Karl Nolle, MdL

Rede im Plenum des Sächsischen Landtages, 33. Sitzung , TOP 4, DS 3/2212, 15.03.2001

Große Anfrage der SPD - Fraktion zum Südraum Leipzig

Gebiet mit besonderen Entwicklungsaufgaben
 
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren,

Wir Sozialdemokraten haben uns manchmal schon gefragt, warum Sie, meine Damen und Herren von der CDU, diese blinden Flecken Ihrer Politik in Sachsen eigentlich „Regionen mit besonderen Entwicklungsaufgaben“ nennen.

Nun – es sind dies die armen Regionen unserer sächsichen Heimat, in denen die Menschen schon seit 11 Jahren darauf warten, daß diese CDU Staatsregierung endlich eine besondere Politik für die dort lebenden Sachsen entwickelt.

Bisher haben Sie dies vergessen zu tun, meine Damen und Herren von der CDU.

Nun hat dieses hohe Haus erstmalig ein umfangreiches Zahlenwerk zum Südraum Leipzig vorliegen, dafür Danke.
Die Chance für etwas mehr Transparenz ist jedenfalls gegeben.

Ob das die Politik der Mehrheitsfraktion dieses hohen Hauses, die sonst immer alles weiß, hört und sieht, beflügelt, werden wir sehen - nachdem die CDU die Fragen nach den Fakten für den SRL, wie in diesem Falle, lieber in ungewohnter Bescheidenheit der Opposition überlassen hat.

Zunächst zu den Visionen von Staatsminister Hardraht. Er ließ verlauten, dass er den Südraum Leipzig zu einem „erstklassigen touristischen Gebiet“ entwickeln will. Außerdem soll es nach seinem Wunsche eine „vorsichtige Erweiterung“ der Industrie geben.

Tja - Herr Hardraht, nicht immer wo Königssonne draufsteht ist auch Königssonne drin.

Erstens: Hier wurde also ein Gebiet mit besonderen Problemen und Chancen
bezeichnet und man hat es als räumlichen Wirkungskreis des Braunkohlenbergbaus definiert, es tangiert den Randbereich Leipzigs, sowohl ganze Gemeinden, als auch Gemeinde- bzw. Stadtteile.
Resultat - eine teilweise chaotische Statistik, die den Überblick erschwert und politische Täuschungsmanöver erleichtert.

Zweitens: Die Staatsregierung zeigt für die Entwicklung des Südraumes Leipzig eine stabile Bevölkerungsentwicklung, verbunden mit günstigen Altersstruktur.

Die Aussage zur Bevölkerungsentwicklung kann ich mittragen, aber daß die derzeitige Altersstruktur positiv sei, bestreite ich.

Seit 1989 ist ein Bevölkerungsrückgang um 2,9 % zu verzeichnen, der zusammen mit dem von Leipzig zu sehen ist. Dieser betrug seit 1989 14,4%. Einen Teil des Migrationskuchens, von der Stadt aufs Land, hat sich der Südraum geholt. In den letzten Jahren erfolgte ein verstärkter Zuzug von Familien aus Leipzig, wobei sich dieser Trend seit 1995 abschwächte. Hieraus ergibt sich die benannte günstige Altersstruktur.
Wenn man berücksichtigt, dass vor allem bei den 20-30-jährigen ein Trend – wenn auch nicht so stark im Vergleich zum gesamten Freistaat – zur Abwanderung in die alten Bundesländer besteht, kann wohl nicht mehr von einem günstigen Entwicklungspotential gesprochen werden.

Die Bevölkerungsfortschreibung weist deutlich die Altersklassen aus, die aus dem Südraum fortziehen. Nachdem - zur Zeit der Wende - die heute 50-jährigen fortzogen, sind es derzeit die 20-30-jährigen, die der Arbeit folgen. Dieser Wegzug-Trend wird über das Jahr 2015 anhalten.

Soviel ist klar, wer heute als Kind im SRL groß wird, wird auch im Jahr 2015 noch seinen Ausbildungs- und Arbeitsplatz woanders suchen müssen, wenn sie weiterregieren, meine Damen und Herren von der CDU.

Im Interesse der tüchtigen Menschen, die seit 11 Jahren vergebens auf christdemokratische Wunder im Südraum warten, kann man nur hoffen, dass die Statistik an dieser Stelle nicht Recht behält.

Ich weiß, Sie haben die Tagebauwüste als ruhmreiche Hinterlassenschaft, des Arbeiter und Bauernstaates, nur übernommen.

Aber wollen Sie denn Ihre Verantwortung seit dem - und den Stillstand leugnen?

Wollen Sie das den fleißigen Menschen, ohne Arbeit und Zukunft, sagen?

Haben Sie den Mut dazu?

Drittens: muß die ungenaue Gebietsabgrenzung immer dann als Antwort herhalten, wenn eine andere zu unbequem wäre.

So kann - nach Aussage der Staatsregierung: - keine angemessene Bewertung der regionalökonomischen Situation für diesen mit einem Ballungsgebiet so eng verflochtenen Teilraum – wie ihn der SRL darstellt – vorgenommen werden.

Die Industriebeschäftigten sind im SRL seit 1989 um 80%, seit dem Niedergang des Bergbaus, zurückgegangen. Waren 1991 noch 686 Beschäftigte je Betrieb im Bergbau und verarbeitenden Gewerbe beschäftigt, sind es 1999 nur noch 82.
Eine schöne Aufgabe für die Staatsregierung.

Weiter fällt z.B. auf, dass es im SRL weniger weibliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigte aber mehr männliche Teilzeitbeschäftigte als im sächsischen Durchschnitt gibt. Berücksichtigt man ferner, dass der durchschnittliche branchenspezifische Bruttomonatsverdienst geringer ist als im sächsischen Durchschnitt, müssen wir von einem arbeitsarmen Billiglohngebiet sprechen mit einem wachsenden Auspendlerstrom .

Ja, der SRL hat sachsenweit die Nase vorn, wenn es um neu gebaute Wohnfläche je Einwohner geht. Die vielfach ungenügende Verkehrsanbindung führt jedoch für die pendelnden Familienväter zu langen Arbeitswegen, die die Freude an Familie und am eigenen Häuschen sicherlich trüben.
Über die weitere sozialökonomische Entwicklung können nur Mutmaßungen angestellt werden, da für den SRL keine besonderen Ausbildungsplatzzahlen verfügbar sind.

Viertens: Aus dem Vergleich der Entwicklung der Betriebe, Beschäftigten und des Umsatzes im Vergleich zum Freistaat insgesamt kann geschlussfolgert werden, dass der Zuwachs an Wirschaftskraft im SRL hinter dem Sachsens zurückgeblieben ist. Diese schwächere Wirtschaftskraft des Gebietes spiegelt sich auch in den Gewerbesteuereinnahmen wider. Der SRL verzeichnet dort 1999 202 DM je Einwohner, Leipzig-Stadt 436 DM, der Regierungsbezirk Leipzig 303 DM und Sachsen insges. 229 DM je Einwohner.

Auch der Umsatz je Beschäftigten in der Baubranche ist niedriger als im Regierungsbezirk Leipzig, der Stadt Leipzig und in Sachsen.

Deshalb zählt der SRL zu den besonders strukturschwachen Gebieten, den armen Teilen unseres Landes. Im europäischen Vergleich der Wirtschaftskraft der Regionen. kommt es gleich nach den armen Regionen Portugals und Griechenlands. Von einer Trendwende ist bis 1999 nicht viel zu sehen.

Mit der Förderung der gewerblichen Wirtschaft konnten fast ebenso viele Arbeitsplätze gesichert, wie neu geschaffen werden, je ca. 4000. Kein Grund zum Toben, aber gut.

Daß diese Zuschüsse in kein Fass ohne Boden fallen, belegt die vergleichsweise niedrigere Insolvenzquote. Bei der Ausweisung von Gewerbegebieten war man offensichtlich vorsichtiger als anderswo. Deshalb liegt auch die Auslastung dieser Gewerbegebiete bei respektablen 76 bis 80%.

Also der Südraum Leipzig, ist ein sehr sehr zartes Pflänzchen, das guter Pflege bedarf. Vielleicht ist es das, was Staatsminister Hardraht eine „vorsichtige Erweiterung der Industrie“ nannte.

Aber hier ist erheblich mehr Engagement gefordert. Notwendig ist eben nicht nur ein Aufforsten der Bergbaukippen, sondern auch die Pflege und Neuanpflanzung von Unternehmen. Wie sonst sollte den Kindern und Kindeskindern des SRL eine Arbeits- und Lebensperspektive gegeben werden.

Fünftens In ihrer Antwort gibt die Staatsregierung drei Schwerpunkte an:

A) Erhalt und Ausbau industrieller Kernbereiche

B) die Entwicklung einer Erholungslandschaft mit integrierter Freizeitwirtschaft als Ergänzungsraum für die Großstadt Leipzig

C) die Verbesserung des Kontakts zwischen innovativen Unternehmen in der Region und den Wissenschafts- und Forschungsinstitutionen, um innovativen Unternehmen Ansiedlungsanreize zu geben.

Ziele und Gewichtung sind als Ergebnis der letzten Regionalkonferenz (1994) im Südraum definiert worden. Danach steht die Entwicklung des produzierenden Gewerbes und produktionsnaher Dienstleistungen an erster Stelle. Dann erst folgt die touristische Entwicklung.

Minister Hardraht fordert jedoch eine „erstklassige touristische Entwicklung“ und nur eine „vorsichtige Erweiterung der Industrie“. Dies bedeutet aber für die wirtschaftlichen Entwicklung im SRL - Kapitulation.

Und es fällt auf, dass Forschung und Entwicklung in seiner Darstellung nicht vorkommen. Damit ignoriert er die ausbaufähigen Ansätze einer angewandten, ökologieorientierten Energie- und Umweltforschung z.B im Campus Espenhain, der einzigen örtlichen Forschungseinrichtung.

Es kann nur um Ausbau dieser Kapazitäten gehen, um der Etablierung neuer Branchen, um innovative Stimulanz, um so die wirtschaftliche Entwicklung anzukurbeln.

Wenn der Campus Espenhain erhalten werden soll, ist die derzeitige Förderpraxis zu hinterfragen. Wie soll der kaum vorhandene und wirtschaftsschwache Mittelstand der Region einen 30%-Eigenanteil für die wirtschaftnahe Forschung am Campus bereitstellen. Da sich die Unternehmen auch aus diesem Grunde nicht um den Campus streiten, wirtschaftet dieser zum großen Teil immer noch aus der Anschubfinanzierung von 1997. Auch ist es schwer die Fixkosten zu decken, da es keine institutionelle, sondern nur noch Projektförderung gibt.
Dabei wäre gerade die Förderung innovativer Verfahren - mit denen sie Marktnischen besetzen können - eine Chance für die Klein- und Mittelständischen Unternehmen im SRL.

Es kann und darf nicht Aufgabe der Staatsregierung sein, vorhandene Unzulänglichkeiten und Missstände zu zementieren, sondern sie muß sie zusammen mit den regionalen Akteuren abschaffen.

Wie dies genau geschehen soll, ist leider nicht nachlesbar, da der Regionale Entwicklungsplan für den SRL noch immer nicht genehmigt, bzw. erst seit heute, wie behauptet wird, vorliegt, trotz Positionierung des Planungsverbandes Westsachsen vor zwei Jahren. Eine fundierte Planung ist jedoch Grundvoraussetzung für zielgerichtete Politik. Was Sie machen ist Blindflug, ohne Navigation.

Wie stellt sich die Staatsregierung den weiteren Ausbau der Infrastruktur, als Basis einer wirtschaftlichen und touristischen Entwicklung vor?

Wie kann ansiedlungswilligen Unternehmen ohne ein Regionale Entwicklungskonzept Planungssicherheit gewährt werden?

Sechstens soll das „Touristenparadies“ beleuchtet werden. Die Leipziger brauchen nicht mehr die Südsee. Ihr „Neuseenl@nd“ (mit einem „Klammeraffen“ im Wort) entsteht vor der Haustür. Mit diesem Slogan wollen die Akteure Assoziationen bezüglich einer Internet(ten) Seenlandschaft befördern. Das kann ihnen auch gelingen. Offen ist, ob das innovative Projekt, die „vernetzte Region“ tatsächlich kommen wird. Schon der erste Schritt, in dem 31.000 IT-Anschlüsse für Borna, Zwenkau, Kitzscher, Großpösna, Espenhain, und Markleeberg) in Kommunen, Schulen, Behörden, der Wirtschaft und bei Privatpersonen geschaffen werden sollen, würde bis zu 80 neue und nicht nur hochqualifizierte Arbeitsplätze schaffen. Nach Aussage der Grospösnaer Bürgermeisterin Köpping führte allein eine Presseinformation zu diesem Projekt zu einer Flut von ansiedlungsinteressierten Unternehmen. Es wäre kontraproduktiv, dieses Projekt jetzt mangels einer Anschlußfinanzierung sterben zu lassen.

Herr Hahrdraht hat es sich das vorliegende 750.000 DM schwere Gesamt-Marketing-konzept oft genug vorstellen lassen, jetzt sollte er zu seiner Förderzusage stehen.

Der stetige Rückgang der Betten-Auslastung lässt vermuten, dass bei der Neuschaffung von Beherbergungsmöglichkeiten der Bedarf zu optimistisch prognostiziert wurde. Sachsenweit liegt die durchschnittliche Auslastung der angebotenen Betten nämlich bei 34,2% im SRL bei 29,6 %.

Hoffen wir, dass Herr Hardraht im Zuge der Flutung der Tagebaurestlöcher, als Aufsichtsrat der Südraum Leipzig GmbH, dafür sorgt, dass auch die Fördermittel in die richtigen Kanäle fließen werden und nicht uneffektiv versickern.

Eine besonderes Highlight christdemokratischer Tourismuspolitik ist die nach den Bürgermeister und Landratswahlen beabsichtigte Sprengung der Förderbrücke Zwenkau. Diese soll, so ist von königlicher Seite zu hören, probegesprengt werden und anschließend durch heimatverbundene ABM Kräfte als Legospiel mit Elektroantrieb und Umschulungszertifikaten wieder aufgebaut werden. Sie finden das alles Wahnsinn - es war natürlich falsch was ich gerade sagte.

Nur mit der Sprengung meine Damen und Herren ist das leider die bittere Wahrheit.

Diese Brücke war bisher integrierter Bestandteil eines Tourismuskonzepts für den Zwenkauer See. Ein Konzept für 1 Million aufgefressene Planungskosten!

Da die Flutung des Zwenkauer Sees noch lange nicht abgeschlossen ist, hat sich bisher auch noch kein Investor für die Förderbrücke gefunden, die als letzte gigantische Förderbrücke Mitteldeutschlands – zu einem touristischen Highlight werden sollte.

Die LMBV als Verwalterin muss diese jedoch aus bergrechtlicher Sicht sprengen, wenn der Erhalt der Förderbrücke nicht bis zur Umgestaltung im Rahmen eines Nutzungskonzepts für den Zwenkauer See gesichert wird. Hierzu benötigt die LMBV vorerst 8,8 Mio DM zur Sicherung und weitere 15 Mio DM zur Rücklagenbildung.

Die Staatsregierung hat sich zwar zu einer touristischen Entwicklung - die an die Tradition des Braunkohleabbaus anknüpft - bekannt, aber zum Erhalt dieses beeindruckenden, technischen Denkmals läßt sie die Akteure vor Ort im Regen stehen.

Wetten, daß es keine Probesprengung sein wird, sondern eine endgültig beschlossene Sache und übrig bleibt ein historischer Trümmerhaufen, ein politischer Schrotthaufen Ihrer Tourismusattraktionen mit 1 Million in Sand gesetzter Planungskosten.

Erfreulich ist es daß der Südraum – nach Aussage von Staatssekretär Vehse in der letzten Woche – nun die gleiche Förderpriorität wie andere etablierte Tourismusgebiete erhalten soll. Damit wird der jahrelangen Forderung regionalen Akteure, wie z.B. des Bornaer Oberbürgermeisters Schubert endlich nachgekommen.
Dies ist überfällig um Regionalmarketing und touristische Entwicklung anzukurbeln.

Denn es muss nach weiteren Ideen gesucht werden, der Cospudener See ist nicht beliebig oft wiederholbar.

Er ist jedoch das beste Beispiel um zu zeigen, dass sich eine touristische Perspektive für eine Region abzeichnet in der einmal 30.000 Arbeitsplätze in der Kohle vorhanden waren. In der Gastronomie um den See werden diesen Sommer bis zu 40 Arbeitsplätze geschaffen. Niemand soll sagen das ist nichts ...

Fazit wir stellen fest, von ihrem eigenem Ziel ist die Staatsregierung noch weit entfernt. Mit dem bisherigen Aufwand ist aus dem ehemaligen Industrie- und Tagebaugebiet ein lohnendes Ausflugsziel und eine landschaftlich reizvolle Wohngegend geworden. Wenn aber nicht mehr hinzukommt, werden die Menschen ihre beruflichen Perspektiven weiter woanders suchen müssen.

Aus der Beantwortung der Großen Anfrage ergibt sich eindeutig, dass die Ansiedlung von Unternehmen an erster Stelle steht. Ohne nennenswerte Steuereinnahmen und eine Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter wird die Region in den Dornröschen-Schlaf fallen.

Leben wird dann erst am Wochenende erwachen, wenn die entstehenden Ausflugsgaststätten und Wassersportmöglichkeiten von Wochenendheimkehrern und stadtmüden Leipzigern besucht werden.

Wenn man das so akzeptieren will, dann muss man über neue Wege der dauerhaften Alimentierung dieses Erlebnis-Parks vor der Leipziger Haustür nachdenken.

Vielleicht findet Wirtschaftsminister Schommer aber auch ein neues Konzept, um seinem Kollegen bei der Umsetzung seiner „erstklassigen“ Visionen zu helfen.

Vielleicht schwadroniert er aber auch wieder, wie Kurt Hans von der Marktwirtschaft, die alles von alleine regelt.

Deshalb gibt es ja auch keine Wirtschaftspolitik in Sachsen und deshalb laufen dem königlichen Landesherrn seine undankbaren Landeskinder weg und ich füge hinzu - zur Freude der Opposition -

sogar Teile der eigenen Partei!



Danke für die Aufmerksamkeit....