Karl Nolle, MdL

Hannoversche Allgemeine-online, 17.05.2001

Mit der Flucht nach vorn will Biedenkopf seine Haut retten

 
DRESDEN/HANNOVER Wenn ein Politiker mit dem Rücken an der Wand steht, muss er sich nach vorn drängeln und offensiv werden. Nichts wäre für ihn schädlicher als der Eindruck, er werde von seinen Kritikern gescheucht und getrieben.
Kurt Biedenkopf weiß das, und deshalb gibt er zurzeit täglich Interviews und steht gern für Fernsehsondersendungen bereit. Der sächsische Ministerpräsident lächelt dabei stets unbekümmert - um zu unterstreichen, dass an den gegen ihn gerichteten Vorwürfen nichts dran sei. Es scheint, als habe Biedenkopf aus dem Sturz seines damaligen Amtskollegen Gerhard Glogowski gelernt: Während der Niedersachse in seiner schwierigsten Phase den Fernsehkameras und Mikrofonen auswich wie ein Fuchs, der dem Jäger davonläuft, sucht der sächsische Regierungschef jetzt die Nähe der Reporter.

Biedenkopf ist derzeit nahezu überall zu sehen und zu hören: am Montag in einer ZDF-Sondersendung, am Dienstag in einem MDR-Interview, am Mittwoch im Landtag in Dresden, am Donnerstag im Deutschlandfunk. In der sächsischen Staatsregierung werden nun Plus- und Minuspunkte notiert. Auf der Habenseite steht die Popularität Biedenkopfs, die bisher nicht spürbar gelitten hat. Nur einzelne Bürger zeigen Unverständnis über Biedenkopfs niedrige Miete für ein schönes Domizil am Elbhang.

Als Pluspunkt wird angesehen, dass sich die öffentliche Debatte zunehmend auf das so genannte Traumschiff konzentriert, einen Urlaub des Ministerpräsidenten auf der Jacht eines befreundeten Unternehmers, der in Sachsen investiert. In diesem Fall gelingt es Biedenkopf rasch, in die Offensive zu kommen. Natürlich werde er auch künftig Einladungen seines besten Freundes annehmen, betont er, und es sei doch im Interesse des Landes und der Arbeitsplätze, dass der Ministerpräsident mit solchen Leuten eine Freundschaft pflege.

Je intensiver über dieses Traumschiff diskutiert wird, desto mehr gerät der andere, viel peinlichere Vorwurf in den Hintergrund - die günstige Miete für seine Wohnung, der Einsatz von Dienstpersonal für sein Privathaus am Chiemsee und die Tätigkeit einer Reinigungsfirma für das Land, die dem Schwiegersohn von Ingrid Biedenkopf gehört. Stimmt die Beteuerung des Ministerpräsidenten, über all das seit Jahren nicht informiert worden zu sein? Ende Mai kommt hierzu ein Bericht des Rechnungshofs, der Licht ins Dunkel bringen soll.

Ein Pluspunkt ist auch, dass ein aus Sicht vieler in Dresden zutiefst unsympathischer Sozialdemokrat die Hauptfigur der Biedenkopf-Kritiker ist: der aus Wunstorf bei Hannover stammende SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle, ein fanatischer CDU-Gegner und engagierter SPD-Linker.

Zu den Minuspunkten gehört, dass Biedenkopf eine Reihe parteiinterner Gegner hat, die sich von ihm schlecht behandelt fühlen. Darunter sind auch solche, die ihn 1990 nach Sachsen geholt haben. Der frühere Bürgerrechtler Arnold Vaatz zählt dazu, auch der Dresdener CDU-Chef Dieter Reinfried, der populäre ehemalige Innenminister Heinz Eggert und der von Biedenkopf kürzlich als Finanzminister gefeuerte Georg Milbradt.

Nachteilig für Biedenkopf ist, dass er zuweilen aus der Haut fährt, wenn ihm die Kritik dieser Leute begegnet. Dreimal versuchte gestern im Deutschlandfunk ein Interviewer, den Regierungschef mit einem Zitat von Vaatz zu konfrontieren. Dreimal fiel ihm Biedenkopf ins Wort: Er habe "nicht die Absicht, das zu kommentieren" - um dann doch über Vaatz zu schimpfen, denn der rede die Unwahrheit und sei im Übrigen "nicht mehr hier in Dresden", da er inzwischen von der Landes- in die Bundespolitik gewechselt sei. Nicht nur in solchen Momenten verliert der Ministerpräsident seine Souveränität. Als ein ZDF-Redakteur ihn fragte, ob er die Fehler nur bei anderen suche, konterte Biedenkopf: "Wer gibt Ihnen das Recht, eine solche Frage zu stellen?" Der Kollege vom MDR wurde später ähnlich abgekanzelt.

In Dresden wird spekuliert, dass Biedenkopf nun erst einmal Ruhe schaffen will, um dann doch - vielleicht im Sommer - den Übergang zum Nachfolger zu ebnen. Klar ist, dass dies aus seiner Sicht nicht Milbradt sein soll, ein gestandener Politiker aus Westfalen, der manchmal etwas brummig wirkt, aber bei den Leuten ankommt und in Landespartei und Landtagsfraktion respektiert wird.
Biedenkopf wirft vielmehr ein Auge auf drei jüngere CDU-Politiker sächsischer Herkunft. Zu ihnen gehört Europaminister Stanislav Tillich, ein umgänglicher, sympathischer Sorbe, der allerdings bisher wenig Profil entwickelt hat. Dies gilt auch für Umweltminister Steffen Flath aus dem Erzgebirge, der kein begnadeter Redner ist, aber eine Hausmacht in der CDU besitzt. Der Dritte in der Runde ist Kultusminister Matthias Rößler, ein erfahrener und machtbewusster Politiker, der jedoch im Laufe der Jahre nicht nur Freunde in der Partei gewonnen hat.

Die große Frage ist nun, wann Biedenkopf abtreten wird. Im Deutschlandfunk sagte er gestern, als 72- oder 73-Jähriger könne er aufhören. Dies wäre dann vielleicht erst nächstes Jahr; am 28. Januar 2002 wird Biedenkopf 72.

Klaus Wallbaum, Hannover, 17.05.2001 17:45 Uhr

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