Karl Nolle, MdL

junge Welt - jW, Seite 4, 30.12.2014

Reaktionäres Musterland: Sachsens Justiz. Korruption und Kriminalisierungsversuche

 
Jahresrückblick 2014. Heute: Sachsens Justiz. Korruption und Kriminalisierungsversuche – wie im Freistaat der Rechtsstaat interpretiert wird.

Die Liste der Betroffenen wird länger. Sie umfasst mittlerweile nicht mehr nur Antifaschisten, Bundestags- und Landtagsabgeordnete, ehemalige Kinderprostituierte, frühere Bedienstete von Sicherheitsbehörden, die sich dem Rechtsstaat verpflichtet fühlten, sondern nunmehr mit Bodo Ramelow (Die Linke) auch einen amtierenden Ministerpräsidenten. Alle Genannten eint, dass sie in den vergangenen Monaten Opfer von Kriminalisierungsversuchen seitens der sächsischen Justiz wurden.

Die im Freistaat tätigen Behörden haben sich über Jahre hinweg den Ruf erarbeitet, auf Rechtsstaatlichkeit nur begrenzt Wert zu legen. »Im schönen Bundesland Sachsen fällt es manch einem Außenstehenden ungemein schwer, überhaupt noch eine politisch unabhängige Justiz zu erkennen«, habe er in Sachsen immer wieder gehört, berichtet etwa der Bestsellerautor Jürgen Roth in seinem 2013 erschienenen Buch »Spinnennetz der Macht – Wie die politische und wirtschaftliche Elite unser Land zerstört«. Auch der Berliner Historiker Wolfgang Wippermann hatte den Freistaat in der Vergangenheit als das »rechtskonservativste und unfreieste Bundesland der Republik« bezeichnet, in dem Dinge geschehen würden, die »sich George Orwell nicht einmal vorstellen« habe können.

Eifer gegen Engagement

Tatsächlich ist die Liste bemerkenswerter Vorgänge, die ihren Ursprung maßgeblich in der sächsischen Justiz finden, ausgesprochen lang. Erinnert sei in diesem Zusammenhang etwa an die anhaltende staatliche Überwachungs- und Kriminalisierungsstrategie der sächsischen Polizei und Justiz, die mit bis dato ungekanntem Eifer versuchte, jedwedes antifaschistisches Engagement im Freistaat zu verhindern. Prominentestes Opfer ist – wie bereits erwähnt – der jüngst zum Thüringer Ministerpräsidenten gewählte Linke-Politiker Bodo Ramelow. So beantragte das Amtsgericht Dresden die Aufhebung der Abgeordnetenimmunität Ramelows, dessen »Vergehen« darin bestanden haben soll, 2010 an einer öffentlichen Fraktionssitzung unter freiem Himmel teilgenommen zu haben, um gegen den einst europaweit größten Neonaziaufmarsch in Dresden zu demonstrieren und dadurch das Demonstrationsrecht der Rechten beschnitten zu haben (jW berichtete).

Mit ähnlich gelagerten Vorwürfen war die Justiz bereits im Fall des Jenaer Jugendpfarrer Lothar König gescheitert. Er war bezichtigt worden, sich bei den Protesten gegen einen Aufmarsch der Neofaschisten im Februar 2011 in der sächsischen Landeshauptstadt des schweren aufwieglerischen Landfriedensbruchs, der versuchten Strafvereitelung und der Beihilfe zum Widerstand gegen Polizisten schuldig gemacht zu haben. Gemeinsam mit mehr als 20.000 Nazigegnern hatte der Pfarrer damals gegen einen Aufmarsch von rund 2.000 angereisten Neofaschisten protestiert und diesen damit erfolgreich verhindert. Schon der erste Anlauf des Prozesses war geplatzt, da Material, welches die gegen König erhobenen Vorwürfe hätten entkräften können, offenbar von den Ermittlungsbehörden zurückgehalten worden war. Endgültig wurde der Prozess vor wenigen Wochen gegen Zahlung einer Geldstrafe eingestellt. Offen ist hingegen noch der Ausgang des neu angesetzten Verfahrens gegen den Antifaschisten Tim H. Der Nazigegner war 2013 in erster Instanz vom Amtsgericht Dresden zu einem Jahr und zehn Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt worden, weil er ebenfalls bei den gegen den Neonaziaufmarsch 2011 gerichteten Protesten mit einem Megaphon und den Worten «Nach vorne« zum Durchbruch einer Polizeisperre aufgerufen haben soll.

Kriminelles Netzwerk

Noch schwerer als besagte Fälle wiegt der Skandal, der 2007 das erste Mal öffentlich wurde. Es handelt sich um den sogenannten »Sachsensumpf« und damit verbundene Machenschaften, die in ihrer Gänze bis heute nicht vollends aufgeklärt sind.

Zur Erinnerung: Auf insgesamt 15.600 Seiten Aktenmaterial hatte das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz Belege gesammelt, die Verstrickungen hochrangiger Bediensteter aus Polizei, Justiz und Politik in ein kriminelles Netzwerk belegen sollten, welches sich im Freistaat der Korruption, Beteiligung an dubiosen Immobiliengeschäften, Mordanschlägen und Kinderprostitution schuldig gemacht haben soll. Trotz eines vorliegenden Prüfberichtes von August 2005 folgten diesen ersten Erkenntnissen keinerlei strafrechtliche Ermittlungen, auch das Landesparlament wurde nicht informiert, obwohl der Verfassungsschutz offenbar bereits im zweiten Quartal 2005 Kenntnis vom sexuellen Missbrauch hatte, der durch damalige Leipziger Staatsanwälte und Richter begangen worden sein soll.

Anstatt jedoch gegen das Kartell von offensichtlich Kriminellen vorzugehen, die in Folge der Annexion der DDR im Osten aktiv waren, wird der nahezu unglaublich anmutende Skandal wohl niemals mehr aufgeklärt werden. Selbst zwei Parlamentarischen Untersuchungsauschüssen in den vergangenen Legislaturperioden war es schließlich nur äußerst begrenzt gelungen, die Mauer des Schweigens bei potentiellen Verantwortlichen für den Skandal zu durchbrechen und zumindest ein wenig Licht in die Machenschaften der sogenannten Eliten zu bringen.

Kritiker diffamiert

Hingegen wurden von Zwangsprostitution betroffene Frauen, die – im Jugendalter in einem Leipziger Kinderbordell namens »Jasmin« missbraucht worden waren – und aussagten, dass sie später Staatsanwälte und Richter als Kunden wiedererkannt haben wollten, mit Strafverfahren überzogen. Bis heute wurde in einigen Fällen, die eigentliche Opfer des »Sachsensumpfes« betreffen, die Prozesse jedoch nicht einmal eröffnet.

Die unter den im Freistaat vorherrschenden Bedingungen in Politik, Justizbehörden und Gesellschaft mögliche Aufklärungsarbeit wurde maßgeblich vom Linke-Rechtspolitiker und aktiven Landtagsabgeordneten Klaus Bartl, sowie den ehemaligen Abgeordneten Volker Külow (Linke) und Karl Nolle (SPD) befördert. In einem im Sommer 2014 vor der Landtagswahl veröffentlichten Minderheitenbericht des Untersuchungsauschusses kommt die Linksfraktion zu dem Schluss, dass ein »Netzwerk von Akteuren in Innenministerium und Landesamt für Verfassungsschutz sowie in Justizministerium und Staatsanwaltschaft den Schein einer weißen Weste mit allen Mitteln aufrechterhalten« wollte. »Bis heute leugnen Staatsregierung und Koalition jede Verantwortung bei der Nichtaufdeckung schwerer und schwerster Formen organisierter Kriminalität. Statt dessen benutzen sie in ihrer Entscheidungsbefugnis stehende rechtsstaatliche Mittel, um ihre Version der Wahrheit letztlich durch justizielle Entscheidungen auch unter Gefährdung oder gar Vernichtung sozialer und beruflicher Existenzen einzelner Personen durchzusetzen«, erklärten die Aufklärer damals weiter.

Tatsächlich waren die Kritiker der »sächsischen Zustände«, beispielsweise SPD-Mann Nolle, mit öffentlichen Diffamierungskampagnen und fragwürdigen Strafverfahren überzogen worden. Für den damaligen Landtagsabgeordneten, der einmal konstatierte, dass Bayern gegenüber Sachsen »ein Hort des Liberalismus« sei, reichten die Folgen bis hin zur Zerstörung seiner Gesundheit und seiner wirtschaftlichen Existenz.

Was genau geschehen muss, damit sich die sächsische Justiz künftig weniger an vermeintlichen politischen Vorgaben und mehr an Recht und Gesetz orientiert, bleibt fraglich.

Markus Bernhardt

Lesetips zum Thema »Sachsensumpf«:
Jürgen Roth: »Spinnennetz der Macht – Wie die politische und wirtschaftliche Elite unser Land zerstört«. Econ Verlag, Düsseldorf/Berlin 2013, 336 Seiten, 19,99 Euro
Mandy Kopp: »Die Zeit des Schweigens ist vorbei«. Marion von Schröder Verlag, Berlin 2013, 272 Seiten, 16,99 Euro

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