Karl Nolle, MdL

Sächsischer Landtag, Rede im Plenum, 11.05.2006

NOLLE: "Wie haben wir Deutsche die Folgen von zwei so unterschiedlichen Diktaturen bewältigt?"

"Der Staatssozialismus der DDR war eine Perversion, die kleinkarierte Phrase von Sozialismus. " - Rede zur Abgeordnetenklage gegen Peter Porsch
 
Meine Damen und Herren der demokratischen Fraktionen!

Die heutige Debatte findet zu einem hochsensiblen Thema statt, nämlich der Frage, wie wir Deutschen die Folgen von zwei Diktaturen, völlig unterschiedlichen Charakters verarbeitet haben. Heute wissen wir, daß auch große Demokratien grundsätzlich nicht davor gefeit sind, wiederholt völkerrechtswidrige Kriege und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen und das andere Demokratien sie dabei mit uneingeschränkter Solidarität offen oder bewußt im Geheimen unterstützen.

Unser Volk der Dichter und Denker hat in seiner Geschichte nie viel Kraft darauf verwendet seine jeweilige unsägliche Geschichte und ihre Ursachen aufzuarbeiten und die Verantwortlichen rechtstaatlich korrekt zur Rechenschaft zu ziehen. Ich habe schon in den sechszigern mit hundertausenden anderer vor allem junger Menschen für eine solche Aufarbeitung der Nazizeit demonstriert und unsere Väter, Lehrer und Professoren gefragt, wo ward ihr, was habt ihr getan.

Wir Westdeutschen haben damals in der Frage der zeitnahen Aufarbeitung der Verbrechen unter dem Hakenkreuz jämmerlich versagt. Ich erinnere nur daran, das niemals auch nur einem Richter des Volksgerichtshofes ein Haar gekrümmt worden ist und den Massenmördern von Ausschwitz-Birkenau zur Verurteilung leider keine niedrigen Beweggründe nachgewiesen werden konnten. Der Umgang mit den Nazi-Verbrechen ist bis heute ein Schandfleck unserer Demokratie geblieben.

Aber mich hat damals auch ein Satz von Willy Brandt tief berührt, der als Junge vor den Nazis geflohen war. Er sagte einmal zu dieser Frage: „Was hätten wir den machen sollen, hätte denn die eine Hälfte unsere Volkes die andere ausrotten sollen?“

Und doch wäre eine gründliche Aufarbeitung notwendig gewesen. Südafrika hat uns da m.E. mit der Wahrheitskommission ein beschämendes Beispiel gegeben.

Es ist meine feste Überzeugung als Sozialdemokrat, in dessen Godesbergerprogramm der demokratische Sozialismus als politisches Ziel festgeschrieben steht, es gibt keinen Sozialismus ohne Demokratie und keine soziale Demokratie ohne Sozialismus und ich füge hinzu, ebenso nicht ohne Meinungs- Informations, Rede-, Versammlungs- und Gewerbefreiheit sowie strikter Rechtsstaatlichkeit. Daran gemessen war der Staatssozialismus der DDR eine Perversion, die kleinkarierte Phrase von Sozialismus, auch wenn viel ehrlichen Herzens an diese Phrase geglaubt haben.

Er war, wie unsere Demokratie in Westdeutschland, ein Mitbringsel einer alliierten Besatzungsmacht.

Manche hier werden fragen, wie ich mich mit meiner westdeutschen Biografie denn hier überhaupt hinstellen kann. Die Frage ist berechtigt. Wie hätte ich mich verhalten? Hätte ich, wie meine Großeltern und Eltern die unter Lebendsgefahr im Widerstand gegen die Nazis kämpften gegen die zweite deutsche und doch so unterschiedliche Diktatur gekämpft? Ich glaube, ich hätte es. Ich glaube ...

Ich bin zutiefst betroffen, daß wir Deutschen und besonders wir Ostdeutschen bis heute keine Aufarbeitung der DDR Geschichte hinbekommen haben, außer den ehrlichen Bemühungen einiger weniger.

Das ist auch der Grund für die Schräglage in der die Diskussionen um Peter Porsch hier stattfinden.

Ich kann und will nur für mich sprechen nur für mein Gewissen. Ich werde bei der heutigen Abstimmung mit Enthaltung stimmen. Ich kann nicht mit Nein und ich kann unter diesen Umständen hier auch nicht mit Ja stimmen aber ich habe Respekt vor denen, die reinen Herzens mit JA und denen, die mit NEIN stimmen, auch wenn aus beidem falsche Schlüsse gezogen werden können. Vor falschen Schlüssen ist man ebensowenig gefeit wie vor falschen Freunden.

Dies sind meine persönlichen Gründe:

1) Ich kann und werde nicht mit den braunen Brunnenvergiftern stimmen, die sich selbst außerhalb unserer Verfassung, unserer freiheitlichen Demokratie gestellt haben und immer wieder stellen. Ich gebrauche das Wort so gut wie garnicht, aber das läßt mein Gewissen, meine Ehre nicht zu und das politische Vermächtnis meiner Eltern und Großeltern.

2) Vermisse ich eine gründliche, ehrliche Aufarbeitung, die Vorraussetzung für einen sachlichen und lehrreichen Umgang mit dem Thema wäre.

Auch hier gilt der Satz: „Wenn du einen Sumpf trockenlegen willst, darfst du nicht die Frösche fragen.“

Diese Frösche, meine Damen und Herren, leben zu Tausenden unter uns, ja sie sind auch im Parlament vertreten und keineswegs nur in einer Partei.

Zitat: "... die Schutzmaßnahmen unserer Regierung an den Grenzen der Republik zur Frontstadt Westberlin haben die Zustimmung der großen Mehrheit der friedliebenden Bürger unserer Republik gefunden. (...) Wirkliche Menschenrechte - das sind die Freiheit von Kriegsfurcht und Kriegsdrohung, das Recht auf Leben und Sicherheit, der Schutz vor modernen Menschenhändlern und Kopfjägern, das Recht, in Ruhe und Frieden friedlicher Arbeit nachzugehen.

Gerade der Sicherung dieser Rechte und Prinzipien dienen die Maßnahmen unserer Regierung. (...) Deswegen datiert von diesem 13. August ab ein neues Kapitel unserer nationalen Entwicklung, das Kapitel des endgültigen und vollständigen Sieges der Friedenskräfte in ganz Deutschland." so die Ost-CDU in ihrem Parteiorgan im Herbst 1961 Heft 17 und 23.

Und dieses auch noch:

Zitat: „" ... die CDU (...) ist (ein) zuverlässiger Bündnispartner der Partei der Arbeiterklasse als der führenden Kraft der sozialistischen Gesellschaft, (indem sie) eine neue, wahrhaft demokratische Ordnung des Sozialismus gestalten und die sozialistische Staatsmacht der DDR festigen hilft.

Deshalb ist sie bereit und fähig, diesen Staat, der zur politischen Heimstatt auch christlicher Bürger geworden ist, weiter allseitig zu stärken und parteilosen Christen Beispiel und Hilfe für die Bewährung (...) im Sozialismus zu geben." (aus einem Papier zur "Durchführung des Politischen Studiums im CDU-Kreisverband Hainichen 1984/85")

Verantwortlich damals ein Kreisschulungsreferent und heutiger CDU Ober-Landrat, Verwaltungsrat der Sparkasse, Kirchenvorstand, Rundfunkrat, Innenministerkandidat, einer von vielen Landräten und Bürgermeistern in Sachsen, die offensichtlich vor der Wende nicht gelebt haben, wenn man ihre Biographie liest.

Ein Kreisschulungsreferent war in der Regel Mitglied des Nomenklaturkader-Systems der SED.

Diese standen in den Kadernomenklaturen dem Herzstück der SED-Kaderpolitik, dem Verzeichnis der über 400.000 Führungspositionen in gesellschaftlichen Organisationen, Staatsapparat und Parteien, bis zu Funktionären der Blockparteien. Führungspositionen durften nur von entsprechenden Nomenklaturkadern, die aus der Sicht des SED-Apparates geeignet waren, besetzt werden. Jeder wusste, was er politisch vertreten musste und welche politisch ideologische Anforderungen an ihn insgesamt geknüpft waren.

Keine Stasi ohne die SED und ihre Blockparteien. Leider hat die vielleicht nicht zufällige Verengung der Vergangenheitsbewältigung auf das Thema "Staatssicherheit" die Beurteilung der Nomenklaturkader begünstigt, da das Belastungskriterium Stasi für sie möglicherweise nicht zutreffend war. Aber sie gaben entweder der Stasi die Befehle oder arbeiteten mit ihr offiziell zusammen, was inoffizielle Anwerbung durch das MfS natürlich erübrigte.

Diese nicht erfolgte Vergangenheitsbewältigung ist der zweite Punkt meiner Begründung.

Der dritte Grund ist die Personalpolitik der Staatsregierung und die Praxis der damaligen Mehrheit dieses hohen Hauses:

Zitat: „ Herr Staatsminister legte fest, daß alle POS und alle im Bereich USRV des LKA Beschäftigten, die ehemals dem MfS (...) angehörten verbeamtet werden könnten.“ (wenn sie nicht IM waren) (Vermerk Herr Spang, SMI vom 13.5.92 )

Ein Vermerk vom 17.6.92 verfügt die Versetzung sämtlicher hauptamtlicher Polit-Offiziere des früheren K 1 in andere Bereiche und ergänzt: „der Minister (...) hat seine ursprüngliche Weisung (so) geändert, daß sämtliche o.g. Polizeibedienstete weiterhin für die Polizei verwendet werden. Sie müßten allerdings „versteckt“ werden in nichtöffentlichkeitswirksamen Bereichen.“

Was zu der grotesken Situation führte, daß hier eher einfache K 1 Mitarbeiter mit IM Tätigkeit entlassen wurden, als hochrangige offensichtlich ehrenwerte K1 Offiziere oder Führungsoffiziere. Diese wurden verbeamtet, die kleinen Zuträger, ob Krankenschwester oder Professor dagegen waren reif.

Hier stimmt was nicht!

Auch deshalb enthalte ich mich in diesem Fall.


Danke für die Aufmerksamkeit!