Karl Nolle, MdL

Plenum des Sächsischen Landtages, 17 Sitzung, 18.05.2005

Münteferings Heuschrecken ....

„Das ist doch viel harmloser als das, was die vergangenen Päpste seit 50 Jahren gegenüber dem kapitalistischen Wirtschaftssystem geäußert haben.“
 
Rede des wirtschaftspolitischen Sprechers der SPD-Ladtagsfraktion, Karl Nolle, zur aktuellen Debatte „Soziale Marktwirtschaft stärken – Politik für Arbeitsplätze in Sachsen“
17. Sitzung des Landtages am 18. Mai 2005
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(Es gilt das gesprochene Wort!)

Anrede

Wenn neben Ihnen jemand tot umfällt, dann ist das nicht der Beweis, daß Sie selber gesund sind.

Das Scheitern des Kommunismus und die Erfolge der friedlichen Revolution von 1989 bedeuten nicht den Sieg des Kapitalismus. Ich halte es für einen verhängnisvollen Irrtum dies zu glauben.

Der Kampf für mehr Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft, ihr dringender Reformbedarf, hat nicht mit dem 9.November 1989 geendet, als könnten wir nun die Hände in den Schoß legen mit der Gewissheit, alles andere regele der Markt.

Adam Schmith, der gerne als oberste Instanz anrufen wird, sagte 1776:

„Das Interesse der Kaufleute in Handel und Gewerbe weicht aber in mancher Hinsicht stets vom öffentlichen ab, gelegendlich steht es ihm auch entgegen.“

Was für ein Aufheulen bei den Neoliberalen Ideologen in unserem Lande als Franz Müntefering vor wenigen Wochen sagte:

„ Manche Finanzinvestoren verschwenden keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernichten. Sie bleiben anonym, haben keinen Gesicht, fallen wie die Heuschreckenschwärme über die Unternehmen her und ziehen weiter.“

Brennende Barrikaden, der Geruch angebrannten Mittagessens, Chaos in den Talkshows und blankes Entsetzen bei den Pharisähern, die bei jeder antikapitalistischen Enzyklika, der obersten Kirchenmänner sonntags glänzende Augen kriegen. Auch Papst Benedikt wird die kapitalistische Ausbeutung ebenso geißeln.

Sonntags glänzende Augen - und werktags auf einem Parteitag erklären: Münteferings Kritik an den negativen Auswüchsen der sozialen Marktwirtschaft seien,

„ Parolen aus dem Karl Marx Museum und seit 1989 abgeschafft.“

Ich befürchte, er glaubt das selber, was ihm an Plattheiten ins schlechte Redemanuskript von Bad Düben geschrieben wurde.

Getoppt wird das allerdings noch von der treuen Stimmes seines Herren. Der auf der selben Veranstaltung erklärte:

„Wir als Union wissen, wofür wir stehen. Nicht für Sozialismus, nicht für Nationalismus und auch nicht für Kapitalismus. Wir stehen für Freiheit.“

Man höre und staune der hochgelobte junge Mann im Generalsrang steht nicht für Kapitalismus. Ob er da seinen Landesvorsitzenden richtig verstanden hat?

So unterschiedlich die Wurzeln unserer sozialen Marktwirtschaft sind, die Berg-predigt, die Aufklärung, Kants Kathegorischen Imperativ, sein Satz „Würde hat keinen Preis“, das kommunistischen Manifest, das Ahlener- und das Godesberger Programm von CDU und SPD. Sie alle sind als grundlegende Werte und je unterschiedlich, in den Inhalt sozialer Marktwirtschaft eingegangen. Für die Väter unseres Grundgesetzes, war es besonders wichtig, die Sozialbindung des Eigentums im Grundgesetz festzuschreiben.

Denn die Wirtschaft muß dem Menschen dienen und nicht die Menschen der Wirtschaft.

Für Georg Milbrandt ist Müntefering – Mottenkiste. Für Sachsen wäre es allerdings besser, der ihn kritisiert, verstünde von Moral in der Wirtschaft und der christlichen Soziallehre mehr.

Ist es denn falsch, wenn der Jesuit und Sozialethiker Friedhelm Hengstbach, bekanntester Vertreter der katholischen Soziallehre, zu Münteferings Kritik am Kapitalismus sagt:

„Das ist doch viel harmloser als das, was die vergangenen Päpste seit 50 Jahren gegenüber dem kapitalistischen Wirtschaftssystem geäußert haben.“

Auch Kardinal Lehmann meinte dazu unmißverständlich:

„Der Sozialstaat ist eine kulturelle Errungenschaft. Das Konzept der Balance zwischen wirtschaftlicher Freiheit und sozialem Ausgleich in Deutschland ist erfolgreich.

- Ohne Tugenden funktioniert die Wirtschaft nicht.
- Die aber sieht die neoliberale Nationalökonomie heute oft als Balast.
- Für uns ist Moral die Grundlage für alles Wirtschaften.“

Dies als Mottenkiste zu bezeichnen, sollte man selbst auf Parteitagen nicht tun. Ich denke die Sächsische Union kann besser - wenn sie wollte und sich ihrer Tradition christlicher Soziallehre erinnerte.

Nach den Kirchenmännern, die ich vorhin zitierte nun einige politische Stimmen:

Der Arbeitnehmerflügel der Union und der stellvertr. CSU Vorsitzende Horst Seehofer fordern eine Wertedebatte in ihrer Partei.

Seehofer sagt: „um nicht dem neoliberalen Zeitgeist zu erliegen, der den Sozialstaat zurückschneiden will. Denn es geht um die zentrale Fragestellung: Wohlstand für alle oder Armut für viele.“

Ex-Arbeitsminister Blüm meinte zur Müntefering Rede: „Er hat recht. Die neoliberalen Yuppies verwüsten unsere partnerschaftliche Unternehmenskultur. Sie degradieren Arbeitnehmer zu Spielmaterial.“

Und Ex-CDU-Generalsekretär Heiner Geißler warnte:

„Diese weltweit operierenden Unternehmen können genauso frei agieren wie die Mafia, die Drogendealer, die Terroristen. Der Kapitalismus ist genauso falsch wie der Kommunismus.

Aber im Moment ist der Anarchokapitalismus, dieser neu entstandene Frühkapitalismus die dominierende Ideologie.“

Besonders tat sich Frau Merkel hervor, in dem sie messerscharf folgerte und sie ist sich da mit ihrem sächsischen Landesvorsitzenden einig:

„Wenn Müntefering es ernst meinte, dann dürften die Unternehmenssteuern jetzt nicht gesenkt werden. Außerdem müsse Rot/Grün dann sofort Hartz 4 stoppen.“

Also, meine Damen und Herren, der CDU-Chef in Sachsen sagt „Mottenkiste Karl Marx“ und wer den Kapitalismus kritisiert, darf keine Unternehmenssteuern senken und seine Bundesvorsitzende fügt noch hinzu, wer gegen den Kapitalismus ist, muß sofort Hartz 4 stoppen und der sächsische Junior-General erklärt, die sächsische CDU steht nicht für Kapitalismus sondern für Freiheit.

Also mal ehrlich, haben Sie das verstanden ?

Die CDU will keine Unternehmenssteuern senken und sie will Hartz 4 stoppen, weil sie gegen den Kapitalismus steht. - Alles klar?

Ich sage mit Wolfgang Lieb:

“Dem vorherrschenden marktradikalen Dogma entsprechend, ist es in den vergangenen Jahren üblich geworden, den Markt und den Wettbewerb zu idealisieren und den Staat als unfähigen, bürokratischen Moloch zu beschimpfen. Rückführung der staatlichen Aufgaben, vor allem im Bereich der Daseinsvorsorge, Senkung der Staatsquote und Steuern, Privatisierung, Deregulierung und Entstaatlichung sind zu gängigen Parolen in Politik und Medien geworden.
Tatsächlich hat Müntefering nur gesagt, was jeder im Grundgesetz nachlesen kann: Dass unser Staat ein Rechtsstaat und ein Sozialstaat sein sollte.

Er hat die kaum bestreitbaren “International forcierten Profit-Maximierungsstrategien" und die "international wachsende Macht des Kapitals" als eine Gefahr für die Demokratie kritisiert.

Er hat nicht behauptet, man könne alle Unternehmen über einen Kamm scheren.

Und er hat darüber hinaus die Agenda-Politik verteidigt, wenn er die soziale Sicherung über einen Mix aus Beiträgen, Steuern und individueller, privater Vorsorge finanzieren will.

Nichts Neues also !

Weder hat er eine aktivere Rolle des Staates in der Konjunktur- und Finanzpolitik gefordert, noch eine gerechtere Verteilung des Volksvermögens, weder eine produktivitäts-orientierte Lohnpolitik noch den Stop von Unternehmenssteuer-Senkungen angemahnt.

Müntefering hat lediglich warnend auf die Macht des Kapitals hingewiesen, die in mancher Ausprägung zu einer Gefahr für unsere Demokratie geworden ist und er hat das Grundgesetz verteidigt.

Das genügt schon inzwischen in Deutschland, um sich den Vorwurf von "Klassenkampf" (Spiegel) oder "Kriegsrhetorik" (Süddeutsche Zeitung) , “der muß in eine Gummizelle” (Wirtschaftswoche) oder “Karl-Marx- Mottenkiste” (Milbradt) einzufangen.


Stimmt es nicht, wenn Müntefering sagt:

"Sie fordern den schlanken Staat und wären doch nicht böse, wenn er denn verhungerte. Ja, sie legen es darauf an.”

Die prompten Reaktionen etwa von Arbeitgeberpräsident Hundt und Ifo-Chef Sinn, Sachsens verdienstvollsten Berater, zeigen, wie degeneriert, wie jammervoll auf den Hund gekommen, die öffentliche Debatte inzwischen ist.

Die Aufregungen, die Münteferings Thesen bei einem Teil unserer Eliten auslösten, lassen ja fast vermuten, dass sie von völlig unerwarteten Enthüllungen überrascht wurden, und der neuen Erkenntnis, dass in unserem ordentlichen Sozialstaat böse Kräfte tätig sind, mit Gier Ausbeutung und Profitdenken.

Dass sich, wie es Magnus Enzensberger formulierte, „hinter dem Tarnbegriff Wirtschaft in Wirklichkeit der schiere Kapitalismus verberge“, der sich mit gefährlichem Wettbewerb und ungezügelter Globalisierung breit gemacht habe.

Wie konnte dies alles hinter dem Rücken von Regierung und wachsamen Parlamenten passieren.

Nun mal ehrlich, meine Damen und Herren, sind das nun wirklich so ungeheuerliche Enthüllungen oder nur der Sturm im Wasserglas unserer Talkshow Demokratie?

Jedem modernem Unternehmer und das sage ich auch als Arbeitgeberverbandvorsitzender der Druckindustrie in Sachsen, Thürigen und Sachsen-Anhalt, muß doch klar sein:

Die Entwicklung von technischer und Human-produktivität sowie die konsequente Hebung aller stillen Produktivitätsreserven ist für uns ständige und wichtigste Aufgabe, um trotz gegebenen Preise wirtschaftlich arbeiten zu können.

Wir müssen wissen, dass die größten Reserven in uns selber liegen. Sie zu erkennen und zu heben ist unsere wichtigste Aufgabe.

Hier sind vor allem unsere Mitarbeiter gefragt, ihre Motivation, ihr Engagement, ihre Erfahrung.

Sie zu loben, sie zu belohnen, sie einfach als Menschen zu behandeln und anzuerkennen, das schafft und sichert dauerhaft, die höchste Produk-tivität und die beste Qualität, die wir brauchen.

Ich sage hier noch einmal mit den Worten des ehemaligen Vorstandvorsitzenden von VW, Heinrich Nordhoff, am Beginn der sozialen Marktwirtschaft 1951:

„Der Wert unserer Unternehmen, das sind nicht unsere Bankkonten, nicht unsere Häuser und nicht die Maschinen. Der Wert unserer Unternehmen sind die Menschen, die darin arbeiten und der Geist, in dem sie es tun.“
Dies zu beherzigen zeichnet den modernen und sozialen Unternehmer aus. Dies sichert uns Gewinn für unsere Unternehmen, dies sichert uns Wohlfahrt für unsere Familien und unsere Mitarbeiter.

In diesem Sinne stimme ich auch Porsche-Chef Wendelin Wiedekind zu, wenn er sagt:

“Ich verstehe die These überhaupt nicht, Arbeitsplätze seien in Deutschland zu teuer, und neue könnten nur noch im Ausland entstehen.

Die Lohnkosten sind doch wirklich nicht das eigentliche Problem in diesem Land.

Wir führen die falschen Diskussionen in diesem Zusammenhang. Es gibt ja Leute, die behaupten, der Standort Deutschland könne seine Spitzenposition im globalen Wettbewerb durch Lohn- und Sozialdumping absichern. Die aber befinden sich ganz bestimmt auf denn Holzweg. Ich sage Ihnen:

Wir verarmen, wenn wir asiatisch werden wollen.

Nicht nur weil wir mit den chinesischen Lohnkosten von (50 Cent die Stunde) niemals konkurrieren könnten, es wäre auch volkswirtschaftlicher Unsinn.

Mit welchem Geld soll der deutsche Arbeitnehmer denn dann konsumieren? “

Anrede

Mit Preisen, Tauschwerten und Äquivalenten haben wir es tagtäglich zu tun.
Aber es wird immer dringender, auch darüber nachzudenken, was Achtung, Anerkennung und menschliche Würde für unser gesellschaftliches und individuelles Wohlergehen bedeuten.

Menschenwürdige Arbeit wird in der Werteskala der Wünsche und Träume der Menschen sehr hoch angesetzt.

Denn Anerkennung, Achtung und menschliche Würde, das hat eben keinen Preis – und keine Lobby.

Auch das hat Müntefering anmahnen wollen.

Nicht mehr und nicht weniger.

Und noch eines:

Wir sind in einer Koalition, aber wir werden auch zukünftig keine Missverständnisse darüber zulassen, was unsere klare, unverwässerte CDU-Politik ist. Wir werden uns von den Sozis nicht verbiegen lassen!
Demokratie bedeutet, die gewählten Mehrheiten zu akzeptieren.
Doch es bedeutet nicht, dass wir nicht sagen dürften, wer wofür verantwortlich ist. (Originalton CDU Generalsekretär Kretschmer in Bad Düben)

Wat den ienen sien Uhl, ist den anneren sien Nachtigal ....


Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.