Karl Nolle, MdL

Süddeutsche Zeitung, 11.07.2001

Virtuelles Duell am Elbufer - Zwischen Regierungschef und seinem einstigen Finanzminister

Wie das einstige Dreamteam Biedenkopf/Milbradt nun gegeneinander arbeitet
 
Seit sechs Monaten liefern sich Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf und sein früherer Finanzminister Georg Milbradt ein unerklärtes Duell. Milbradt will CDU-Chef und später Ministerpräsident werden. Am 15. September wird ein neuer Parteivorstand gewählt. Biedenkopf, der Milbradt für absolut ungeeignet hält, möchte ihn verhindern. öffentlich hat sich der sächsische Landeschef jedoch Zurückhaltung auferlegt. Ihm ist aber anzumerken, wie schwer es ihm fällt, sich auf den einen abweisenden Satz zu beschränken, wonach er Milbradts Ambitionen nicht kommentieren wolle. Er nimmt sich zusammen, das kostet Kraft.

Wer Biedenkopf dieser Tage in seiner Staatskanzlei am Dresdner Elbufer besucht, erlebt einen leicht reizbaren, auch für das eigene Umfeld unberechenbaren Hausherrn. Er wirkt erschöpft, um Jahre gealtert. Im Gespräch quillt - die erste Frage ist nicht einmal halb gestellt - unbändige Wut hervor. Als wäre eine schwärende Wunde berührt worden, redet er sich eine halbe Stunde lang in Rage. Biedenkopf versichert, er wolle nicht über die Dienstpersonal-Affäre und nicht über Milbradt sprechen - deswegen sei er doch nicht in Sachsen. Aber ihn selbst zieht es, auch ungefragt, zu diesem Thema. Ihn drückt das Gefühl, nicht verstanden zu werden. Von Milbradt redet er, weil dieser Konflikt der Schlüssel zum Verständnis sein soll - für alles, was zuletzt geschah: vom Aufruhr in der eigenen Partei bis zur Affäre um das Dienstpersonal. Immer unterschiedlicher Meinung Der Abstieg eines der beliebtesten Politiker Deutschlands.

Was ist passiert, fragt man ihn - und er sagt, es sei ein Konflikt ausgebrochen, der schon lange bestanden habe: um Milbradts Rolle im Kabinett, aber - und das ist neu - auch um politische Inhalte. Biedenkopf wiederspricht erstmals Milbradt, der sagt, zwischen beiden bestünden nicht die geringsten sachlichen Differenzen. Dagegen Biedenkopf: "Wir waren immer unterschiedlicher Meinung im Bezug auf die Einschätzung der Möglichkeiten der Zukunft." Milbradt habe eine "worst-case-Politik" gemacht: Er sei in der politischen Strategie immer vom schlimmsten Fall ausgegangen - etwa von der Annahme, dass Sachsen ab 2004 deutlich weniger Finanzhilfen bekomme. "Daran sollte die Politik des Landes ausgerichtet werden." Biedenkopf zielt auf Milbradts Sparpolitik. Sie hat Sachsen eine niedrige Verschuldung beschert, aber Kabinettskollegen wie Sozialminister Hans Geisler oder Wissenschaftsminister Hans Joachim Meyer verzweifeln lassen, weil sie immer neue Kürzungen verkraften müssen. Meyer warnte jetzt sogar in einem Zeitungs-Aufsatz vor Milbradt: "Dass er Ministerpräsident von Sachsen wird, kann ich weder ihm noch uns wünschen." Ihm fehlten , so Meyer, "in hohem Maße Sensibilität und Selbstkontrolle".

Der sonst einen feinen Ton pflegende Meyer spricht von einem "System Milbradt". Dessen oberstes Prinzip laute: "Der Krieg ist erst vorüber, wenn der Endsieg errungen ist." Mit dem Filmtitel "Apocalypse now" umschreibt er Auftritte, in denen Milbradt eine finstere Zukunft skizziert habe - man sei anschließend froh gewesen, "wenn man sein Leben noch hat". Biedenkopf will diese Aussagen nicht kommentieren. Aber er schließt sich der Analyse im grunde an. "über diese Fragen haben wir häufig gestritten, hart aber fair", distanziert er sich von Milbradts Finanzpolitik, die man immer auch für seine hielt. Er selbst wolle Sparsamkeit, die sich "mit positiven Zukunftsvisionen verbindet und die Menschen motiviert". Jahrelang hatte er den Sparkommissar öffentlich uneingeschränkt unterstützt. Bei den letzten Haushaltsverhandlungen erklärte er die Sparpläne zur Chefsache und fügte Wissenschaftsminister Meyer eine bittere Niederlage zu.

Milbradt/Biedenkopf galten als Dreamteam: Der eine entwarf das Sparkonzept, der andere verkaufte es. Gelegentlich konnte man - niemals von Biedenkopf selbst - von Streit im Kabinett hören. Der ungestüme Milbradt habe Kollegen so aggressiv unterbrochen, dass Biedenkopf den bollerköpfigen Westfalen zurechtweisen musste. Dennoch hielt er den Volkswirt lange für einen geeigneten Nachfolger. Er duldete, dass Milbradt nach und nach seine Stellung ausbaute. Im November 1999 wählte ihn die Sachsen-Union mit einem Spitzenergebnis zum Vize des Parteichefs, während Biedenkopfs Gewährsmann Fritz Hähle als Landesvorsitzender nur mit knappem Resultat bestätigt wurde. Am Rande des Parteitages sprachen Milbradt-Anhänger von der beginnenden Emanzipation der Partei von Biedenkopf.

Von Milbradt selbst hätte man das nie gehört. Aber er konnte die Wahl so interpretieren, dass er leicht die Führung der Partei hätte übernehmen können. Im Januar 2001 trat dann ein Milbradt-Vertrauter gegen Fraktionschef Hähle an. Biedenkopf interpretierte dies als Versuch des Finanzministers, sich an ihm vorbei über die Partei die Nachfolge als Ministerpräsident zu sichern. Er machte das vermeintliche Komplott bekannt und ließ sich zu der Aussage hinreißen, Milbradt sei ein miserabler Politiker. Aus Freunden wurden politische Feinde: Milbradt weigerte sich, zurückzutreten - obwohl Biedenkopf ihm das Vertrauen entzogen hatte. Das er sich gezwungen sah, ihn zu entlassen, empfand Biedenkopf als Zumutung. Denn Milbradt überließ ihm für die kommende Konfrontation die Erklärungslast für den schwer verständlichen Rauswurf. Er werde kämpfen, kündigte er dem Ziehvater an.

Dynamische Kurzhaarfrisur Diesen Kampf hat Milbradt in einer Weise aufgenommen, die ihm seine Gegner nicht zugetraut hätten - vor allem, indem er nicht offen gegen Biedenkopf vorgeht. Fortwährend betont er seine Loyalität. Zugleich bemüht er sich um einen verbindlicheren und weniger robusten Stil. Wissenschaftsminister Meyer hat in seinem Aufsatz geschrieben, dass Milbradt ein "gelegentlicher Mangel an äußerer Eleganz" nachgesagt wird. Milbradt ließ sich jetzt eine dynamische Kurzh-Frisur schneiden, trägt modischere Anzüge. Statt Bier trinkt er bei öffentlichen Auftritten Mineralwasser. Er pflegt einen aufmerksameren Umgang, schüttelt bereitwillig Hände. Der staatsmännische Auftritt war ihm bis dato fremd. Nun durchsetzt er seinen nüchternen Realismus ähnlich wie Biedenkopf mit Spuren der Zuversicht. Biedenkopfs Affären hat Milbradt wenig kommentiert. Er machte nie den Eindruck, daraus Nutzen ziehen zu wollen. Manche Anhänger sehen die Turbulenzen gar als Gefahr für Milbradt; die Polarisierung könne ihm schaden. Milbradt scheint Biedenkopfs Imageverlust zu bedauern. Noch sind Reste jener Bewunderung zu spüren, die ihn einst in Nordrhein-Westfalen dazu brachte, dem in der CDU einsamen Biedenkopf zu folgen.

Der Ministerpräsident dagegen klagt über "die Widerlichkeit", mit der die Schevenstraße "und damit meine Frau und unsere persönliche Sphäre in die Auseinandersetzung hineingezogen wurde". Sieht er eine Verbindung zwischen der Affäre und dem Streit mit Milbradt, gar eine Urheberschaft Milbradts? "Da haben verschiedene Dinge zusammengewirkt, die öffentlich zu erörtern ich nicht für sinnvoll halte", bleibt er vage.Der Konflikt mit Georg Milbradt lief zunehmend nebenher." Auch Milbradt sei, vermutet er, die Entwicklung immer unheimlicher geworden. Biedenkopf hofft offenbar, dass nach der Sommerpause ein Konsenskandidat - etwa Landwirtschaftsminister Steffen Flath - Milbradt aus dem Feld schlagen kann. Es müsse keine Kampfkandidatur geben, betont er, "aber wir müssen sie auch nicht um jeden Preis vermeiden". Wird er in einem solchen Kampf Stellung beziehen? "Im Rahmen meiner Funktion im Landesvorstand und in der Partei ja", antwortet er - womit er scheinbar ein unparteiischer Schiedsrichter bliebe.
Von Jens Schneider

Karl Nolle im Webseitentest
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