Karl Nolle, MdL

FTD Financial Times Deutschland, 11.08.2009

Investmentbanken: Die deutsche Lehman-Lüge

von Leo Müller
 

Der Fall der Lehman-Bank hat Kapital und Vertrauen vernichtet. Sagen deutsche Politiker und Bankchefs. Das ist die Unwahrheit - und sie wissen es. Die Pleite am 15. September 2008 war nicht der Auslöser der Entwicklung. Die Finanzhäuser hierzulande gerieten schon Jahre zuvor in Schieflage.

Berlin-Mitte, Scharnhorststraße, im Konferenzzimmer des Ministers. Das Krisentreffen findet an einem Sonntag statt, strikte Vertraulichkeit ist angeordnet. Acht Spitzenmanager der Finanzindustrie und drei Kabinettsmitglieder sind ins Bundeswirtschaftsministerium gekommen. Aus der Kantine wird eine karge Mahlzeit gereicht, das Thema ist nicht sehr erbaulich: ein Rettungsplan für deutsche Großbanken. Sie sollen von einer 50 bis 100 Mrd. Euro schweren Kreditlast befreit werden.

Das klingt nach einer dieser vielen Bankenrettungsaktionen der vergangenen Monate. Doch die Geheimsitzung wurde nicht nach jenem 15. September 2008 einberufen, den die Banker in ihrer neuen Zeitrechnung als Wendepunkt gesetzt haben: dem Tag der Insolvenz der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers. Das Berliner Meeting findet 67 Monate, 22 Quartalsberichte und sechs Jahresabschlüsse vor der Lehman-Pleite statt, am 16. Februar 2003.

 Teilnehmer der Runde sind Bundeskanzler Gerhard Schröder, Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, Finanzminister Hans Eichel, Josef Ackermann (Deutsche Bank), Bernd Fahrholz (Dresdner Bank), Dieter Rampl (HypoVereinsbank), Jürgen Sengera (WestLB), Ulrich Brixner (DZ Bank) und Henning Schulte-Noelle (Allianz).

Es geht um die Wackelkandidaten unter den systemrelevanten Geldhäusern. Ganz oben auf der Hitliste der Gefährdeten steht mit einem Jahresverlust von 820 Millionen Euro die HypoVereinsbank (HVB). Sie ist schwer mit Hypotheken für Schrottimmobilien belastet - Resultat der Massenverkäufe von schwindelhaft überbewerteten Wohnungen in den neuen Bundesländern, die von aggressiven Verkäufertruppen als Steuersparmodelle unters Volk gebracht wurden. Weitere Problemkandidaten sind die Commerzbank und die Dresdner.

Schnell spitzt sich die Diskussion auf eine Frage zu: Wer stünde in der Not parat, ein marodes Institut zu übernehmen? Alle Blicke richten sich auf Josef Ackermann. Wie selbstverständlich wird vom Chef der Deutschen Bank höchster patriotischer Einsatz erwartet. Doch der Schweizer wehrt ab. Sein Haus und seine Aktien will er nicht belasten. Ackermann schlägt stattdessen zur Entlastung der Bilanzen seiner Mitbewerber eine Auffanggesellschaft für faule Kredite vor, eine sogenannte Bad Bank. Einige der Herren verhalten sich indiskret, die Idee bleibt nicht lang geheim - und Ackermann ist mal wieder der Buhmann.

Teil 2: Erstmals wird eine Bad Bank diskutiert

Zum ersten Mal wird damals in Deutschland über Bad Banks diskutiert. "Ein Stück aus dem Tollhaus", schimpft der damalige Sparkassen-Präsident Dietrich Hoppenstedt. Jochen Sanio, Chef der Bankenaufsicht, warnt: "Die Zeche würde der Steuerzahler begleichen." Und Klaus-Peter Müller, damals Chef der Commerzbank: "So weit sind die Banken noch lange nicht." Das Thema Bad Banks ist schnell tabu.

Das geheime Treffen in Berlin und die folgenden Diskussionen zeigen, dass etwas nicht stimmen kann mit der Legende, die heute um die Lehman-Pleite vom 15. September 2008 herum gestrickt wird. Die geht ungefähr so: Wie eine Naturkatastrophe hat dieses Ereignis die Bankenwelt erschüttert. Niemand konnte damit rechnen, dass die US-Regierung eine große Investmentbank fallen lässt. Sodass die Welt in eine Krise ohne Beispiel rutscht. Deutsche Banker und Politiker rufen im Chor: Die Amerikaner sind schuld.

Doch die Chronik der Ereignisse zeigt, wie vorhersehbar die Katastrophe war. Bereits fünf Jahre vor der Lehman-Pleite war die Schieflage des deutschen Finanzplatzes bekannt. Das Giftvolumen durch unzureichend gedeckte Kredite wurde auf bis zu 300 Mrd. Euro geschätzt. Systematisch versteckten die Banken mit Bilanztricks ihre faulen Papiere und täuschten damit ihre Aktionäre.

Banken, Kontrollinstanzen, Finanzpolitiker: Alle wussten Bescheid, alle halfen beim Versteckspielen. Die Beamten in Aufsichtsbehörden und Finanzministerien betrieben routiniert ihr Berichts- und Meldewesen, registrierten, lochten, hefteten ab. Aufsichtsräte und Wirtschaftsprüfer schauten weg. "Deutschland war Weltmeister in riskanten Bankgeschäften", resümiert EU-Kommissar Günter Verheugen. "Nirgendwo auf der Welt, auch nicht in Amerika, haben sich Banken mit größerer Bereitschaft in unkalkulierbare Risiken gestürzt - allen voran die Landesbanken."

Teil 3: Das Steuerparadies an der US-Atlantikküste

Wilmington, Delaware, 1998 Hier beginnt die Entwicklung, die schließlich in der Finanzkrise münden wird. An der Atlantikküste der USA erscheinen die Firmenanwälte der BayernLB bei einer US-Kanzlei. Delaware ist weltweit eines der größten Zentren für anonyme Briefkastenfirmen, ein Steuerparadies. Die bayerischen Landesbanker gründen ihren ersten sogenannten Conduit. So werden in der Branche Briefkastenfirmen bezeichnet.

Die Banken bündeln ihre Kreditverträge zu Tausenden und machen daraus fern der Heimat handelbare Wertpapiere. Vor allem die Landesbanken wollen mit dieser Masche groß ins Kapitalmarktgeschäft einsteigen. Schon länger träumen sie davon, endlich mitzumischen im großen globalen Geldspiel. Oder mit dem neuen Dreh ihre unschönen Altlasten wegzuzaubern.

Dazu nutzen sie die schwachen Bilanzregeln des deutschen Handelsgesetzbuchs (HGB). Die Conduits, oft auch Zweckgesellschaften genannt, operieren wie hundertprozentig beherrschte Tochtergesellschaften, offiziell sind sie aber Eigentum eines Treuhänders oder eines Trusts - ein juristischer Taschenspielertrick. Sie müssen nach HGB nun nicht mehr als Geschäfte von Tochterfirmen bilanziert werden.

Die Geldhäuser bezeichnen sich ganz nobel nur noch als Sponsor oder Originator der Conduits. Die Geschäfte werden trotzdem häufig komplett in den Büros der deutschen Bankzentralen betrieben. In Delaware gibt es nichts außer einem Treuhänder und einer Briefadresse. Dass die Banken tatsächlich über ein komplexes Geflecht von verbindlichen Verträgen für alle Verluste der Conduits haften, verheimlichen sie in ihren Jahresabschlüssen. So werden die Geldhäuser zur Blackbox.

Der Conduit-Trick entlastet die Banken zudem von ihrer aufsichtsrechtlichen Pflicht, für Risikogeschäfte genug Eigenkapitalpuffer bereitzuhalten. Plötzlich können sie außerhalb der Bilanz hohe Risiken eingehen, ohne ihr Eigenkapital zu erhöhen. Und die Manager können im Jahresabschluss mit hohen Gewinnen bei relativ niedrigem Eigenkapital glänzen. Das verbessert die Eigenkapitalrendite - die wichtigste Messzahl zur Berechnung ihrer Bonuszahlungen.

Berlin, Alexanderplatz, November 2000 Im siebten Stock der Konzernzentrale der Berliner Bankgesellschaft, der heutigen Landesbank Berlin, trifft sich der Vorstand. Über die Briefkastenfirma Greico auf den Kaimaninseln werden gewaltige Risiken ausgelagert - ein wilder Bilanztrick, der über den Jahresabschluss 2000 hinüberrettet. Ein halbes Jahr später muss die Bankgesellschaft mit einer Kapitalspritze von 1,75 Mrd. Euro und einer Bürgschaft von 21,6 Mrd. vor der Pleite bewahrt werden. "The German Desease" schreibt der Journalist Mathew Rose in einem Buch über den Fall. Die Bankenaufsicht BaFin ist seit Jahren über die Probleme informiert, 20 Sonderprüfungen hat sie bis dahin veranlasst. Konsequenzen für die Landesbankenszene: keine.

Teil 4: Torschlusspanik bei der WestLB

Düsseldorf, Herzogstraße, Juli 2001 In der Zentrale der WestLB lässt sich Peer Steinbrück über den Geschäftsgang informieren. Seit 1998 überwacht er die rheinische Landesbank, erst als Verwaltungsrat, seit 2002 als NRW-Finanzminister. Bei der WestLB kommen die Conduit-Deals richtig in Fahrt. Es herrscht Torschlusspanik.

Die EU-Kommission will den Landesbanken, die auf den Kapitalmärkten immer größere Räder drehen, nur noch ein Jahr mit staatlichen Garantien gönnen. Die Landesfinanzpolitiker betteln um eine Gnadenfrist - mit Erfolg. Im Sommer 2001 entscheidet Brüssel: Sie dürfen sich weitere vier Jahre Geld vom Staat leihen, in unbegrenzter Höhe.

Mit diesem Geld können sie sich billig beim Staat refinanzieren und es anschließend auf den Kapitalmärkten mit verbrieften US-Hypotheken verwetten. Ihre staatlichen Verbindlichkeiten steigen allein in den kommenden vier Jahren auf mehr als 100 Mrd. Euro. Am Ende werden es über 500 Mrd. sein. Steinbrücks Landesbank geht mit dem Geborgten besonders sorglos um. Eine Milliarde Euro hat sie in der Russlandkrise verrubelt, in London setzt sie 1,7 Mrd. Euro mit einem Großkredit in den Sand. BaFin und Bundesbank prüfen und archivieren ihre Berichte.

Houston, Texas, Dezember 2001 Mit der Pleite des Energieriesen Enron geraten außerbilanzielle Vehikel weltweit in Misskredit. Das EU-Parlament beschließt strenge Regeln, doch in Deutschland wollen die Finanzpolitiker davon nichts hören. Bankenlobbyisten vereiteln die Umsetzung der EU-Verordnung.

Sogar Frankfurter Großbanken, die nach internationalen Standards bilanzieren, verstoßen gegen das Transparenzgebot. In Investorenpapieren wird die Masche zwar offen erklärt. Aber die Wirtschaftsprüfer schauen über die raffiniert strukturierten Vehikel hinweg, Ratingagenturen geben Bestnoten. So erhalten die Dubliner Briefkastenfirmen der SachsenLB, einer Minibank mit gerade einmal 1,5 Mrd. Euro Eigenkapital, ein "AAA"-Rating. Schließlich steht die Landesbank und damit der Staat über Haftungsverträge für alle Verluste gerade.

Berlin-Mitte, Februar 2003 Nach dem geheimen Berliner Krisentreffen der Spitzenbanker mit Schröder, Eichel und Clement laufen die Geschäfte weiter, als ob nie etwas gewesen wäre. Die WestLB verdoppelt das Volumen ihrer strukturierten Wertpapiere. In Hamburg und Kiel fusionieren die Landesbanken zur HSH Nordbank. Zusammen bewegen sie 22 Mrd. Euro im verbrieften Geschäft. Die Dresdner gründet eine Restrukturierungseinheit für "ausfallgefährdete und strategisch unwichtige Darlehen". 17 Mrd. Euro lagert sie so aus. Prüfer-Jargon: "Garbage Dump" - Müllhalde.

Die HVB gründet ihre eigene Bad Bank. Sie beginnt, deutsche Schrottimmobilienkredite und US-Hypotheken in einer neuen Einheit zu bündeln. HVB-Manager Georg Funke soll die Sparte an die Börse bringen. Ihr Name: Hypo Real Estate (HRE). Im Börsenprospekt steht: "Seit Ankündigung der Abspaltung von der HVB ist die HRE-Bank bei allen drei Ratingagenturen heruntergestuft worden."

Beim Finanzstärke-Rating von Moody's erhält die neue HRE die Note "D+". Das bedeutet, dass sie bei schwerer Marktlage auf fremde Hilfe angewiesen sein könnte. Der Börsenprospekt wird von den Aufsichtsbehörden abgenickt. Im Aufsichtsrat sitzt auch Hans-Werner Sinn, Chef des Ifo-Instituts, dessen neuer Bestseller den Titel trägt: "Ist Deutschland noch zu retten?" Alle Verantwortlichen schauen zu, wie die Problembanken sich durchschummeln.

Teil 5: Geheimprojekt mit der Nummer 16/03

Düsseldorf, Herzogstraße, Dezember 2003 In der Zentrale der WestLB wird durchgespielt, was es kosten würde, die Bank zu schließen. In den vergangenen beiden Jahren hat die Landesbank vier Mrd. Euro an Kapital verloren. Der Plan wird verworfen, er ist zu teuer.

Berlin, Wilhelmstraße, Januar 2004 Im Finanzministerium trifft eine vertrauliche Studie mit der Projektnummer 16/03 ein: "Optimale Rahmenbedingungen für einen Verbriefungsmarkt". Minister Eichel hatte die Berater der Boston Consulting Group damit beauftragt. Ihre Empfehlung: "Leistungsgestörte Kredite verbriefen".

Problematische Forderungen sollen "an Abwicklungsgesellschaften verkauft werden, die sich ihrerseits über Verbriefungen refinanzieren." Ganz offen erklären die Berater, dass die Banken mit diesem Dreh weniger Eigenkapitalpuffer halten müssen. "Regulatorische Kapitalentlastung" nennen sie das. Die Studie legitimiert den Verbriefungszirkus als finanzpolitisches Programm.

Frankfurt, Mainzer Landstraße, April 2004 Die 13 wichtigsten deutschen Banken schließen sich zu einem Verbriefungskartell zusammen. "True Sale International" nennen sie die Firma, die mit gemeinnützigen Stiftungen Verbriefungen auf deutschem Boden abwickeln will. Einer der TSI-Gründerväter neben Dieter Glüder, dem Verbriefungspapst der KfW, ist der Ministerialbeamte Jörg Asmussen, seit einem Jahr Abteilungsleiter im Finanzministerium. In einem Fachblatt lobt er: "Risikogerecht wird für viele Kreditinstitute die Eigenkapitalanforderung an ihre ABS-Bestände sinken."

London, Herbst 2004 In der Finanzpresse werden weltweit sinkende Häuserpreise thematisiert. Der britische "Economist" schreibt über den "Sonnenuntergang" am Häusermarkt. Der ostdeutsche Sparkassenverband schätzt das Volumen der Problemkredite allein im öffentlich-rechtlichen Bankensektor auf 60 bis 100 Mrd. Euro. Experten von WestLB und Nord/LB kalkulieren im November 2004 in einem Investorenpapier das "Gesamtvolumen in Deutschland an notleidenden Krediten auf bis zu 300 Mrd. Euro". Damit sind Darlehen gemeint, deren Zinsen und Tilgungen seit 90 Tagen überfällig sind. Niemand schreit auf.

Teil 6: Nun ist Merkel am Zug

Berlin, Bundeskanzleramt, November 2005 Angela Merkel richtet sich nach ihrer Wahl in der Machtzentrale ein. Die Große Koalition hat im Koalitionsvertrag den "Ausbau des Verbriefungsmarktes" beschlossen. Gleichzeitig melden Finanzdienste erste starke Marktstörungen bei US-Subprime-Hypotheken. Im Dezember fragt der TV-Sender CNN Money: "Ist die Party zu Ende?"

Clevere Investmentbanker wetten mit Leerverkäufen gegen die Aktien der US-Immobilienvermittler New Century und Indymac. Greg Lippmann, Verbriefungsexperte der Deutschen Bank in New York, hat eine noch bessere Idee. Vor Geschäftspartnern zeigt er, wie man mit Indizes unmittelbar gegen die Conduits wetten kann. Das ist smart und spricht sich schnell an der Wall Street herum.

New York, Park Avenue, Juni 2007 Die Zentrale der traditionsreichen Investmentbank Bear Stearns meldet, dass drei Hedge-Fonds mit verbrieften US-Hypotheken kollabieren. Die Wall Street ist schockiert. In Düsseldorf melden die deutschen Staatsbanker der Industriebank IKB am 20. Juli "sehr gute" Ergebnisse. Ihr Conduit Rhineland Funding segelt noch immer außerhalb der Bilanz. Die US-Turbulenzen hätten "praktisch keine Auswirkung" auf ihr Geschäft gehabt.

Düsseldorf, IKB-Zentrale, eine Woche später Am Sonntagabend gibt die IKB eine Horrormeldung heraus: Die staatliche KfW muss die IKB mit 8,1 Mrd. Euro stützen - die erste große Staatsrettung im deutschen Banken-Crash. Im IKB-Aufsichtsrat sitzt Jörg Asmussen, Steinbrücks Abteilungsleiter. Als Krisenmanager bestellt der Aufsichtsrat ausgerechnet Reinhard Grzesik, einen ehemaligen Finanzmanager der HRE-Tochter Depfa in Irland. Dort war er nicht in der Lage, den Liquiditätsbedarf sauber zu ermitteln.

Teil 7: Notrufe der Landesbanken

Dublin, Georges Quay, August 2007 Den Dubliner Managern der Sachsen LB geht das Geld für die Refinanzierung aus. Am 17. August muss ein Bankenpool die Sachsen LB retten. Wie bei der IKB reichen die Zahlungen nicht. Bald kommen neue Notrufe. Die LBBW erklärt sich bereit, die Sachsen LB zu übernehmen.

London, Cannon Street, November 2007 Beim internationalen Buchprüferkomitee IASB laufen die Krisenmails zusammen. Die vier Großen Deloitte, PwC, KPMG und Ernst & Young fürchten, wie einst Arthur Andersen im Enron-Bilanzskandal mit in den Abgrund gerissen zu werden. Conduits müssen in die Bilanz, sagen sie - und zwar sofort. Sie haben die Macht, dies auch durchzusetzen. Die Banker parieren. Ackermann meldet im November, dass er alle seine Conduits konsolidiert. Die IKB erklärt, ihr Rhineland Funding offenzulegen. Andere folgen. Das Versteckspiel ist vorbei.

New York, New Liberty Street, Dezember 2007 Im Konferenzraum der Federal Reserve of New York treffen sich Finanzwissenschaftler und Notenbanker. Ein Vortrag offenbart, dass zwei Drittel der Refinanzierungsprogramme im Verbriefungsmarkt in Dollar aufgelegt sind, während 80 Prozent der Werte von europäischen Banken betrieben werden. "Who are those guys?", fragt die Fed. Es sind Commerzbank, Dresdner, Deutsche, HSH Nordbank und neun Landesbanken.

Düsseldorf, Berliner Allee, Dezember 2007 Prüfungssaison in den Banken. In einer Minibank, der Düsselhyp, übersteigt der Zinsaufwand den Zinsertrag um 700 Millionen Euro. Die Aufsichtsbeamten registrieren es unbekümmert wie Notare. Im April 2008 ist das Institut pleite. Auf Initiative der Aufsicht werden die Problemwerte in die Resba-Beteiligungsgesellschaft in Berlin ausgelagert - wieder eine Bad Bank.

Zur Stützung bringen der Einlagensicherungsfonds und ein Bankenkonsortium 1,57 Mrd. Euro auf. Später fragt der Bundestagsuntersuchungsauschuss, welche Konsequenzen der Fall für die Risikoanalyse hatte. Klaus-Dieter Jakob, Münchner Regionalbereichsleiter der Bundesbank, erklärt: "Es gab aus meiner Kenntnis keine allgemeinen Schlussfolgerungen, die aus dem Fall der Düsselhyp gezogen wurden."

Teil 8: Warten auf die offizielle Analyse

Münchner Altstadt, Januar 2008 Georg Funke, Chef der börsennotierten Hypo Real Estate, meldet in einer Investorenmitteilung "nur geringes Exposure in risikobehafteten Assetklassen". Eine Woche danach trudelt bei Finanzstaatssekretär Thomas Mirow ein Brandbrief von BaFin-Chef Jochen Sanio ein. Sanio warnt vor einer "möglicherweise erschreckenden Größenordnung".

Über einen Handelsbuchbestand im Gesamtvolumen von acht Mrd. Euro stellen die Aufseher fest: "Eine eigene Bewertung der zugrunde liegenden Geschäfte ist der Bank nicht möglich." Frustriert sagt der ehemalige HRE-Risikomanager Stéphane Wolter: "Spätestens ab da hätte man sich ein Notfallszenario überlegen sollen." Für ihn war die Lehman-Pleite am 15. September nicht die Ursache der Katastrophe: "Lehman war für mich nur der Sargnagel darauf."

 Washington D.C., Dirksen Senate Office Building, nach der Lehman-Pleite Offenherzig und ehrlich reden die Spitzenleute der Aufsichtsbehörden und der Industrie vor den Untersuchungsausschüssen des Kongresses. Die Protokolle ihrer Vernehmungen lesen sich wie ein historisches Drama. Sie sind Stoff für Forscher und Entscheider, sie erhellen und lehren, wie man die Finanzwelt künftig sicherer gestalten kann.

Die Berliner Aufarbeitung dagegen ist auf parteipolitisches Gezänk reduziert. Ohne Tiefe und ohne Weitblick präsentiert sich der Untersuchungsausschuss des Bundestags. Er soll ausschließlich die Rettungsgeschichte der Hypo Real Estate ausleuchten, im Wesentlichen begrenzt auf die Zeit von Anfang 2007 bis Oktober 2008.

Eifrig souffliert die SPD-Abgeordnete Nina Hauer den Zeugen aus Finanzministerium und Aufsichtsbehörden: Das Desaster konnte niemand voraussehen, erst die Lehman-Pleite änderte alles. Steinbrücks Parteigänger wollen offenbar die Lehman-Legende im Abschlussbericht festschreiben, um ihren Minister aus der Schusslinie zu nehmen.

Untersuchungsberichte wie in Großbritannien, der Schweiz oder den USA existieren nicht. Die Bundesbank versäumte es sogar, ihren regulären Finanzstabilitätsbericht zu publizieren. Bis heute gibt es über das größte Finanzdesaster seit der Weimarer Republik nicht einmal die Idee einer offiziellen Analyse.


Die Enron-Regeln

Als Folge des US-Bilanzskandals werden weltweit Vorschriften geändert. Nur Deutschland ziert sich.

Auslöser Enron. Nach dem Bilanzskandel 2001 beim Energiekonzern suchen die Amerikaner in Hearings, Forschungsstudien und Strafermittlungen gründlich nach den Ursachen der Insolvenz. Eine der identifizierten Fehlerquellen: Briefkastenfirmen außerhalb der Konzernbilanz.

Neue Vorschriften. Die Wirtschaftsprüfer bestehen darauf, dass die Offshore-Vehikel in den Bilanzen erscheinen – "konsolidiert" in der Prüfersprache. Die internationalen Rechnungslegungsstandards (IAS) bekommen nun klare Regeln. Die Vehikel (Conduits) müssen in die Bilanz, wenn sie von der Bank wirtschaftlich beherrscht werden. Zudem werden Regeln zur marktgerechten, tagesaktuellen Bewertung des Vermögens erstellt, das mit solchen Vehikeln verwaltet wird.

Deutsche Sonderregeln. Im Juni 2002 beschließt das EU-Parlament eine Verordnung, die von europäischen Banken eine Konsolidierung der außerbilanziellen Vehikel nach den IAS-Regeln fordert. Deutsche Banken bekommen eine Frist: Sie sollen ab Januar 2005 voll konsolidieren. Ausnahme: Die Landesbanken dürfen ihre Conduits noch bis 2008 verstecken.

Trickreiche Gehilfen. Mit der Umsetzung der EU-Vorgaben in deutsches Recht lassen sich die Finanzpolitiker hierzulande viel Zeit. Das aktuelle Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz mit den neuen Konsolidierungsregeln gilt erst seit Mai 2009.