Karl Nolle, MdL

Freie Presse, 08.01.2002

Enttäuschte Erwartungen

Biedenkopf will durchhalten und muss Vertrauensbonus einlösen
 
DRESDEN. Seit knapp einem Jahr wird in Sachsen nicht mehr über Politik geredet. Das wird jetzt wohl noch ein knappes halbes Jahr so bleiben, obwohl der Grund, der die Befürchtung auslöst, der politischen Sache dienen soll. Kurt Biedenkopf, um dessen Person sich alles dreht, will noch einige Aufgaben zuende führen, bevor er die Bühne verlässt. Das erscheint plausibel. Der Gestaltung der Hochschul- und Kulturlandschaft hat Biedenkopf über seine fachliche Herkunft hinaus auch emotionale Kraft gewidmet. Beide Bereiche sind Vorzeige-Elemente für das Wiedererstarken eines einstmals blühenden Landes und Teil der Werbestrategie, mit der dieser Ministerpräsident nach innen Identifikation und nach außen Anziehungskraft ausgelöst hat.

Kein Nachfolger würde diese Trümpfe aus der Hand geben wollen. Aber es zeichnet sich ab, dass mit einer neuen Führung ein Maß an Nüchternheit Einzug halten würde, das Ausgaben für Kultur und Wissenschaft eher den Gesetzen ökonomischen Kosten-Nutzen-Denkens unterwerfen würde. Das lehnen die beiden Professoren Meyer und Biedenkopf ab und verbinden damit, wohl im Einklang mit jenen Kabinettskollegen, die nicht sofort ihren Hut nehmen möchten, den Wunsch nach einem zeitlich gestreckten Rücktritt.

Das edle Motiv, dem Land bis zur Vollendung guter Taten dienen zu wollen, wird dem Ministerpräsidenten von der Kritik aber kaum abgenommen werden. Opposition und Ablösung aus dem eigenen Lager standen für einen raschen Übergang Gewehr bei Fuß. Die einen, um ohne den früheren Biedenkopf-Glanz die Machtverhältnis im bisherigen CDU-Musterländle des Ostens zu kippen, die anderen, um eben das, verbunden mit eigenen Karriereabsichten, zu verhindern. Nun wird vor allem Georg Milbradt mit seiner Truppe vor eine neue Geduldsprobe gestellt. Das löst den Vorwurf an Biedenkopf aus, die Unruhe in der Partei zu verlängern. Andere verweisen auf die Chance, mit einem Konsens-Kandidaten anstelle von Milbradt eine Spaltung in der Partei vermeiden zu können.

Biedenkopf darf aus Umfrage Vertrauen folgern, das beispiellos ist.

Kurt Biedenkopf darf aus der Zustimmung, die eine Umfrage zutage förderte, Vertrauen folgern, das nach einem Jahr Negativ-Schlagzeilen beispiellos ist. Wenn er sich jetzt zum Durchhalten entschlossen hat, dann geht er auch eine Verpflichtung ein gegenüber den Menschen im Land und seinem eigenen Ruf. Gemessen wird er vor allem daran, wie konstruktiv er seine Nachfolge begleitet und in welchem Zustand er die Partei hinterlässt. Das wird in den nächsten Monaten mindestens so viel Kraft kosten wie eine gute Lösung der Hochschulfrage.
(Hubert Kemper)