Karl Nolle, MdL

Rede im Plenum des Sächsischen Landtages, 18.01.2001

Rede zur katastrophalen Situation in der Lausitz - Abwanderung und Arbeitslosigkeit

Die Staatsregierung hat kein besonderes Entwicklungskonzept für die Lausitz
 
Frau Präsidentin,
Meine Damen und Herren Abgeordnete

Das Thema Lausitz, der von uns geforderte Lausitzbeauftragte und dessen dringende Aufgaben steht heute erneut auf der Tagesordnung und das ist gut so.

Sie dürfen getrost davon ausgehen, daß die SPD Opposition im Sächsischen Landtag ihren Wählerauftrag beharrlich verfolgt, die blinden Stellen der Regierungspolitik immer und immer wieder anzuprangern.

Unser Verständnis von Oppositionspolitik in Sachsen ist nicht das Gesundbeten und unter den Teppichkehren und auch nicht das Schommersche Weihrauchschwenken.

Mit Theodor Heuss sollten Sie sich trösten meine Damen und Herren von der CDU: "man muß das als gegeben hinnehmen: Demokratie ist nie bequem"

Ja, wir prangern die blinden Stellen ihrer Politik an! Die Lausitz ist eine blinde Stelle Ihrer Politik meine Damen und Herren. Die Lausitz steht stellvertretend für die von Ihnen so genannten "Gebiete mit besonderen Entwicklungsaufgaben" in Sachsen.
Diese Gebiete sind die vergessenen und verdrängten Regionen des Freistaates. Es sind Regionen, die den dort lebenden Menschen Tag für Tag das Versagen christdemokratischer Wirtschafts- und Sozialpolitik sinnlich erfahrbar machen.

Es sind die armen Regionen des Freistaates.

Was für eine Geringschätzung und Beleidigung der fleißigen und engagierten Menschen in der Lausitz, im Erzgebirge, im Südraum Leipzig, in Nordsachen, ist Ihre Politik, die verantwortlich dafür ist, daß die Arbeitslosigkeit weiter steigt und vor allem Das ist besonders bitter, die Jugendarbeitslosigkeit um 15% zugenommen hat.

Dazu kommt eine beispiellose Abwanderung der Menschen, die ihre angestammte Heimat verlassen müssen, weil Ihnen hier unter der Verantwortung des Prof. Biedenkopf keine Lebensperspektive mehr bleibt.

Heute hat Sachsen mit 242 Einwohnern je qkm die geringste Bevölkerungsdichte seit 100 Jahren und die Lausitz mit 81 Einwohnern trägt die rote Laterne.
Fast eine halbe Million Menschen sind seit 1990 aus Sachsen weggegangen, davon fast 200 000 unter 30 Jahren. Zusammen mit den fast 500 000 Arbeitslosen und ABM- Betroffenen sind das eine Million Menschen, das sind 1 Million Sachsen, werte Kollegen.

Eine Million, oder 20 % der Bevölkerung, die in diesem Sachsen mit Ihrer christdemokratischen Politik keine Perspektive hatten und haben.

Die Ergebnisse dieser Politik, sind eine Beleidigung und Geringschätzung der fleißigen und qualifizierten Menschen in den armen Regionen dieses an Geschichte so reichen Landes.

Für unseren Ministerpräsidenten ist die dramatische Abwanderung aus Sachsen kein Grund zur Beunruhigung. Die Abwanderung soll keineswegs gestoppt werden.

"Es ist schon gut, wenn die Jungen Leute mal ihre Nase woanders reinstecken um dort zu lernen und arbeitslos ist man auch anderswo".

Was für ein professoraler Sarkasmus?
Der Exodus der Menschen aus den vergessenen Regionen, hier die Lausitz, zeigt das heutige Dilemma von Wirtschafts- und Sozialpolitik auf, in das die sächsische Politik als Ergebnis bewußten politischen Handelns in Bund und Land seit der Wende geraten ist.

Diejenigen, die Füsse zum Laufen haben, die flexibel, mutig, risikobereit und jung sind, gehen weg. Mit ihnen gehen auch die potenziellen Jungunternehmer und zukünftige Selbstständige, es geht ein Teil der Elite.

Was für kurze Zeit nach der Wende mal ein Standortvorteil für den Osten sein sollte, nämlich niedrigere Löhne, verkehrt sich heute eindeutig in das blanke Gegenteil. Merkt das keiner ?

Wer hat eigentlich in den letzten 10 Jahren regiert beim Dr. Kohl im Bund und beim Prof. Biedenkopf in Sachsen?

Welche Wahrhaftigkeit haben Sie gemeint, meine Damen und Herren von der CDU, als Sie damals 1990, so voller Ideale auf die Straße gingen, gegen das bankrotte System?
Wer den katastrophalen Stillstand und die Abstimmung mit den Füssen kennt und es nicht wahr haben will, wer die Sorgen der Eltern, die ihre Söhne und Töchter
wegschicken müssen, nicht registriert, wer die enttäuschten Großeltern nicht versteht, wie sie klagen, wenn ihre Enkel hier keine Perspektive mehr haben, wer meine Damen und Herren dieses Gefühl der Ohnmacht nicht ernst nimmt, der redet diese Land schlecht, der macht dieses Land schlecht.

War das Ihre Wahrhaftigkeit von damals ?

Und ich füge hinzu: der macht sich schuldig an den enttäuschten Lebensperspektiven der Menschen in den armen Regionen diese Landes, weil er kein Gefühl, keinen Eifer vermittelt, für den dringenden, ja dramatischen Kurswechsel, der unternommen werden muß.

Demokratie ist Herrschaft auf Zeit !

Herr Professor Biedenkopf, jetzt ist es Zeit für einen Kurswechsel oder für den
Offenbarungseid.
Die Gesundbeter wider besseres Wissen, das sind die Hindernisse für den notwendigen Kurswechsel in Sachsen.

Von der Kaffeeterasse am Chiemsee aus betrachtet hat man natürlich eine andere Perspektive, Herr Prof. Kurt Biedenkopf, und eine andere Zukunft, ohne lästige Widersprüche und Widerworte.

Was soll man auch die so erfolgreiche Politik ändern, wenn die Wähler es noch nicht wollen, da die Unzufriedenen gottseidank zur Entlastung des politischen Gewissens weiter und weit weggehen.

Bei diesem professoralen Sarkasmus fällt mir ein Satz von Max Planck ein:

"Irrlehren der Wissenschaft (und Politik) brauchen fünfzig Jahre, bis sie durch neue Erkenntnisse abgelöst werden, weil nicht nur die alten Professoren, sondern auch deren Schüler aussterben müssen".

Die Sächsinnen und Sachsen sollten dafür sorgen, daß dieses Regime der Schönfärberei nicht mehr ganz so lange im Amte ist.
Meine Damen und Herren!

Von der Ober- zur Niederlausitz geht es genauso bergab, wie bei den Statistiken zur Entwicklung der Lausitz. Deren Auswertung ist eine Hausaufgabe für den Lausitzbeauftragten.

Die aktuelleste Meldung: der Arbeitsamtsbezirk Bautzen verzeichnet sachsenweit die höchste Arbeitslosenquote mit 20,1 %. Das dies auch ein "trauriges" Ergebnis sächsischer Wirtschaftspolitik ist, verdeutlicht auf der anderen Seite die positive Entwicklung in Dresden. Die hier geschaffenen "Leuchttürme" beleuchten die - mit 14,1 % - niedrigste Arbeitslosenquote sachsenweit.

Man kann die historische Tradition der Wanderschaft hoch halten, wie man will. Aber wenn die Jugend der Arbeit hinterherläuft und damit meistens endgültig wegzieht, geht ein gewaltiges Potential verloren, diese Abwanderung tötet die Zukunft unseres Landes.

Eine Zukunft in der auch kein Lausitzbeauftragter mehr gebraucht wird.

Für was steht die dramatische Abwanderung:

1. Der Vorteil des Niedriglohnlandes Sachsen hat sich in sein Gegenteil verkehrt. Die Leute wollen angemessen bezahlt werden. Also ziehen die Leute dorthin, wo das der Fall ist.

z. Damit gehen dem Land die Facharbeiter verloren. Viele Industriezweige klagen bereits über Facharbeitermangel, fragen Sie mal nach bei den Chefs der IHKs..

3 . Mit der Abwanderung werden regionale Wirtschaftskreisläufe zerstört. Immer weniger Leute kaufen immer weniger Brötchen. Immer weniger Leute gehen immer weniger zum Friseur. Immer weniger Leute gehen immer weniger ins neugebaute Schwimmbad. Immer weniger Leute zahlen hier Steuern.

Diese Spirale nach unten müssen wir aufhalten. Sie zerstört dieses Land. Eine Politik, die die Leute aus dem Land treibt, ist eine falsche, verhängnisvolle Politik. Und das ist ihre christdemokratische Vertreibungspolitik.
Die fleißigen Sachsen haben ein Recht darauf die Wahrheit zu hören und nicht permanent eingelullt zu werden - ein Recht auf eine Politik, die die Leute ins Land zurückholt.

Doch dazu haben Sie bisher keine Grundlagen legen wollen. Wo sind denn die vor 6 Jahren beschlossenen Regionalen Strukturentwicklungspläne.

Ich kenne keinen einzigen. Wo sind sie denn? Schauen Sie mal nach, im warmen Stall Ihrer königlichen Amtsschimmel.

Da können wir, meine Damen und Herren, doch, anstatt hier im Plenum dringende Hausaufgaben für die Staatsregierung zu beschließen, die Ergüsse des sächsischen Landtages gleich im Bermudadreieck verschwinden lassen. Jedenfalls mit gleicher Wirkung des satten königlichen Müßiggangs.

Glauben sie bloß nicht, sie könnten Gras über diese Landtagsbeschlüsse wachsen lassen. Meine Damen und Herren, Seien sie sicher, wir fressen das Gras wieder weg, ohne Herrn Flath zu konsultieren.
Was sie betreiben ist Politik im Blindflug. Ohne Kompaß. Und ohne Navigation.

Wo diese Politik hinführt, können Sie heute in der Lausitz besichtigen. Wieviel Arbeitsplätze sind durch Ihre Stimulation zustandegekommen, im letzten Jahr - wieder eine Frage an den nicht für die Lausitz zuständigen Lausitzbeauftragten.

20, 200, 2000, wieviel Arbeitsplätze gegen die Not?

Gekrönt wird das Ganze durch eine Antwort des Wirtschaftsministers auf eine Kleine Anfrage. Dort heißt es wörtlich:

"Die Staatsregierung entwickelt kein eigenes Konzept für die Gebiete mit besonderen Entwicklungsaufgaben."

Das ist Klasse, das ist sächsische Spitze, stellen sie sich vor - ein Wahlplakat, mit der Schwalbe, die noch keinen Schommer macht und dem Spruch:

"Die Staatsregierung entwickelt kein eigenes Konzept für die Gebiete mit besonderen Entwicklungsaufgaben."
Herr Schommer, das ist Ihr Offenbarungseid. Eigentlich müßten für dieses Aussagen hier reihenweise ihre CDU-Kollegen die Wände hochgehen. Ja, wo laufen sie denn ?

Herr Schommer, für diese "Nicht-Politik" sollten Sie sich schämen. Diese "Nichtpolitik" ist ein Schlag in das Gesicht der fleißigen und engagierten Menschen in der Lausitz, sie vernichtet die Zukunft unserer Kinder und Enkel.

Das sind alles fleißige, sehr engagierte Menschen hier. Deren Engagement machen Sie durch Ihr Nichtstun kaputt.

Diese Politik muß ein Ende haben.

Die SPD fordert einen Lausitz-Beauftragten, der diesen Namen auch verdient. Das Lausitz-Büro in Brieske ist eine sinnvolle Einrichtung. Die Angestellten haben eine Aufgabe, die sich lohnt. Sie sollen lokale Initiativen stärken und unterstützen. Nur ohne Kompetenzen geht das nicht. Ohne ein vernünftiges Budget geht das nicht. Und ohne eine starke Lobby in Dresden, die mehr als zweimal im Jahr das Lausitzbüro besucht, geht das auch nicht.
Deshalb brauchen wir einen Lausitz-Beauftragten, der nicht im Wirtschaftsausschuß sagt, Herr Nolle, mir liegen alle Regionen am Herzen nicht nur die Lausitz, ich suche Standorte in ganz Sachsen.

Solange es in diesem Sinne nur einen Alibi-Lausitz-Beauftragten gibt, solange werden die Lausitzer notgedrungen selbst das Zepter in die Hand nehmen müssen und das dann mit weniger Effizienz.

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat die Gutachten der Wirtschaftsinstitute richtig gelesen und interpretiert als er seine Thesen für ein Aktionsprogramm Ostdeutschland schrieb. Es ist viel geschafft, aber wie weiter?

Ihr CDU Kollege Günter Nooke sprach von einer "notwendigen Intervention."

Und Eckhardt Rehberg(46), CDU-Fraktionschef in Schwerin: "Wir müssen dafür sorgen, daß die Leute gar nicht erst abwandern. Die Dumping-Löhne auf dem Bau und bei den Dienstleistern im Osten führen dazu, daß Arbeit im Westen gesucht und gefunden wird. Bei hochqualifizierten Fachkräften führt die Lohnschere dazu, daß Studenten schon an der Uni von Firmen im Westen abgeworben werden. Das muss gestoppt werden, zur Not auch mit höheren Löhnen".

Und Edgar Most, Geschäftsleitung der Deutschen Bank: " Das Vermögen der Osthaushalte liegt bei 25% von West, es dauert noch 100 Jahre bis sich der private Besitz angleicht."

Es dauert noch 100 Jahre!

Es geht um die Wahrheit, um Wahrhaftigkeit und dann um die Entwicklung eines Fahrplans, wie es weitergeht.

Ich habe in hier in Sachsen nur Menschen kennengelernt, die sehr fleißig und sehr engagiert sind und vor allem eines wollen: Hier, in ihrer Heimat bleiben und nicht für dumm verkauft werden.

Herr Minister Schommer, hören Sie auf, mit Ihrer ziel- und planlosen Politik den Mut dieser Menschen zu zerstören.

Danke für die Aufmerksamkeit ...

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: