Karl Nolle, MdL

MDR aktuell Kommentar, 24.06.2001

Wahlen 2001 in Sachsen. Alleinherrschaft der sächsischen Regierungspartei bröckelt

Kommentar: Von Jürgen Schlimper
 
Nach dem zweiten Wahlgang ist Sachsens politische Landkarte etwas bunter geworden. In den Großstädten hat die CDU nur einen einzigen Oberbürgermeisterposten verteidigen können - und das auch nur, weil SPD und PDS in Zwickau sich nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen konnten. Die Landeshauptstadt dagegen wird nun von einem Politiker regiert, von dem auch die Landesregierung größeren Gegenwind erwarten muss, von Ingolf Roßberg, der für ein breites Wählerbündnis antrat.

Achtungserfolg der Opposition in Dresden

Der Erfolg von Roßberg fiel noch etwas deutlicher aus, als Umfragen mehrerer Dresdner Medien erwarten ließen. Mit der Roßberg-Wahl haben die Dresdner ihren Wunsch nach Veränderung im Rathaus verdeutlicht. Sie haben sich auch keinen Unbekannten erwählt - Roßberg genoss auch bei anderen politischen Parteien schon in der Vergangenheit einen Ruf als solider Politiker, der nicht nur in Parteibuchgrenzen denkt. Ein solcher Politiker ist in Dresden nunmehr erst recht gefordert. Denn Roßberg muss in Dresden mit einem Stadtrat zusammenarbeiten, in dem CDU und die Roßberg nicht sehr freundlich gesonnenen FDP-Abgeordneten als "bürgerliche Mehrheit" herrschen. Ein kooperatives Verhältnis aller Fraktionen zu entwickeln, dürfte die schwerste und zugleich dringendste Aufgabe sein, die der neue OB in der politisch polarisierten Stadt bewältigen muss.

Der bisherige Amtsinhaber Wagner hat sich am Wahlabend recht verbittert gezeigt. Es dürfte ihm aber nicht entgangen sein, dass er selbst in der eigenen Partei nicht als Wunschkandidat galt. Visionäres Handeln und verbindliches Auftreten in der Öffentlichkeit haben Wagner nie ausgezeichnet - aber auch solche Eigenschaften erwarten die Wähler vom Oberhaupt einer Landeshauptstadt. Es kann auch kein Zweifel darüber bestehen, dass der zuletzt aggressiv geführte Wahlkampf der CDU - zum Beispiel Plakate, auf denen der Gegner Roßberg als Marionette angegriffen wurde - Wagner nicht geholfen hat. Wagners Argument, dass seine Niederlage auch mit dem Kampf aller gegen einen zusammenhänge, ist nach dem Antreten Berghofers kaum noch stichhaltig.

Das Ergebnis von Wolfgang Berghofer ist ein Desaster für den Neueinsteiger im zweiten Wahlgang. Ein Desaster ist es vor allem, weil Berghofer noch Anfang des Jahres gute Chancen auf einen Wahlsieg eingeräumt wurden, was auch Umfragen bestätigten. Überraschen kann das jetzige schlechte Abschneiden indes nicht. Wer alle politischen Kräfte, aus deren Anhängerschaft am ehesten mögliche Wähler kommen können, verärgert, darf sich über ein solches Abschneiden nicht wundern. Auch die Ziererei um die Kandidatur konnte kein Vertrauen wecken. Enttäuschend war freilich zudem das mangelnde persönliche Engagement in den letzten Tagen des Wahlkampfes. Und schließlich war nicht zu übersehen, dass Berghofer nicht nur an Selbstüberschätzung litt. Es mangelte ihm zugleich an aktueller kommunalpolitischer Kompetenz, wovon sich auch die Teilnehmer am Chat bei MDR ONLINE ein Bild machen konnten. Das Wahlergebnis verdeutlicht damit auch, dass eine "Kam-sah-und-siegte"-Taktik nicht honoriert wird.

Das flache Land mehrheitlich der CDU - die großen Städte fast durchweg der Opposition

Die in Sachsen absolut regierende CDU konnte allein in Zwickau einen OB-Sessel verteidigen. Schwächen zeigte sie aber nicht nur in den großen Städten. Kandidat der CDU bei den Landratswahlen zu sein, ist ab sofort keine Garantie mehr für den Wahlsieg. Immerhin gelang Kandidaten, die nicht zur Regierungspartei gehören, gleich zweimal ein deutlicher Erfolg - nämlich im Leipziger Land und im Kreis Freiberg. Das Gerangel um den CDU-Kandidaten und das geschlossene Auftreten von SPD und PDS beim zweiten Wahlgang im Leipziger Land sowie die Nachwirkungen der Gehälteraffäre im Kreis Freiberg haben zu dem deutlichen Ergebnis beigetragen.

Eine Überraschung ist dagegen der knappe Sieg des Vertreters einer Wählervereinigung im Kreis Annaberg, einer Hochburg der CDU. Hier wie auch in anderen Erzgebirgsregionen zeigten Wählervereinigungen selbst auf Kreisebene eine Stärke, die die etablierter Parteien wie SPD und PDS deutlich übertrifft. Gerade diese beiden Parteien haben vor allem bei Landratswahlen mehrfach auf vermeintlich bekannte Gesichter aus dem Landtag gesetzt. Erfolg in Form eines annehmbaren Ergebnisses hatten sie aber nur dort, wo die Landespolitiker auch auf kommunaler Ebene im Kreistag oder im örtlichen Gemeindeparlament aktiv waren.

Abfuhr für Machtstrategen

Größere Überraschungen blieben in den mittleren und kleineren Orten aus. In Döbeln zog der SPD-Kandidat sichtbar Nutzen aus den Auseinandersetzungen zwischen der offiziellen CDU-Bewerberin und dem von der eigenen Partei verschmähten Amtsinhaber. In Meißen setzte sich dagegen das Noch-CDU-Mitglied Pohlack als Einzelbewerber mit deutlicher Mehrheit gegen den von CDU bevorzugten Kandidaten durch. Auch hier haben die Wähler den Machtstrategen einer Partei wieder einmal eine Absage erteilt. Bemerkenswert ist auch der Sieg des PDS-Vertreters in Werdau mit als 60 Prozent der Stimmen.

Neu aufleben dürfte nach den Wahlen die Debatte um das sächsische Wahlrecht. Für die Einführung von Stichwahlen statt der bisher in Sachsen üblichen neuen zweiten Wahlgänge haben die jüngsten Wahlen einige Argumente geliefert.

24.06.2001 22:40