Karl Nolle, MdL

Die Welt, 02.08.2001

Sachsens CDU stellt die Weichen für die Nachfolge Kurt Biedenkops

Kampfkandidatur zwischen Milbradt und Flath? - Die Union fürchtet Leipzigs sozialdemokratischen OB Tiefensee und den Verlust der absoluten Mehrheit
 
Dresden - In dieser Woche wird in Sachsen die erste Weiche für die Biedenkopf-Nachfolge gestellt. Bis Freitag sollen potenzielle Bewerber ihre Ambitionen auf den CDU-Vorsitz anmelden. Der neue Mann an der Spitze, der am 25. September gewählt wird, dürfte als Kronprinz auch den Regierungschef beerben: Kurt Biedenkopf (CDU) hat bereits angedeutet, dass er noch vor der Landtagswahl 2004 seinen Sessel räumen will. Die Kür ist für die Sachsen-Union von schicksa1hafter Bedeutung. Im Kern geht es um die Frage: Findet die Partei einen überzeugenden Kandidaten, dem es 2004 gelingt, die absolute Mehrheit zu verteidigen?

Selbstverständlich ist das keineswegs. Trotz drei großer Wahlsiege in Folge herrschen in Sachsen keine "bayerischen Verhältnisse". Im Osten werden weniger Parteien, sondern eher Personen gewählt. Und ohne das Zugpferd Biedenkopf könnte es das nächste Mal schwer werden. Lauter geworden sind die skeptischen Stimmen nach der jüngsten Kommunalwahl. Dabei hat die CDU mit dem Verlust des Dresdner Rathauses die letzte Großstadt verloren. Hinzu kommt, dass die sächsische Union über ihre personelle Zukunft tief zerstritten ist. Aller Voraussicht nach treten der Umweltminister Steffen Flath (44} und Ex-Finanzminister Georg Milbradt (56) gegeneinander an. Die Widersacher verkörpern nicht nur völlig verschiedene Politikertypen. Sie unterscheiden sich daneben in ihrer Beziehung zur Staatskanzlei.

Auf dem gebürtigen Sachsen Flath ruht der Segen Biedenkopfs. Er halt Flath für "hervorragend geeignet". Über dem Neu-Sachsen Milbradt, einem langjährigen Weggefährten, hat "König Kurt" hingegen den Stab gebrochen. Das Verhältnis zwischen beiden gilt als zerrüttet. Dabei spielen vor allem persönliche Animositäten eine Rolle. Der Regierungschef wird unbestritten Einfluss auf die Besetzung des Amtes haben. Flath gilt primär als "Milbradt-Verhinderungskandidat". Ihm werden von Wohlmeinenden Attribute wie heimatverbunden, fleißig und ehr1ich ver1iehen. Kritischere Geister übersetzen. das mit provinziel1, bemüht und unbedarft. Trotz Blockflötenvergangenheit ist Flath in Partei be1iebt. Um den Parteivorsitz hat sich der Erzgebirgler, den Zweifel plagen, ob ihm die Fußstapfen, die Biedenkopf hinterlässt, nicht viel zu groß sein könnten, nicht gedrängt.

Milbradt war bis zu seinem Rauswurf durch Biedenkopf als Finanzminister der zumindest zweitmächtigste Mann im Freistaat. Durchgesetzt hat der Sauerländer eine rigorose Sparpolitik, die von der Mehrheit der Bevölkerung getragen wurde. Der gelernte Volkswirt vermag intellektuell zu brillieren, gibt sich aber mitunter schnoddrig-arrogant. Größtes Manko: Durch die Wahl Milbradts würde Biedenkopf brüskiert. Aus einem Harmoniebedürfnis heraus dürften et1iche Parteitagsdelegierte für Flath stimmen, obwohl sie Milbradt für den aussichtsreicheren Mann halten.

Doch in der wenig diskussionsfreudigen Sachsen-CDU ist Gegenwind zu spüren. Der frühere Umweltminister Arnold Vaatz, der heute im Bundestag sitzt, urteilt vernichtend über Flath: "Ich kenne von ihm keinen programmatischen Satz, der ihn zum Ministerpräsidenten oder Parteivorsitzenden qua1ifiziert". Der Landtagsabgeordnete Volker Schimpff meint: "Der arme Teufel wird regelrecht verheizt."

Mit einem Spitzenmann Flath in den Wahlkampf 2004 zu ziehen, ist angesichts des möglichen Gegenspielers der politischen Konkurrenz risikoreich. Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee (SPD), so wird seit langem gemutmaßt, könnte antreten, "Er ist der einzige Kandidat, den wir ernsthaft fürchten müssen", meint ein Minister im Biedenkopf-Kabinett, der ungenannt bleiben will. Der 46-jährige Aufsteiger wird den CDU-Strategen langsam unheimlich. In seiner noch jungen Amtszeit - erst seit 1998 lenkt er die Geschicke der größten Stadt Sachsens - konnte der eloquente Tiefensee unaufhörlich punkten. Letzter Erfolg: Der BMW-Konzern hat Leipzig nach einem harten Wettbewerb zum Standort für seine neue Fabrik auserkoren. Dank Investitionen von zwei Milliarden Mark entstehen 10 000 Jobs. Zuvor hatte Tiefensee schon Porsche überzeugt. An Land gezogen wurden während seiner Ägide zudem Spiele der FuBball-WM 2006; eine - professionelle Bewerbung für die Olympiade 2012 ist eingeleitet.

Biedenkopf bescheinigt Tiefensee "großes politisches Ta1ent: Den Namen wird man noch über Sachsen hinaus hören". Diese Prognose könnte sich schneller bewahrheiten, als es der CDU lieb ist. "Schröders neuer Star aus dem Osten", jubelte kürzlich die "Bi1d"-Zeitung und fragte: "Holt der Autokanz1er ihn nach Berlin?" Als Bundesminister hätte Tiefensee eine ideale Plattform, um sich für eine Biedenkopf-Nachfolge zu empfehlen. Ideologisch wäre der ebenso geradlinige wie groß gewachsene Pragmatiker Tiefensee, der erst 1995 der SPD beitrat, für die Union nur schwer zu packen.

Er lehnt für Sachsen ein rot-rotes Bündnis ab, pflegt gute Kontakte zu Wirtschaftsbossen und präsentiert sich als selbstbewusster Politiker, dem jede JammerOssi-Attitüde zuwider ist. Freilich: Bei der letzten Landtagswah1 konnte die SPD nur 10,7 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Mit 22,2 Prozent war die PDS mehr a1s doppelt so stark. Deshalb träte Tiefensee wohl kaum unter dem Label "SPD", sondern unter dem Motto "Erfolg für Sachsen" an.

"Im Bewusstsein der Bevölkerung setzt er das Königsimage Biedenkopfs fort", sagt CDU-Parlamentarier Schimpff, das ist das Gefährliche an ihm." Sachsens CDU-Kreisvorsitzende wiederum warnen: "Unser Spitzenkandidat wird nur erfolgreich sein können, wenn er ein eigenes persönliches und politisches Profil vermitte1n kann." Solche Aussagen irritiert die Biedenkopf-Gefolgschaft wenig. Ein Parteivorsitzender Flath sei sch1ießlich nicht automatisch Anwärter für den Posten des Regierungschefs. Dafür stünden notfalls zwei andere ta1entierte Nachwuchskräfte zur Verfügung: Finanzminister Thomas de Maiziere (47) sowie Europa- und Bundesminister Stanislaw Tillich (42).

Aus der Niederlage des Dresdner Rathauschefs Herbert Wagner, für den sich "Biko" stark gemacht hatte, könnte die CDU zwei mögliche Lehren ziehen. Erstens: Mit den Männern von gestern sind die Wahlen von morgen nicht zu gewinnen. Und zweitens: In Sachsen wird Macht nicht quasimonarchisch vererbt, sie muss erkämpft werden. Mit den charismatischsten Köpfen, die zur Verfügung stehen.
VON UWE MÜLLER

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: