Politik war bis heute nicht in der Lage oder willens, diese Entwicklung zu verhindern. Und wahrscheinlich wird dies auf lange Sicht auch so bleiben. Der Hauptgrund dafür ist die Deindustrialisierung, die zu einer sehr kleinen regionalen „Exportbasis" geführt hat und Ostdeutschland zu einer teuren Transferökonomie gemacht hat, mit einer für eine eigenständige Regionalentwicklung mit Angleichungstendenz unzureichender neuen Wirtschaftsbasis.

Die ostdeutsche Wirtschaft ist unverändert durch eine große Produktionslücke gekennzeichnet.

Das in Ostdeutschland erzeugte Bruttoinlandsprodukt ist viel kleiner als das Einkommen der Menschen in dieser Region.

So hängt die ostdeutsche Volkwirtschaft, ob wir wollen oder nicht, wie ein Mühlstein am Hals der Westdeutschen.

Anrede

Die ostdeutsche Strukturschwäche ist ein gesamtwirtschaftliches Problem in doppelter Hinsicht. Zum einen: zahlt die Bundesregierung und zahlen die west-deutschen Länder, aber auch die Sozialversicherungen, Jahr für Jahr ca. 4 % des westdeutschen BIP an ostdeutsche Privathaushalte, öffentliche Haushalte und Unternehmen.

Zum anderen werden damit die Finanzen des Staates und der Sozialversicherungen empfindlich belastet, es mangelt an Finanzkraft zur Bewältigung bundesweiter Zukunftsaufgaben.

Treten, die von vielen Wirtschaftsexperten prognostizierten und von allen erhofften positiven Resultate der Berliner Reformpolitik, nämlich Wirtschaftswachstum, steigende Beschäftigung und sinkende Arbeitslosigkeit absehbar nicht ein, so werden wir uns wohl geduldig auf eine lange Stagnationszeit einstellen müssen.

Die Wahrheit ist: Die ostdeutsche Wirtschaft wird „passiv saniert", wie die Regionalökonomen etwas zynisch das langsame ökonomische Auszehren von Regionen nennen.

Die Abwanderung wird weiter anhalten, auch aus demografischen Gründen geht die Bevölkerungszahl gegen Ende dieses Jahrzehntes kräftig zurück, viele Arbeitslose kommen ins Rentenalter, nach 2010 sinkt das Erwerbspersonenpotential deutlich (die geburtenschwachen Jahrgänge der Wendejahre kommen auf den Arbeitsmarkt) und entlastet scheinbar den Arbeitsmarkt.

Andererseits wird die geringere Einwohnerzahl auch das regionale Wirtschaftswachstum bremsen, so dass auch die Arbeitskräftenachfrage gedämpft wird. Ob es dann wirklich zu einer Entlastung am Arbeitsmarkt kommt, ist offen.
Wie entwickelt sich dann die Binnennachfrage, die private und öffentliche Nachfrage, wie entwickelt sich dann Kaufkraft im Lande, wie viel Geld können die Leute dann noch ausgeben?

Anrede

Die Transferökonomie mit ihrer Produktionslücke wird auf lange Sicht aufrecht erhalten bleiben. Von einer sich selbst tragenden Entwicklung in Ostdeutschland wird auch längerfristig nichts zu spüren sein.

„Passive Sanierung" bedeutet aber nicht, dass sich alle Unternehmen in der Region schlecht entwickeln oder schwach sind und bleiben. Im Gegenteil, in Ostdeutschland befinden sich viele Unternehmen, insbesondere im Verarbeitenden Gewerbe, die gesund, expansiv und dynamisch sind. Für sie ist der „Standort" in Ostdeutschland durchaus gut. Nur ist diese Dynamik und deren Basis viel zu klein, um eine große Region von 13 Millionen bzw. 17 Millionen Menschen mit Berlin ökonomisch zu tragen.

Nachdem sich in den letzten Jahren gezeigt hatte, dass Ostdeutschland den Konvergenzpfad verlassen hat und es sich nicht um eine vorübergehende „Stockung" handelt, ist offensichtlich auch der anfangs bestehende Konsens über die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West verloren gegangen.

Die Mehrheit der Bevölkerung und quer durch die Parteien, so scheint mir, die Dauerhaftigkeit des derzeitigen West-Ost-Gefälles klammheimlich akzeptiert zu haben, spätestens nachdem Wolfgang Thierses Mahnungen, der Osten stünde „auf der Kippe", ohne Wirkung verhallt sind.

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Was nötig wäre, ist die Suche nach einem neuen Konsens für die Wirtschaftspolitik Ost, nötig wäre ein neuen Anlauf für den Aufbau Ost.

Es ist ein Trugschluss anzunehmen, dies sei nur für den Osten gut und ginge zulasten des Westens der Republik. Die Politik der „passiven Sanierung", die Akzeptanz der Abkoppelung, ist die teuerste Variante der deutschen Einheit.
Und eines ist auch klar, die Ökonomie rächt sich gnadenlos an der Politik, ganz zu schweigen von den Stimmen des Wahlvolkes.

Anrede

Die anhaltend schwache Binnenkonjunktur, das nachlassende Geschäft der Verlage und die rückläufigen Werbeausgaben der Wirtschaft haben die Umsätze der Druckunternehmen auch 2003 wieder unter das Vorjahresniveau sinken lassen.
Auch wenn der Rückgang mit einem Minus von 2,5 % nur noch halb so hoch wie im Jahr zuvor ausfiel, gilt die Ertragslage der Unternehmen nach wie vor als unzureichend.

Der Umsatzrückgang ist allein auf sinkende Umsätze im Inland zurückzuführen, die minus 5,4 % betrugen. Das Auslandsgeschäft der Druckindustrie war dagegen mit einem Plus von 22,2 % deutlich aufwärts gerichtet. Trotz steigender Kapazitätsauslastung in der zweiten Jahreshälfte blieb der Auslastungsgrad im Jahresdurchschnitt 2003 mit 81,1 % noch auf dem niedrigsten Stand seit 20 Jahren. In Folge der anhaltenden Umsatzrückgänge hat sich auch der Personalabbau beschleunigt.

Nachdem die Zahl der Beschäftigten 2002 bereits um 5,4 % gesunken war, kam es 2003 zu einem weiteren Rückgang um 6,1 %. Mitverantwortlich war hierfür auch die hohe Zahl an Insolvenzen, die im Jahr 2003 um 20 % zugenommen haben und mit 366 Firmenzusammenbrüchen (das sind. rund 2 % der Unternehmen) auf Rekordniveau liegen.

Eine massive Wirkung hat der Rückgang der Erträge auf die Investitionstätigkeit der Branche gehabt. Im Jahr 2002 sanken die Bruttozugänge an Sachanlagen um fast 20 % zum Vorjahr, nachdem sie bereits im Jahr 2001 um 10 % unter das entsprechende Vorjahres-niveau gefallen waren.

Vertraut man der Umfrage des Ifo-Instituts, dann sind auch 2003 die Investitionen in der Druckindustrie um weitere 15 - 20 % gesunken.
Die Investitionsquote, gemeint ist damit der Anteil der Investitionen am Umsatz, sank zwischen dem Jahr 2000 und 2002 von 7,4 % auf 5,7 % und erreichte den niedrigsten Wert seit 20 Jahren.

Je Beschäftigten hatten die Betriebe im Boomjahr 2000 noch 9.500 Euro investiert, 2002 mit 7.240 Euro knapp ein Viertel weniger. Auch für das laufende Jahr waren die Investitionspläne der Unternehmen noch sehr zurückhaltend.

Die Aussagen im Rahmen des ifo Investitions-Tests fielen jedoch sehr unterschiedlich aus. Von den Teilnehmern wollen 44 % im Jahr 2004 mehr als 2003 investieren, 1 % planen gleich hohe und 49 % niedrigere Anlagenzugänge, so dass wir auch im drupa Jahr 2004 noch nicht mit einer spürbaren Wende der Investitionsneigung rechnen können.

Die Geschäftsentwicklung in der Druckindustrie im ersten Quartal 2004 enttäuschte. Viele Unternehmen hatten mit einer zunehmenden Belebung nach der Aufwärtstendenz des 2. Halbjahres 2003 in den ersten Monaten des Jahres 2004 gerechnet. Die Entwicklung war ungünstiger als am Ende des Jahres 2003. Allerdings war die Geschäftslage trotz der Verschlechterung weniger ungünstig als vor Jahresfrist.

Der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung im Jahr 2004 blicken wir mit vorsichtigem Optimismus entgegen. Wir erwarten, dass die Druckindustrie 2004 erstmals seit 2000 wieder mit einem leichten Wachstum von 1 bis 2 % rechnen kann.

Die Hoffnungen auf Besserung basieren zum einen auf der erwarteten Überwindung der Werbeflaute. (Unter dem unbefriedigendem Werbeklima litten die Print-Medien offensichtlich wesentlich stärker als die elektronischen Medien.)
Zum anderen wird sich die prognostizierte moderate gesamtwirtschaftlichen Belebung, positiv auf die Bestelltätigkeit wichtiger Abnehmerbereiche der Verlage, der Industrie, des Handels und anderer Dienstleistungssektoren auswirken.

„Auch kurz vor der drupa 2004 können wir noch nicht von einem wirklich positivem Investitionsklima in der deutschen Druckindustrie berichten", sagte der Präsident des Bundesverbandes Druck und Medien, Rolf Schwarz, vor einigen Tagen anlässlich einer Wirtschaftspressekonferenz in Düsseldorf.
A pro po drupa, dort wird das neue und doch nicht so neue Zauberwort „Vernetzung“ sein.

Nachdem es in den vergangenen Jahren viele Relativierungen bezüglich einer umfassenden Vernetzung der Kommunikations- und Datenströme innerhalb der Betriebe der Druckindustrie gegeben hat, haben sich die Voraussetzungen inzwischen erheblich verbessert. Gefördert wurde das natürlich auch durch die bevorstehende DRUPA, die einen erheblichen Innovationsdruck auf die Betroffenen ausübte.

Mit dem industriellen Standard JDF, dem job definition format, steht nun die erforderliche Technologie zur Verfügung. Die Softwareanbieter und Systemhersteller im Bereich der Druckindustrie sind dabei, praxis-gerechte Lösungen zu entwickeln, die die vielschichtigen Produktionsstrukturen der Branche berücksichtigen. Es ist abzusehen, dass bald zahlreiche Anwendungen auf der Basis der JDF-Technologie breit angeboten werden.

Anrede

Auch wenn sich immer mehr Firmen den neuen Medien öffnen, bleiben doch der hochwertige Qualitätsdruck, die Druckweiterverarbeitung bis hin zum Mailing, zur Personalisierung und zur Adressverwaltung die Kernkompetenzen unserer Branche.

Damit können zugleich Kunden gebunden und der stark über den Preis abgewickelte Konkurrenzkampf bei reinen Druckleistungen ermindert werden.

Wir müssen Dienstleistungen und möglichst innovative Produkte und Zusatznutzen verkaufen - nicht Preise!

Und noch ein Aspekt, ich bin mir sicher, die größten Reserven die wir im Interesse unserer Firmen mobilisieren können, liegen in uns selber. Sie zu erkennen und zu heben ist meiner Meinung nach unsere wichtigste Aufgabe.

Es ist die Fähigkeit - unsere Mitarbeiter, ihre Motivation, ihr Engagement und ihre Erfahrung für die Prosperität unser Unternehmen zu mobilisieren.


Anrede

Lassen Sie mir zum Schluss noch über einige, vielleicht provokante Gedanken zur sozialen Verantwortung und zu Werten sprechen, die heute, wie mir scheint, in Vergessenheit zu geraten drohen.

Reform - das halte ich für ein ausgeleiertes Wort, wenn man sich die grundlegende Aufgabe ansieht, vor der die heutige Politik steht, egal wer regiert. Denn es geht nicht um eine neue Variation misslicher Zustände, nicht um das Recyceln vergangener Reformen. Es geht um nicht weniger als um die Zukunft unserer sozialen Demokratie in Zeiten gewaltiger Staatsverschuldung.
Die Politik benimmt sich seit Jahren bei der Reform des Sozialstaats wie ein tapsiger Lehrling bei der Reparatur eines wackeligen Tisches: Es wird einmal da und dann wieder dort an einem Fuß ein Stück abgesägt; und die Sägerei reihum nimmt kein Ende mehr. Der Tisch aber bleibt wackelig, und seine Beine werden immer kürzer.

Aber, meine Damen und Herren,

nicht die Polizei und nicht die Justiz waren jahrzehntelang Garant des inneren Friedens in diesem Land; nicht Strafrechtsparagrafen und nicht Sicherheitspakete haben für innere Sicherheit gesorgt. Garant für den inneren Frieden in diesem Land war der Sozialstaat. Er war das Fundament der Prosperität, er war die Geschäftsgrundlage für gute Geschäfte und er verband politische Moral und ökonomischen Erfolg.

Wer den Sozialstaat jetzt notschlachten lässt, um das Futter zu sparen, der beendet den inneren Frieden.

Wer ihn aber einfach in dem maladen Zustand belässt, in dem er sich jetzt befindet, der gefährdet den inneren Frieden auch.

Zumutungen, die man einem 30-Jährigen auferlegen kann, können für einen, der mit 55 Jahren schon ein langes Arbeitsleben hinter sich hat, unzumutbar sein.
Eine Reform verliert das Fairness-Siegel, wenn sie Rechtschaffenheit derart bestraft. Und sie verdient das Siegel von vornherein nicht, wenn sie ihre Zumutungen einseitig nur den abhängig Beschäftigten auferlegt.

Zur Reformakzeptanz gehört selbstverständlich das Gefühl, dass es dabei gerecht zugeht. Verteilungsgerechtigkeit ist nicht nur dann ein wichtiges Prinzip, wenn der Staat etwas gibt, sondern auch dann, wenn er etwas nimmt und wenn er Opfer fordert.

Unser Sozialstaat hat eine Erfolgsgeschichte hinter sich. Er hat zunächst dafür gesorgt, dass Kriegsinvalide und Flüchtlinge einigermaßen leben konnten. Dann hat er dafür gesorgt, dass auch die Rentner etwas vom Wirtschaftswunder hatten. Er hat dafür gesorgt, dass auch ein Kind aus einfachen Verhältnissen studieren konnte und heute Bundeskanzler sein kann.

Der Sozialstaat war eine Art persönlicher Schutzengel für jeden Einzelnen. Ihn heute verächtlich zu machen, ist nicht Ausdruck von cooler Selbstverantwortung, sondern von Überheblichkeit und Dummheit. Er kümmerte sich in dem Maße, in dem der Wohlstand in Deutschland wuchs, nicht nur um das blanke Überleben von Bürgern, sondern um ihre Lebensqualität. 'Teilhabe" nannte man das in den siebziger Jahren.

Ohne den Sozialstaat hätte es nicht nur einmal gekracht in dieser Republik; der Sozialstaat hat soziale Gegensätze entschärft.
Ohne Sozialstaat könnte man heute nicht auf immer noch ziemlich hohem Niveau darüber klagen, dass es diesem Land schon einmal besser ging.
Ohne den Sozialstaat hätte es wohl keine deutsche Einheit gegeben.
Aber ohne die Einheit, die von den Sicherungssystemen finanziert wurde, wäre der Sozialstaat auch nicht so in Schwierigkeiten geraten.
Der Sozialstaats braucht neue Kraft, er braucht eine Therapie, eine Generalüberholung und Stärkung, nicht ein Insolvenzverfahren.

Anrede

Unsere Gesellschaft wird von mehr zusammengehalten als nur von der Summe der Betriebswirtschaften, so wichtig die Betriebswirtschaften auch sind. An der Stelle denke ich vielleicht sehr konservativ.

Als Immanuel Kant, dessen 200. Todestag wir in diesem Jahr gedenken, in der „Kritik der reinen Vernunft“ die Grundfragen der Philosophie aufführte:
Was kann ich wissen?
Was soll ich tun?
Was darf ich hoffen?
fehlte die vierte Frage, die er in seinen „Vorlesungen zur Metaphysik" formuliert hatte:Was ist der Mensch?

Kant hat sehr viel über den Menschen und die Unwiederholbarkeit seiner Persönlichkeit ausgedrückt. Würde hat keinen Preis, sagt er.

Alles andere in der Welt hat einen Preis, nur der Mensch hat Würde.
Nicht Vernunft unterscheidet den Menschen von allen übrigen Lebewesen, sondern seine Autonomiefähigkeit und seine Würde.

Vielleicht sollten wir Unternehmer und Manager, die wir von Globalisierungsgesetzen und Verantwortung sprechen, uns eine der entscheidenden Formulierungen des Kategorischen Imperativs zu Herzen nehmen.
„Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest."

Mit Preisen, Tauschwerten und Äquivalenten haben wir es ja Tag und Nacht zu tun. Aber es wird immer dringender, auch über das nachzudenken, was Achtung und Anerkennung für unser gesellschaftliches und individuelles Wohlergehen bedeuten.
Ich bin mir sicher, das sind keine abstrakten Gedanken, die ich hier äußere.
Arbeit und menschliche Würde ist ein zentrales Thema geblieben, und menschenwürdige Arbeit wird nach wie vor in der Werteskala der Wünsche und Träume der Menschen sehr hoch angesetzt.

Fragt man heute unter erwachsenen Erwerbstätigen, was die Qualität von Arbeit, von guter Arbeit, auszeichnet, ist unter den ersten zehn Punkten alles mögliche zu finden.

Aber Geld steht erst an siebenter Stelle.

74 % der Befragten geben dagegen an: „Ich will bei der Arbeit wie ein Mensch behandelt und als Person geachtet werden."

Meine Damen und Herren, liebe Kollegen,

Anerkennung, Achtung, Würde – das hat eben keinen Preis.



Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: