Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 18.06.2001

Nackter König

Kommentar von Hans Eggert
 
DRESDEN. Am Abend nach dem Kommunalwahlgang vor einer Woche geschah, was in Sachsen noch vor Jahresfrist undenkbar gewesen wäre: In aller Öffentlichkeit formuliert ein CDU-Kreischef harsche Kritik an seinem Ministerpräsidenten - und nichts passiert. Kein Aufschrei ob der Reden wider den König, keine Zurechtweisung, nur der Versuch, Ruhe zu stiften.

Was ist da los? Ist es so, dass des Ministerpräsidenten Reaktionskraft von all den Peinlichkeiten um Flüge, Köche oder Miethöhen weggerafft ist? Zweifellos hat das Affären-Tief das politische Klima im Lande wie in der Landes-CDU verändert. Doch da ist mehr: Biedenkopfs nahender Abschied aus der Landesvaterrolle. Der nimmt ihm politische Bewegungsmöglichkeiten. Denn wann auch immer dieser Abschied offiziell wird - er wirkt schon jetzt.

Das System Biedenkopf wird schwächer, schon redet der nackte König vornehmlich über seine schönen Kleider. Und seine Schleppenträger spielen Pantomime. Derweil aber beschleicht das Volk das Gefühl, dass da etwas aus der Ordnung kommt, dass Machtstrukturen bröckeln - der Kohlsche Untergang vom Herbst 1998 lässt grüßen.

Manchem, auch in der Opposition, scheint Derartiges in Sachsen unmöglich -zu „schwarz" das Land, zu stark die Gewöhnung, von der Union regiert zu werden. Wer sich dem in der CDU hingibt, kann böse aufschlagen.

Dresdens Oberbürgermeister Wagner macht das gerade durch: Dresdner an sich sind zwar umwerfend lokalstolz auf alles, was heute ihre Stadt wieder ausmacht. Und ihr OB hat sicher an vielem Anteil, was Dresden zu einer Ost-Vorzeigestadt werden ließ. Dennoch ist das beinahe Undenkbare, seine Abwahl, in ziemliche Nähe gerückt. Und das bei einem Gegenkandidaten namens Roßberg, der als früherer Dresdner Bürgermeister mitgeholfen hat, einige Steine des Anstoßes gerade dorthin zu rollen, wo sie heute den Ärger vieler Dresdner und ihren Wunsch nach dem Wechsel auslösen: an Verkehrsstau-Stellen, ungebaute Brücken oder unbebaute Plätze.

Es gibt Anzeichen, das Dresdner Ungemach könne auch anderswo über die CDU kommen. Sie sind schwach, gewiss. Doch sie dürften stärker werden, wenn die CDU dabei bleibt, aus dem angehäuften Kapital nicht mehr erwachsen zu lassen als bräsige Zufriedenheit.

Denn den Leuten brennen nun gewiss auch in Sachsen einige Probleme auf den Nägeln, die über die Bedeutung diverser lokaler Ärgernisse hinausgehen. Aufbruch-Stimmung, politische Ideen wären gefragt, nicht Verwaltung politischen Einflusses.

Man kann das auch so sehen: Biedenkopf traut nur sich allein zu, dieses Sachsen zu regieren. Das ist nachvollziehbar. Immerhin weiß man: Die CDU wäre für den Wähler tatsächlich über Jahre hinweg nur die Hälfte wert gewesen ohne Biedenkopf.

Und man weiß auch: Einen wirklichen Nachfolger konnte, besser wollte er nie aufbauen, die Lieblinge, so es sie je gab, wechselten, die wenigen Oppositions-Köpfe auch. Also abwarten, Zeit gewinnen. Taktische Ungeschicklichkeiten, wie der Aussetzer mit Milbradt, bitte, die passieren, na klar. Die werden ausgebügelt. Und zur Not zeigt man sich beleidigt, wenn genörgelt wird.

Mag sein, dass Biedenkopf und sein rangelnder Nachwuchs damit, noch einige Zeit über die Runden kommen.

Doch wäre das Ende überzeugender Politik und, ebenso schlimm, ein Misstrauensvotum gegen eben jene Sachsen, denen ihr Übervater bei jeder Gelegenheit Selbstbewusstsein und Tüchtigkeit attestiert. Wenn das erst richtig ins Bewusstsein dieser Sachsen dringt - dann gute Nacht, CDU.
(Hans Eggert)

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: