Karl Nolle, MdL

spiegel online, 14:02 Uhr, 12.01.2015

Pegida-Kampfbegriffe - Vokabular wie bei Goebbels

 
"Lügenpresse", "Volksverräter", "Überfremdung": Einige Ausdrücke der Pegida-Anhänger sind ideologisch vorbelastet - sie finden sich in NS-Gesetzen oder bei Joseph Goebbels.

René Jahn will nicht, dass die Anhänger seiner Bewegung laut werden. "Ruft keine Parolen", sagte der Mitorganisator einer Pegida-Demonstration in Dresden. "Über jede irgendwie geartete Parole würden Funk, Fernsehen und Presse negativ berichten."

Die Pegida-Anhänger rufen dennoch. Und in diesen Rufen beziehen sie sich - bewusst oder ungeplant - auf einen Sprachschatz, von dem es sich lohnt, ihn zumindest einmal in Ruhe genauer zu betrachten, um ihn besser zu verstehen: Welche Vorgeschichte haben die Wörter, die die Demonstranten brüllen, die Redner vortragen, die Texte im Netz und auf den Transparenten beinhalten?

"Volksverräter! Volksverräter!" Das riefen die Pegida-Anhänger zuletzt am vergangenen Montag, als die Demonstranten erneut in Dresden auf die Straße gingen. "Volksverräter", damit adressierten die Teilnehmer der Dresdner Demonstration die Regierenden in der Bundesrepublik Deutschland - vor allem Kanzlerin Angela Merkel, die in ihrer Neujahrsansprache dazu aufgerufen hatte, Pegida nicht zu folgen: Denn "zu oft sind Vorurteile, ist Kälte, ja sogar Hass in deren Herzen".

"Der Begriff 'Volksverräter' ist eine Ableitung von 'Volksverrat'", erklärt Dr. Andrea-Eva Ewels. "Ein Straftatbestand, der sich erstmals in den Gesetzen des Nazi-Systems findet." Ewels ist Sprachwissenschaftlerin und Geschäftsführerin der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS). Sie befasst sich vor allem mit Sprachpflege und Sprachkritik, hat die Rhetorik der Pegida analysiert und findet nicht nur im "Volksverrat" einen Beigeschmack, der historisch bedenklich ist.

Neben den "Volksverrätern" steht die "Lügenpresse" im Fokus der bei Pegida-Protesten skandierten Kritik - auch mal mit dem Nachsatz "Halt die Fresse". Die "Lügenpresse" ist ein Begriff, der schon Anfang des 20. Jahrhunderts benutzt wurde. "Dahinter standen immer völkische oder nationalistische Anliegen, die die Medien angeblich zu verschleiern suchten", sagt Ewels. Zwar sei die "Lügenpresse" keine Erfindung der Nationalsozialisten, wurde aber von ebenjenen erfolgreich als stigmatisierender Ausdruck wiederbelebt.

Joseph Goebbels, Reichspropagandadaleiter der NSDAP und später Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, verwendete den Ausdruck selbst 1932 in einer Rede. Er warf darin der "roten", also politisch linken "Lügenpresse" vor, einen "Verleumdungsfeldzug" gegen die Nationalsozialisten durchzuführen. Der Begriff ist aber nicht nur den Nationalsozialisten zuzuschreiben - in der DDR war von der "kapitalistischen Lügenpresse" die Rede.

Goebbels sprach auch schon von "Überfremdung"

Pegida-Anhänger warnen wiederholt vor einer "Überfremdung" Deutschlands - so etwa in der Unterzeile eines Propaganda-Clips auf YouTube. Auch dieses Wort hat eine wenig ruhmreiche Geschichte. 1929 stand es bereits im Duden und wurde wenige Jahre später wiederum von Goebbels benutzt. Wie es das Wörterbuch "NS-Deutsch" von Karl-Heinz Brackmann und Renate Birkenhauer definiert, meinte "Überfremdung" im Sinne der Nationalsozialisten ein "zu starkes Eindringen von Nichtdeutschen oder 'Artfremden' in das deutsche Volk".

Goebbels selbst sprach 1933 in seiner Rede zur "Rassenfrage und Weltpropaganda" von der "Überfremdung des deutschen Geisteslebens durch das Judentum" - und verlieh dem Wort so eine klar herabwürdigende Prägung. "1993 war 'Überfremdung' sogar Unwort des Jahres, der Begriff hat sich dennoch hartnäckig gehalten", sagt Ewels. "Heute sind aber oft andere Minderheiten gemeint wie Flüchtlinge aus muslimischen Ländern." So auch im Falle von Pegida.

Wie verhält es sich eigentlich mit dem Namen "Pegida"? Darin steckt das "Abendland", ein Begriff, der seinen Ursprung im 16. Jahrhundert hat und der im Wörterbuch der Brüder Grimm zunächst rein geografisch und wertfrei als "westlich gelegenes Land" definiert ist. Das Wort bekam jedoch nach 1918 durch "Der Untergang des Abendlandes", das Hauptwerk des Geschichtsphilosophen Oswald Spengler, ein ideologisches Timbre. "Bei Spengler weist der Begriff 'Abendland' klar antidemokratische Züge auf", sagt Ewels. "Er hielt nämlich die freiheitliche Demokratie für eine Art Stadium auf dem Weg zum unausweichlichen Niedergang."

Mit antidemokratischen Worten für demokratische Werte

Neben diesen ideologisch gefärbten Begriffen durchzieht die Pegida-Demonstrationen das Georg-Büchner-Zitat "Wir sind das Volk" wie ein Leitmotiv. Für Ewels passt das nicht zusammen. "Bei den Montagsdemonstrationen, die zum Mauerfall, dem Ende der DDR und schließlich zur Wiedervereinigung führten, richtete sich 'Wir sind das Volk' gegen die Machthaber der SED."

Damals protestierten DDR-Bürger für Grundrechte, die im deutschen Grundgesetz festgeschrieben sind: Meinungsfreiheit, Freizügigkeit, freie Wahlen. "Bei den Pegida-Protesten wird 'Volk' dagegen nicht im Sinne von 'Bevölkerung' gebraucht, sondern im Sinne von Deutschen, die sich gegen einen als übermäßig empfundenen Zuzug von Ausländern wehren." Damit instrumentalisieren die Pegida-Anhänger eine Parole, die wie kaum eine andere mit positiven Wendungen der deutschen Geschichte verbunden ist - und lassen ihren Kontext außer Acht.

Die Rhetorik der Pegida pendelt in einem eklektischen Referenzkosmos hin und her, mal verstaubt und mal bürokratisch kalt wie etwa in "Asylindustrie". Was unterscheidet diese Rhetorik von der der Rechtsextremen? "Während viele Neonazis freiheitlich-demokratische Werte und das Grundgesetz ablehnen, fürchten viele Pegida-Anhänger ja gerade, dass Freiheit und Demokratie durch 'Islamisierung' in Gefahr sind", sagt Ewels.

Die Pegida-Anhänger treten also vermeintlich wortgewaltig für die Demokratie ein - mit allerlei Wörtern, die in ihrer Geschichte antidemokratisch sind. Sie widersprechen sich damit selbst. Und ignorieren, dass Sprache Wirklichkeit schafft.

Von Jurek Skrobala