Karl Nolle, MdL

SPD-Landtagsfraktion - Pressestelle, 03.04.2003

Nolle: Offener Brief an Infineon Vorstandsvorsitzenden

Erstaunen über Drohung zu Produktionsstättenverlegung
 
Liebe Kolleginnen und Kollegen,

In einem offenen Brief an den Vorstandsvorsitzenden von Infineon Technologies, Urich Schumacher äußert Karl Nolle, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, sein Unverständnis über die Ankündigungen des Vorstandes, bei Abschaffung von Steuervergünstigungen durch die Bundesregierung, Produktionsstätten von Infineon ins Ausland zu verlegen.

Wir überlassen Ihnen den offenen Brief zur Kenntnis und freundlichen Beachtung.

Mit freundlichen Grüßen

Eileen Mägel
Referentin für Öffentlichkeitsarbeit


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Infineon Technologies AG
Herrn Vorstandsvorsitzenden Ulrich Schumacher

Postfach 800 949
81 609 München


Dresden, 25. März 2003


Offener Brief an den Vorstandsvorsitzenden Herrn Schumacher
zu Interviewäußerungen in den letzten Wochen


Sehr geehrter Herr Vorstandsvorsitzender,

zu Beginn einige wenige Worte zu meiner Person. In den 1970er Jahren habe ich in Hannover eine Druckerei aufgebaut. Unmittelbar nach der Wende habe ich im Frühjahr 1990 in Dresden Kontakt zu einem Druckunternehmen aufgenommen, dass ich 1991 von der Treuhand übernommen haben. Mittlerweile ist das nunmehrige Druckhaus Dresden eines der innovativsten Druckunternehmen in Ostdeutschland und hat 63 Beschäftigte. Vor fünf Jahren wurde ich zum Verbandsvorsitzenden der Druckindustrie in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gewählt und vertrete dabei über 200 kleine und mittlere Unternehmen. Seit 1999 bin ich Mitglied des Sächsischen Landtags und dort wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.

Die erst kürzlich veröffentlichten Arbeitslosenzahlen sprechen eine deutliche Sprache: so viele Männer und Frauen waren in Sachsen noch nie arbeitslos - entsprechend ist die wirtschaftliche Lage in Ostdeutschland nach wie vor sehr schwierig. Die wirtschaftliche Aufholjagd ist seit einigen Jahren ins Stocken geraten. Bis wir gleichartige Lebensverhältnisse in Ost und West erreichen werden, ist es noch ein sehr langer Weg. Meiner Ansicht nach ist es eine der wichtigsten Aufgaben der deutschen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die Folgen der deutschen Teilung zu überwinden und alles dafür zu tun, dass die Menschen in den neuen Ländern eine wirtschaftliche Perspektive bekommen.

Vor diesem Hintergrund hat es mich sehr gefreut, dass Infineon Technolgies vor einigen Jahren nach Dresden gekommen ist und vor kurzem auch ein zweites Werk hier eröffnet hat sowie mit dem Maskenwerk weitere Erweiterungen vornehmen will. Infineon ist mit seinen über 5.000 Beschäftigten in Dresden für die gesamte Region ein wichtiges Aufbruchsignal gewesen. Es hat gezeigt, dass Hochtechnologien auch in Ostdeutschland beheimatet sein können. Die psychologischen Effekte solcher Großansiedlungen sind enorm. Darüber hinaus haben sie auch nicht unerhebliche Effekte auf weitere kleinen und mittlere Unternehmen im Umfeld.

Um diese Effekte zu erzielen, hat der Staat diese Investition mit Steuergelder gefördert und damit in nicht unerheblichem Umfang unternehmerisches Risiko abgefedert. Nach meinen Informationen unterstützte die öffentliche Hand die Errichtung des ersten Chipwerkes in der Höhe von ca. 460 Mio EUR, das zweite Chipwerk mit ca. 219 Mio EUR und das gemeinsame Infineon-AMD-Maskenwerk mit ca. 125 Mio EUR. In der Summe brachte der deutsche Steuerzahler damit über EUR 800 Mio auf, nicht gezählt sind dabei u.a. das Entgegenkommen der Stadt bei den Grundstückspreisen und zusätzliche Investitionen in die öffentliche Infrastruktur. Angesichts der Arbeitsplatzeffekte und auch der psychologischen Wirkung des Projektes halte ich die Entscheidung, in dieser enormen Größenordnung Steuergelder aufzubringen, für richtig - wenn auch nicht leicht. Entspricht doch die Summe immerhin über 5% eines durchschnittlichen sächsischen Landeshaushalts.

In Interviewäußerungen von Ihnen, Herr Schumacher, las ich nun in den letzten Wochen mit großem Erstaunen von Ihrer Drohung, Produktionsstätten von Infineon ins Ausland zu verlegen. Als Grund dafür gaben Sie die geplante Abschaffung von Steuervergünstigungen durch die Bundesregierung an.

Mich haben Ihre Äußerungen sehr verwundert - insbesondere vor dem Hintergrund der enormen Subventionen, die Ihr Unternehmen aus Steuergeldern bekommen hat. Nach meiner Meinung können solche staatlichen Unterstützungen nur fließen, wenn dem nachhaltige Effekte gegenüber stehen. Zu diesen Effekten gehören neben den neu geschaffenen Arbeitsplätzen selbstverständlich auch langfristig der Rückfluss dieser Subventionen über Steuereinnahmen durch das entsprechende Unternehmen.

Ansonsten machen derartige Unterstützungen von Unternehmen wenig Sinn für den Staat und Steuerzahler.

Darüber hinaus stelle ich mir die Frage, wie ich den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber solche Subventionen begründen soll. Berechtigt scheinen die Fragen, ob mit diesen Geldern nicht auch hätten Infrastrukturprojekte finanziert, Schulen saniert, Kindergärten modernisiert werden können.

Darüber hinaus stehen auch die Fragen von vielen kleinen und mittelständischen Unternehmern im Raum. Wie Sie wissen, ist der überwiegende Teil der ostdeutschen Wirtschaft mittelständisch geprägt. Im Verarbeitenden Gewerbe liegt die durchschnittliche Betriebsgröße in Sachsen bei ca. 40 Beschäftigten - in den alten Ländern liegt sie bei über 100 Mitarbeitern. Die ostdeutschen Unternehmen haben in viel größerem Umfang als ihre westdeutschen Counterparts Probleme mit der Eigenkapitaldecke, mit Marktzugang und Marketing. Viele der ostdeutschen Unternehmen haben erstklassige Produkte, doch fehlt ihnen oft die finanzielle Kraft und auch die Erfahrung, diese Produkte auf neuen Märkten abzusetzen. Als Landtagsabgeordneter habe ich in den letzten Jahren einige Unternehmen kennen gelernt, die mit Bürgschaften oder Beteiligungen in der Lage gewesen wären, neue Geschäfte abzuwickeln. Solche Situationen sind mir auch durch meine Tätigkeit als Verbandsvorsitzender der Druckindustrie bekannt. Leider war die öffentliche Hand bisher nicht im nötigen Umfang in der Lage, Hilfestellungen zu geben.

Angesichts der Finanzknappheit der öffentlichen Hände finde ich die Fragen von kleinen und mittelständischen Unternehmen verständlich. Sie wundern, warum sie keine oder nur geringe staatliche Unterstützungen bekommen. Die Unternehmer wissen sehr wohl: eine halbe Milliarde EUR an Fördermitteln für Unternehmen mit über 500 Beschäftigten schafft bzw. sichert ca. 5.000 Arbeitsplätze (mit den Umfeldunternehmen sicherlich 10.000), das gleiche Geld bei Unternehmen mit unter 500 Beschäftigten investiert, schafft bzw. sichert ca. 50.000 Arbeitsplätze. Wie soll man auf die Fragen der Unternehmerinnen und Unternehmer antworten, warum unter diesen Umständen nicht mehr Subventionen in den Mittelstand fließen? Wie soll ich die Frage beantworten, warum einigen Firmen in großem Umfang Produktionsentwicklung und Firmenaufbau staatlich subventioniert wird und sie trotzdem später ihre Produktion ins Ausland verlagern - während kleinen und mittelständischen Unternehmen diese Ausweichstrategie nicht zur Verfügung steht?

Sehr geehrter Herr Schumacher, ich denke diese Fragen sind von großer Bedeutung für die Zukunft des Wirtschaft in den neuen Ländern bzw. in Deutschland insgesamt. Auf diesem Weg möchte ich Sie deshalb herzlich nach Dresden zu einem Gespräch mit kleinen und mittelständischen Unternehmerinnen und Unternehmern über die Frage der weiteren Wirtschaftsentwicklung in den neuen Ländern und über Verantwortung in der Wirtschaft einladen.

Mit freundlichen Grüßen

Karl Nolle MdL