Karl Nolle, MdL

Süddeutsche Zeitung, 14.12.2001

Biedenkopf und die verordnete Ruhe

Kommentar von Jens Schneider
 
DRESDEN. Die meisten Parlamentssessel und auch die Regierungsstühle sind leer. Vor allem die führenden sächsischen Christdemokraten haben sich an diesem Vormittag in die Hinterzimmer des Landtags zurückgezogen. Aufgeregt spritzen einige über die Gänge. Ihre weniger wichtigen Kollegen versuchen, etwas von dem zu erhaschen, was sich hinter den Kulissen abspielt: der Machtkampf in der Endphase der Ära Biedenkopf.

Am Abend zuvor hat es in der Fraktionsspitze der CDU heftige Wortwechsel gegeben. Parteichef Georg Milbradt hatte den Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf angesichts immer neuer Vorwürfe gegen ihn bedrängt, die Anschuldigungen auszuräumen. Milbradt habe dezidiert nachgefragt: „Was ist mit den Briefen?“ Gemeint waren Schreiben, die Biedenkopf in der Affäre um ein von einem seiner Freunde gebautes Behördenzentrum stark belasten. Alles sofort auf den Tisch, forderte Milbradt nun im Fraktionsvorstand – und warnte, die Parteibasis werde nicht mehr lange ruhig bleiben. Er hielt Biedenkopf die Berichte über einen Rabatt bei Ikea vor und fragte den 71- jährigen Regierungschef, ob er denn nicht merke, dass das ganze Land über ihn lache. Vor allem aber habe Milbradt wissen wollen, ob weitere Fauxpas zu erwarten seien: „Gibt es da noch mehr, Kurt?“

Biedenkopf soll das verneint haben – und wenn es noch mehr gäbe, würde er Konsequenzen ziehen, soll er gesagt haben. Manch einer sah seinen Rücktritt nahe, doch offiziell hat er dieses Wort nie in den Mund genommen. Am Morgen danach hätte die Union zu gern Einigkeit demonstriert. Doch schon am Mittag rief man die CDU-Fraktion zu einer Sondersitzung zusammen, denn aus der Fraktionsspitze sei kolportiert worden, Milbradt habe Biedenkopf zum Rücktritt aufgefordert.

Milbradt fühlte sich falsch wiedergegeben und stellte Fraktionschef Fritz Häle deshalb vor aller Augen zur Rede. In der anschließenden Sitzung gab es wieder heftigen Streit, vier Abgeordnete forderten Biedenkopfs Rücktritt. Danach wurde Ruhe gefordert. „Die große Mehrheit will, dass es eine geordnete Amtsübergabe gibt, bei der Kurt Biedenkopf erhobenen Hauptes seinen Abschied nehmen kann“, sagte Häle. Ein Rücktritt sei nicht auf der Tagesordnung.
(Jens Schneider)