Karl Nolle, MdL

Leipzig, Alte Handelsbörse, 26.06.1999

100 Jahre Graphischer Bund , Offizielle Feierstunde

Festvortrag zum 100-jährigen Jubiläum des Graphischen Bundes
 
Die Graphische Industrie auf neuen Wegen
Karl Nolle, Vorsitzender des Verbandes der Druckindustrie Sachsen/Thüringen/Sachsen-Anhalt.

Es ist für mich eine große Ehre, als Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Druckindustrie in Sachsen, Thüringen und Sachsen Anhalt, heute hier in Leipzig vor Ihnen sprechen zu dürfen. Dafür bedanke ich mich herzlich.
Zunächst eine kleine Geschichte: Im Jahre 2020 findet der kleine Michael auf dein Dachboden seines Großvaters einen verstaubten Karton in dem einige seltsame braune Scheiben liegen und ein Zettel. Er liest, daß es sieh bei den braunen Scheiben um sogenannte Disketten handele, auf dem die Geschichte der Druckerei seines Großvaters zu finden sei.
Soweit diese Geschichte.

Tapes, Cartridges, Optical Disks, Superdisks, ZIP und JAZ, das sind heute die Informationsträger unserer modernen Medien. Erinnern Sie sich noch, vor 15 Jahren an die großen Disketten aus dem Fotosatz - wie große Teller, und wer arbeitet heute noch mit 3 1/2 Zoll Disketten?
Der kleine Michael kann den Zettel seines Großvaters lesen, klar und eindeutig die Information aufnehmen, aber ein sogenanntes Diskettenlaufwerk für die kleinen braunen Scheiben gibt es nicht mehr.
Unsere Druckindustrie ist heute ist ein bedeutender Teil der Informations- und Kommunikationsindustrie. Sie ist der einzige Wirtschaftszweig, der sich weltweit auf Wachstumsfaden bewegt.
Die Druckindustrie besitzt nach wie vor eine Schlüsselrolle in Medien und Kommunikation. Sie hat sich aber, angesichts neuer technischer Möglichkeiten, dramatisch gewandelt. Sie ist zum Dienstleister in der Informationsgesellschaft geworden. Sie integriert die unterschiedlichsten Medien, betreibt und -verwaltet Datenbanken und bereitet die Daten zielgruppengerecht auf.
Die Druckindustrie hat sich in den letzten 10 Jahren mehr verändert als in den Jahrhunderten davor.

Der Wechsel von der analogen zur digitalen Welt hat sich bei denen, die Informationen, Bilder und Layouts erzeugen, bei Kreativen, Autoren und Verlegern, radikal vollzogen. Alles wird heute digitalisiert, sogar redigitalisiert (wenn es sich um analoge Filmsätze handelt, die wieder in Halbtondatensätze zurückgerechnet werden).
Bilder, Texte, Töne, Tabelten, ja sogar Bewegtbilder.

Es ist der Weg über "Computer to Systeme" CTF und CTP zu Direct-Imaging-Systemen in Druck und tonerbasiertem Digitaldruck und Kopiersystemen.
Nach dem Jahr 2000 werden in Europa nur noch 25 % der Druckereien analoge Produktion, das heißt Filmbelichtung, Handmontage und Plattenkopie, durchführen. In den USA werden es dann schon weniger als 10 % sein. Zunehmend ist für uns die Fähigkeit gefragt, sich von dieser Entwicklung zum digitalen Workflow der vernetzten Systeme nicht abzukoppeln.

Nun zur Entwicklung der Humanproduktivität: Nicht nur die Druckindustrie, alle befinden sich heute mitten in grundlegenden - ja dramatischen, gesellschaftlichen, strukturellen Veränderungen.
Strukturveränderungen der Arbeits- und Produktionsgesellschaft, der Steuer-, Sozial. und Rentensysteme, bei Einkommen und Entlohnung und bei den Interessenvertretungen der Beschäftigten und der Unternehmer.
Vor 10 Jahren, zur Zeit der Wende waren in der DDR noch 45 % aller Arbeitsplätze mit der Herstellung von Waren befaßt. Zur gleichen Zeit waren es in Westdeutschland nur noch 33 %. Heute sind es in Gesamtdeutschland 28 %, in den neuen Bundesländern dagegen nur 17 %. Aber in den USA sind es heute nur noch 10 % mit Tendenz auf 5%. 5% sind Landwirtschaft, der Rest ist Dienstleistungs-, öffentlicher und privater Bereich.

Aufgrund dieser großen, ja dramatischen Strukturveränderungen unserer klassischen Produktionsgesellschaft hin zur Dienstleistungs-, Medien- und Wissensgesellschaft müssen neue Wege beschritten und neue Antworten gefunden werden.
Wir können keinem Dichter befehlen ein schönes Gedicht zu schreiben. Und wir können keinem Komponisten befehlen, eine schöne Sinfonie zu schreiben. Unsere Mitarbeiter - heute - sind Problemlöser. Niemand aber löst ein Problem ohne Motivation, ohne Identirikation und ohne Kommunikation. Ein Problemlöser stellt intelligente Anforderungen an Arbeitsumfeld, Bezahlung, Hierarchien und Humanität.

Wir müssen uns fragen, meine Damen und Herren: Ist die Arbeitsgesellschaft am Ende? Hat das uns bekannte Normalarbeitsverhältnis überhaupt noch eine Zukunft? Flexibilität und Mobilität sind für die Beschäftigten schon lange keine Fremdwörter mehr, ebenso wie Zeitkonten und Jahresarbeitszeitregelungen.
Absehbar ist, daß künftig Löhne und Gehälter nur noch teilweise nach Zeit und zum anderen Teil gebunden an Unternehmensertrag, Zielerreichung, Erfolg und durch Formen der Beteiligung am Unternehmenskapital bezahlt werden.

Das Delphi-Gutachten sagt voraus, daß in 15 Jahren nur noch 50 % aller Entlohnungen in Deutschland nach Zeit erfolgen werden. Die große deutsche Softwareschmiede SAP hat noch vor drei Jahren 8 % der Gehälter nach Betriebserfolg gezahlt. Heute sind es schon 30 %
Auch wenn das noch Zukunft ist, unser Leitbild von einer lebenslangen, tarifvertraglich bezahlten, sozial abgesicherten und zu festen Zeiten geleisteten Erwerbsarbeit, stimmt schon lange nicht mehr mit der Wirklichkeit überein.

Und - moderne Unternehmer wissen heute: Shareholder Value geht nur mit zufriedenen Mitarbeitern. Lassen Sie mich schließen mit einem Wort des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von VW:
"Den Wert eines Unternehmens machen nicht die Gebäude und die Maschinen und auch nicht seine Bankkonten aus. Wertvoll an einem Unternehmen sind nur die Menschen, die dafür arbeiten und der Geist in dem sie es tun."
Dies sagte Heinrich Nordhoff 1951.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit