Karl Nolle, MdL

Pressemitteilung, 09.12.1999

Verkehrspolitik: "Wir baden jetzt Kohls Schuldenpolitik aus"

Rede von Karl Nolle im Sächsischen Landtag
 
In diesem Moment, wo wir hier in eine neue Verkehrsdebatte einsteigen, diskutieren in Leipzig sächsische SPD-Politiker und Abgeordnete mit dem Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Siegfried Scheffler, über die sächsische Verkehrsinfrastruktur und die zügige Realisierung der A 38. Bedauerlich ist allerdings, dass es die CDU-Fraktion bislang nicht vermochte, über ihren eigenen Schatten zu springen, um auch nur eines unser mittlerweile vielen Kooperationsangebote aufzunehmen. Dann hätte Dr. Simone Raatz bereits heute in Leipzig eine abgestimmte „sächsische“ Meinung vertreten können. Aber, so soll es offensichtlich nicht sein - diskutieren wir also heute – trotz großer Übereinstimmung in der Sache noch einmal für die Pressetribüne des Landtages darüber, wer nun Schuld hat an den liegengebliebenen Projekten – anstatt uns mit vereinter Kraft der praktischen Lösung der riesigen Probleme in Sachsen zuzuwenden, wird von Ihnen eine Show gegen Berlin abgezogen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU – auch wenn es gerade in ihrer jetzigen Situation weh tut, denn es geht wieder einmal um viel Geld – den ursächlichen Löwenanteil an unserer derzeitigen Lage trägt eindeutig die Schuldenpolitik der abgewählten Kohl-Regierung. Wenn man täglich 220 Millionen DM Steuereinnahmen, allein an Zinsen für selbstgemachte Staatsschulden zu den Banken tragen muss, kann man nicht mehr jeden Tag ein Fest feiern. So blieben unter Kohl viele notwendige Zukunftsinvestitionen auf der Strecke. Die Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger hat das verstanden – so hat die SPD die bei der Kompetenzfrage, welche Partei am ehesten Ordnung in die Staatsfinanzen bringen kann, inzwischen deutlich hinter sich gelassen. Es geht um unser aller Zukunft, besonders um die unserer Kinder Nun Kern des Antrages DS 3/0037 Bundesfernstraßenbau. Dass gespart werden muss und damit jedenfalls nicht im Osten angefangen werden kann, ist unstrittig. Aber was die CDU-Fraktionschefs der neuen Bundesländer partout nicht registrieren wollen, ist, dass im Investitionsprogramm 1999 bis 2002 uns 18 Prozent Ostdeutschen mehr als 55 Prozent der Straßenbaumittel zugedacht sind. Wenn Sie, wie in dieser Woche geschehen, in aller Öffentlichkeit verkünden, der Bund ziehe sich schleichend aus der Ostförderung zurück, dann betreiben sie entweder bewusste Brunnenvergiftung oder den betreffenden CDU-Kollegen wurde beim motivierenden Lichtbildervortrag ein DIA seitenverkehrt eingelegt. Das soll ja mal vorkommen, Herr Kollege Hähle. Der Anteil der Ost-Länder am Investitionsprogramm ist für uns mehr als zufriedenstellend, auch Anteil Sachsens an den Schieneninvestitionen geht so in Ordnung - übertrifft er doch Sachsens Bevölkerungsanteil um mehr als das doppelte. Lediglich die Beteiligung des Freistaates an den Investitionen für den Bundesfernstraßenausbau verhagelt auch uns gründlich die Freude. Bei einer genauen Lektüre des CDU-Antrages stößt man noch einmal auf die Nebelwerfer. 1. Die Finanzierung der A 17 möge sichergestellt werden. Frage: War sie also bisher nicht? 2. Die A 72 soll in den vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplanes aufgenommen werden. Frage: warum befindet sie sich da noch nicht längst? und so weiter. Manchmal fragt man sich wirklich, wer hat eigentlich seit 1990 in Bonn und Dresden regiert? Und war nicht ausgerechnet Verkehrs-Staatssekretär Dr. Nitsch vier lange Jahre der ranghöchste sächsische Vertreter der Kohl-Regierung. Wir wissen heute dass die langfristigen persönlichen Überlebenschancen im System Kohl sich umgekehrt proportional zur Entfernung von Bonn verhielten. Der unvergessene Günter Krause war eben der Mann des Kanzlers und nicht der professorale Quertreiber aus Dresden. Ich frage Sie, warum sonst ist Sachsen bei den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit so schlecht weggekommen? Der CDU-Antrag benennt einigermaßen korrekt die wichtigsten Schwachstellen im sächsischen Autobahn- und Bundesfernstraßennetz, und deshalb hätten wir auch überhaupt kein Problem damit, dem Antrag hier und heute zuzustimmen. Beim Thema Grundversorgung unseres Landes mit Verkehrsinfrastruktur gilt es, das Verbindende zu suchen, nicht das Trennende. Der erschreckende Massenexodus junger Menschen aus der Oberlausitz infolge wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit ist uns nie und nimmer egal. Deshalb ist die schnelle Realisierung eines Autobahnzubringers Löbau-Zittau für uns ebenso wichtig wie der Bau der A 38 und der A 72 im struktur- und SPD-stärkeren sächsischen Westen. Auch die Autobahnzubringer für Hoyerswerda und Weißwasser sind für die jeweiligen Regionen von existenzieller Bedeutung. Bei aller Übereinstimmung möchte ich bei der Staatsregierung und der sie tragenden Fraktion aber ganz vorsichtig anfragen, ob sie bei der Anmeldung der Verkehrsprojekte beim Bund die Prioritäten wirklich immer richtig gesetzt hat. Die A 17 ist Zugegebenerweise wichtig, aber irgendwie scheint sie sich aber als Prestigeprojekt verselbständigt zu haben. Dabei soll die A 72 (Chemnitz-Leipzig) die beiden - nach Berlin – größten Ballungsräume Ostdeutschlands miteinander verbinden. Das Vorhaben ist jedoch – mit Ausnahme jenes Stummels Chemnitz-Penig - nicht in den vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplanes eingestellt worden. Warum die A 38 nur westlich der A 9 ein VDE-Projekt ist, weiß der Geier. Ich erwähne dies hier nur, weil die CDU zur Zeit gerade im westsächsischen Raum den Anschein erwecken will, die ganze Region fiele soeben einem bösen Komplott zum Opfer. Solche Behauptungen sind ebenso falsch wie sie auch der Sache selbst schaden. Auch die in Punkt 5 des CDU-Antrages erhobenen Vorwürfe sind dahingehend zu relativieren, dass die Nichtübertragbarkeit eingesparter VDE-Mittel keine haushaltstechnische Erfindung der neuen Bundesregierung ist. Weit schwieriger und komplexer stellt sich die Angelegenheit in punkto Eisenbahn-Neubaustrecke Erfurt – Halle/Leipzig dar. Gestatten Sie mir die Bemerkung, dass dieser CDU-Antrag aus dem Schnellkochtopf etwas sehr dürftig ist. Warum? Zunächst einmal muss festgestellt werden, dass es bezüglich der Mittelverteilung für den Schienenwegeausbau keine Gerechtigkeitslücke gibt. In der Kohl-Ära mussten wir mit ansehen, wie unser einziges sächsisches VDE-Projekt, die Ausbaustrecke Leipzig-Dresden, zu einem Torso verkam, wie die Eisenbahn-Nord-Süd-Verbindung um Sachsen herum geleitet werden sollte. Heute nehmen die Projekte Sachsenmagistrale und Neubauabschnitt Leipzig–Gröbers, gemessen am Investitionsvolumen, im Investitionsprogramm-Schiene der neuen Bundesregierung deutschlandweit die Plätze 3 und 4 ein. Das ist doch was! Wir gehen davon aus, dass jedem in diesem hohen Haus bekannt ist, dass wir uns mitten in einer komplizierten Bahnreform befinden, die irgendwann mit dem Börsengang eines attraktiven Unternehmens ihren Abschluss finden soll. Die Zeit ist vorbei, als noch die Bahn als Endlager für abgebrannte Partei-Politiker missbraucht wurde – Münch, Nawrocki, um nur zwei Namen zu nennen. Bahn und Bund haben sich jetzt auf eine mittelfristig angelegte Konzeption (Netz 21) verständigt, die mit nur drei Worten: „Ausbau statt Neubau“ beschrieben werden kann und dem angeschlagenen Unternehmen das wirtschaftliche Überleben sichern soll . Keine spektakulären Milliardenprojekte – vielmehr effektiver Mitteleinsatz auf der ganzen Fläche - und siehe, die neue Strategie bringt Ruhe ins Unternehmen und erste Erfolge. In der vergangenen Woche machte die Bahn erstmals seit langer Zeit wieder positive Schlagzeilen, als sie für den Fahrplanwechsel Mai 2000 den Einsatz moderner Neigetechnik und spürbare Fahrzeitverkürzungen ankündigte. Meine Damen und Herren, obgleich uns die Bahn wieder ins nächste Jahrtausend vertröstet hat, sind es andererseits nur noch 5 Monate bis zum Beginn des ICE-Linienverkehrs im wilden Osten, wodurch erhebliche Fahrzeitgewinne realisiert werden: 40 Minuten Dresden/Frankfurt, 60 Minuten Dresden/Hof, 26 Minuten Leipzig/München und dazu weit besserer Komfort und Service. Solche Meldungen sind für das Unternehmen zur Zeit wichtiger als die vage Ankündigung, in fünf, sechs oder sieben Jahren könnte eine Neubautrasse in Betrieb gehen, während – der bisherigen Logik folgend - ringsumher weiter die Strecken verfallen oder gar stillgelegt werden müssen. Wenn jetzt das Unternehmen Bahn selbst den gewonnenen Handlungsspielraum richtig nutzt, ist es uns um die Zukunft des Schienenverkehrs nicht bange. Deshalb stehen wir fest zur Konzeption Netz21 des Unternehmens und ab 2002 muss daran gebaut werden. Es ist uns heute nicht möglich ist, mal eben weitere drei Milliarden Mark für eine Neubaustrecke aus dem Ärmel zu ziehen. das liegt zu allererst am, von der CDU aufgetürmten, gigantischen Staatsschuldenberg von 1,5 Billionen Mark mit jährlich über 80 Milliarden Mark Zinslast. Meine Damen und Herren, richtig saniert hat Helmut Kohl offensichtlich nur die CDU-Parteifinanzen und nicht den Staatshaushalt, auch wenn sich im Nachhinein alles nur als aufgeblähter Saumagen herausstellen sollte. Die von uns allen gewollte deutsche Einheit war eben nicht mal eben aus der Kaffeekasse zu bezahlen, wie geahnt. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, freuen Sie sich ruhig, dass wir diese Schuldensuppe für Sie jetzt auslöffeln. Nicht zuletzt diesem Umstand verdanken Sie doch zur Zeit noch Ihre Wiederwahl. Aber, bei aller notwendigen Polemik, wir wollen unseren Willen zur sachbezogenen Zusammenarbeit mit unserem Änderungsantrag zeigen. zum Änderungsantrag zu DS 3/0038: Wir wollen das Problem Neubaustrecke Erfurt–Leipzig/Halle in den erforderlichen Zusammenhang zu stellen. Wir Sozialdemokraten wollen, dass der Hochgeschwindigkeitsverkehr nicht nur in Westdeutschland stattfindet – mit einer Verbindung zur Insel Berlin. Wir wollen, dass unser bevölkerungsreicher mitteldeutscher Raum gut an das Hochgeschwindigkeitsnetz der Bahn eingebunden wird. Wir Sozialdemokraten wollen, dass speziell der Knoten Leipzig/Halle wieder zu einer bedeutenden Drehscheibe in Deutschland und im zusammenwachsenden Europa wird. Nord-Süd-Magistrale Italien-München-Berlin- Skandinavien, Ost-West-Magistrale Paris-Rhein/Main-Halle/Leipzig-Polen - das sind die eigentlichen Dimensionen, in denen wir denken lernen müssen - das ganze eingebettet in ein tragfähiges Gesamtnetz. Wenn wir heute die Möglichkeit hätten, jene 3,5 Milliarden Mark für den sofortigen Bau der Neubaustrecke Erfurt- Halle/Leipzig investieren zu können, vielleicht aus Anderkonten oder Treuhandkonten, dann würden immer noch wenigstens fünf Jahre bis zur Inbetriebnahme vergehen. Die Realisierung dieses Einzelvorhabens wäre keinesfalls die Gewähr dafür, den komplexen Anforderungen der Zukunft gerecht zu werden. Speziell der Eisenbahnknoten Leipzig/Halle benötigt eine Gesamtlösung – unter Einbeziehung der äußerst wichtigen Verbindung Richtung Süden inklusive des City-Tunnels. Um der durchaus realistischen Gefahr, nicht angemessen in den Eisenbahnhochgeschwindigkeitsverkehr eingebunden zu werden, wirksam zu begegnen, ist zudem ein gemeinsames Vorgehen aller betroffenen Bundesländer nötig. Wir können ohnehin keine 5 Jahre auf hochwertige Zugverbindungen warten. In diese Richtung zielt der 2. Teil unseres Antrages. Für den Fahrplanwechsel im Mai 2000 hat uns die Bahn einen ersten wichtigen Schritt versprochen – weitere müssen folgen – kontinuierlich, Jahr für Jahr. Insbesondere das Problem eines exzellenten Eisenbahnhochgeschwindigkeitsanschlusses für unser wohl wichtigstes sächsisches Verkehrsinfrastrukturprojekt, den Ausbau des Flughafens Leipzig-Halle zu einem internationalen Luftkreuz, braucht eine alsbaldige Lösung. Ich bitte Sie alle recht freundlich um Zustimmung zu unserem weitreichenden Änderungsantrag.