Karl Nolle, MdL

Focus, 04.02.2001

Die Macht des Dresdner Patriarchen verfällt im Zeitraffertempo

Mit dem Rausschmiss seines Finanzministers stürzt Biedenkopf die Sachsen-CDU in einen Machtkampf, der die schwarze Mehrheit kosten könnte.
 
- Eine solche Unbotmäßigkeit hatte Kurt Hans Biedenkopf, 71, noch nie in seinen zehn Amtsjahren als absolut regierender Ministerpräsident erlebt. "Bis gestern", kanzelte der Vize-Vorsitzende der Landespartei Heinz Eggert den fassungslosen Regierungschef vergangene Woche in der Fraktionssitzung ab, "saßen Sie noch fest im Sattel. Das ist ab heute vorbei." Als weitere Vorwürfe auf den Professor niederprasselten, meinte er zu seinem treuen Gefolgsmann, dem Fraktions- und Parteivorsteher Fritz Hähle: "Das muss ich mir nicht anhören." Da fuhr Ex-Justizminister Steffen Heitmann seinen früheren Chef an: "Bleiben Sie sitzen und hören Sie sich das an."

- Verheerende Fehlkalkulation

Seit Biedenkopf in einem vermeintlichen Befreiungsschlag seinen offenbar zu selbstbewusst gewordenen Finanzminister Georg Milbradt, 55, brachial aus dem Kabinett wuchtete, verfällt seine Macht im Zeitraffertempo. Bei der Telefonabstimmung einer sächsischen Zeitung hielten 80 Prozent der Anrufer Milbradts Hinauswurf für einen kapitalen Fehler. Zehn der 27 sächsischen CDU-Kreisverbände stellten sich auf die Seite des Vize-Parteichefs, den die Basis 1999 mit wesentlich mehr Stimmen in das Stellvertreteramt gewählt hatte, als sie dem blassen Landeschef Hähle geben wollte. Der entging schon vor zwei Jahren nur knapp einer Abwahl; um sein Ergebnis zu schönen, wurden damals auch die Enthaltungen als Ja-Voten gezählt, damit insgesamt 60,7 Prozent zusammenkamen.

- Das Parteibeben unter seinen Füßen, glaubt Biedenkopf, werde irgendwann auch wieder aufhören. In Wirklichkeit brauchte er durch sein hektisches und konfuses Strippenziehen in der selbst geschaffenen Krise fast sein gesamtes Vertrauenskapital auf. Erst machte er vor der Fraktion den Inhalt eines Vier-Augen-Gesprächs mit Milbradt öffentlich, in dem der Finanzminister angeblich die Ablösung des Biedenkopf-Schützlings Hähle verlangt hatte. Dann schimpfte er gegenüber einem Journalisten, Milbradt sei ein "miserabler Politiker", dementierte jedoch gleich wieder: "So etwas Idiotisches würde ich nie sagen." Vergangene Woche gab er vor den Abgeordneten dann zu, es doch gesagt zu haben, garnierte sein Geständnis allerdings mit dem Hinweis, der Redakteur habe sich für die Verwendung der angeblich "privaten Bemerkung" schon bei ihm entschuldigt. "Davon", so Sven Siebert, Landeskorrespondent der "Leipziger Volkszeitung", "kann gar keine Rede sein."

- "Er lügt, lügt, lügt", kommentiert giftig ein ranghoher Unionsmann die Selbstdemontage des Ober-Sachsen. Parteimitglieder reagieren auch verstört auf Gerüchte, dass Landesmutter Ingrid Biedenkopf den gelegentlich brummigen Finanzprofessor Milbradt für ungehobelt hält und angeblich seinen Hinauswurf beschleunigt habe. Je fahriger der 71-jährige Regierungschef sich über die Runden zu retten sucht, desto staatsmännischer präsentiert sich der Geschasste: Er werde, so versprach er, "keine Politik der verbrannten Erde betreiben". Hinter den Kulissen rüstet er, von Kabinettsdisziplin und Terminstress befreit, entspannt und bereits einige Kilo leichter, zur offenen Feldschlacht: Auf dem Parteitag im November - oder früher - steht die Wahl des Landeschefs an, der die Sachsen-Union 2004 in den Wahlkampf führt. "Jetzt", droht ein Milbradt-Vertrauter, "mobilisieren wir die Partei."

- Milbradts Vorstellungen von der Nachfolgeregelung unterscheiden sich in der Tat radikal von denen Biedenkopfs. Es sei "völlig naiv zu glauben", so der Ex-Minister, "man könne einen Kandidaten bis zuletzt zurückhalten, und dann fällt erst 2003 der Startschuss". Im Gegenteil: "Ein Kandidat hat nur die Chance auf eine Mehrheit, wenn er sich vorher freischwimmen kann." Genau das, eine vorzeitige Teilung der Macht, will Biedenkopf jedoch auf Biegen und Brechen verhindern.

- Eine quälende Machterosion,wie sie der alternde Landesvater Johannes Rau in Nordrhein-Westfalen mit dem jüngeren Kronprinzen Wolfgang Clement im Nacken erlebte, galt Biedenkopf stets als blanker Horror. "Das Rau-Problem würde er nur bekommen, wenn er so verrückt wäre, jetzt schon einen Nachfolger zu bestimmen", meint ein Vertrauter des Sachsen-Herrschers. Nun spielt er alles oder nichts: Er habe nur die Alternative gesehen, sagt Biedenkopf, "durchzugreifen oder die Sachen zu packen". Kaum jemand in der Partei rechnet damit, dass er damit bis zu seinem selbst verkündeten Rücktrittsdatum 2003 warten muss. Er selbst soll schon in kleinen Runden den letzten sächsischen König Friedrich August III. zitiert haben, der 1918 mit den legendären Worten abtrat: "Macht eiern Dreck alleene."