Karl Nolle, MdL

Die Welt, 17.01.2002

Kurt Biedenkopf geht: Kleiner, großer Mann, was nun?

Er war mit Sachsen glücklich und Sachsen mit ihm: Kurt Biedenkopf wird Mitte April sein Amt als Ministerpräsident des Freistaates Sachsen beenden
 
DRESDEN. Wenn wieder einmal die Klage über die Profillosigkeit der politischen Klasse laut wird, ist die Antwort vorhersehbar. Dann wird empfohlen, sich vom Berufspolitiker, der die öffentliche Bühne auf allen Ebenen der Republik beherrscht, zu verabschieden und ihn durch Leute zu ersetzen, die sich in einem ordentlichen, einem bürgerlichen Beruf bewährt haben. Beispiele für solche Karrieren zu finden, ist allerdings nicht leicht und wird von Tag zu Tag schwerer. Wenn Kurt Biedenkopf, wie jetzt angekündigt, im April aus dem Amt scheidet, wird es von dieser Art in Deutschland kaum noch einen geben.

Als er, von Helmut Kohl gerufen, in die Politik ging, hatte Biedenkopf eine beachtliche Laufbahn hinter sich. Mit Anfang dreißig war er Professor für Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsrecht an der neu gegründeten Ruhr-Universität in Bochum geworden, in den wilden Jahren vor 1969 war er ihr Rektor. Aber Biedenkopf wollte immer mehr als Wissenschaft und Wissenschaftsverwaltung, er wollte die Theorie praktisch werden lassen, und dazu gab ihm der Vorsitz in der Mitbestimmungskommission die erwünschte Gelegenheit.

Nach ein paar Monaten als Geschäftsführer des Chemiekonzerns Henkel wurde er Generalsekretär der CDU, ein Amt, das beides fordert, Organisationstalent und konzeptionelles Denken. Biedenkopf brachte beides mit. Unter seiner Führung wandelte sich die CDU von einer Honoratioren- zu einer beweglichen, programmatisch anspruchsvollen Mitgliederpartei. Die von ihm entdeckte "Neue Soziale Frage" erschloss der Partei völlig neue Wählerschichten. Die Verhandlungsdemokratie, wie sie sich damals herauszubilden begann, nimmt auf Interessen ja nur soweit Rücksicht, wie diese sich lautstark zu Gehör bringen. Viele, manchmal sogar die wichtigsten Interessen werden dabei vergessen oder übergangen. Biedenkopf ist diesem Thema auf der Spur geblieben und hat es erst neulich wieder unter dem Titel "Sozialmacht", dem neben Politik und Wirtschaft dritten, entscheidenden Machtfaktor, eindruckvoll beschrieben.

In der für Kleingewachsene nicht untypischen Art verfügt Biedenkopf über ein starkes Selbstbewusstsein. Als eines seiner Motti nannte er einmal den bekannten Nietzsche-Ausspruch "Was uns nicht umbringt, das macht uns nur stärker". Schon früh hielt er sich für den besseren Kandidaten als seinen Parteivorsitzenden Helmut Kohl. Er war freilich unvorsichtig genug, das auch andere wissen zu lassen, die es Kohl hinterbrachten. Der reagierte genauso, wie er es immer tat, wenn jemand seinen Ambitionen zu nahe gekommen war. So teilte Biedenkopf das Schicksal der Strauß, der Albrecht, der Stoltenberg, der Späth und wie sie sonst noch hießen.

Seine Stärke, die intellektuelle Brillanz, hat sich immer wieder als eine seiner größten Schwächen erwiesen. Denn Biedenkopf war nie damit zufrieden, dass er die Dinge besser analysieren, genauer berechnen und schärfer abschätzen konnte als alle anderen; er ließ die anderen das auch merken. So etwas wird im Ausland leichter verziehen als im Inland, wo es von politischen Konkurrenten nur so wimmelt. Biedenkopf hatte es schwer, im Inneren das Maß an Anerkennung, ja Bewunderung zu finden, das ihm jenseits der deutschen Grenzen mühelos zuteil wurde.

Dem Zerwürfnis mit Kohl folgten vielfältige Versuche, in Nordrhein-Westfalen eine politisch stabile Heimat zu finden. Keiner von ihnen gelang, Kohls langer Arm hat das noch jedesmal verhindert. Seine Chance kam erst 1989, als das System im Osten zusammen brach. Damals war Biedenkopf einer der ersten, der als Gastprofessor ins "Beitrittsgebiet" ging, an die Universität Leipzig, um dort den Konvertiten die Grundzüge der freien Marktwirtschaft zu erklären. Bald darauf kam dann die Anfrage von Heiner Geißler, ob er bereit sei, für die Partei in Sachsen als Spitzenkandidat aufzutreten. Biedekopf wollte und sagte nach kurzer Bedenkzeit zu.

Es zeigte sich bald, dass diese Entscheidung für ihn selbst genauso glücklich war wie für das Land. Dass Sachsen heute in vieler Hinsicht besser dasteht als die anderen östlichen Bundesländer, ist vor allem ihm zu verdanken. Nach mehreren Abstimmungen, die eher einem Personalplebiszit als einem Wahlakt glichen, ist Sachsen bis heute das einzige Land, in dem die CDU mit absoluter Mehrheit regiert.

Sein Erfolg hat ihm den Abschied von der Macht schwer gemacht und die notwendige Entscheidung allzu lange herausgezögert. So kam es, dass die letzten Monate seiner Amtszeit von allerlei Affären und Peinlichkeiten überschattet worden sind. Dass sie seine Verdienste dauerhaft verdunkeln können, ist aber nicht zu erwarten. Wenn er am 17. April im sächsischen Landtag seine Abschiedsrede halten wird, dürfte ihm der Applaus sicher sein, auch der seiner Gegner.
(Konrad Adam)