Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 14.12.2001

"Kommt noch was, Kurt?"

Die CDU wird nervöser - Chronik eines Fast-Rücktritts
 
Nein, auch bei Karstadt? Der Donnerstag war erst einige Minuten alt, als gestern in Sachsens Hauptstadt die Telefonleitungen schon glühten. An den Hörern wisperten Regierungs- und Parteimitarbeiter nach Lektüre der "Bild"-Zeitung Unglaubliches: Ministerpräsident Kurt Biedenkopf und seine Frau Ingrid, seit Tagen wegen ihres Ikea-Rabatt-Einkaufs bundesweit verspottet, hätten es schon wieder getan - diesmal in Dresdens größtem Kaufhaus. Wieder mit jenem 15 Prozent-Bonus, von dem Otto-Normal-Kunde nur vergeblich träumt.

Bereits am Mittwochabend hatte Biedenkopf die Zeit gefunden, trotz Terminstress mit dem Geschäftsführer von Karstadt-Dresden, Thomas Mader, länger zu telefonieren. Wollte er verhindern, dass die Sonderkonditionen für seine Frau Ingrid an die Öffentlichkeit gelangen? Mader bestätigte der SZ das Gespräch, schweigt aber über den Inhalt: "Zu Einzelkonditionen von Kunden geben wir keine Auskunft." Die Mitarbeiterkarte soll Frau Biedenkopf seit Anfang der 90er Jahre besitzen. "Das weiß ich nicht", sagt Klaus-Peter Schodrau, damals Karstadt-Geschäftsführer. "Wir haben schließlich sehr viele Kunden bei Karstadt."

Der letzte Amtstag von König Kurt hatte also begonnen. Der berühmte Tropfen für ein zu klein gewordenes Fass schien unaufhaltsam. Die neuen Enthüllungen kamen, als die Biedenkopf-Getreuen bereits das Schlimmste überstanden glaubten. Vorerst. Biedenkopf hatte sich am Mittwoch vor der CDU-Landtagsfraktion entschuldigt und das erste Mal seit elf Jahren einen Fehler eingestanden. CDU-Chef Georg Milbradt hatte ihn vor dem Fraktionsvorstand angegriffen: Biedenkopf habe mit der Ikea-Geschichte "Maschendrahtzaun 2" produziert. Mit dem gleichnamigen Lied war die Hausfrau Regine Zindler einst zum Gespött der Nation geworden. Biedenkopf versuchte, sich mit einem Brief zu verteidigen. Ein Ikea-Kunde erklärte darin, dass die anderen Kunden gar nicht so lange warten mussten als Ingrid Biedenkopf Rabatte aushandelte. Es zeigt wie verzweifelt Biedenkopfs Situation ist, als er diesen Brief zum Beweis seiner Unschuld an eine Redaktion faxen ließ.

Auch auf Nachfragen Milbradts - "War es das oder kommt noch was, Kurt?" - hatte dieser die Hand zum Schwur gehoben. Seinem einstigen Untergebenen und aussichtsreichen Nachfolge-Kandidaten musste es Biedenkopf in die Hand versprechen: Keine weiteren Geschichten, keine Rabatte, keine Dienstwagen-Touren voller Enkel, keine entlarvenden Briefe befreundeter Investoren, keine teuren Staatsmöbel für die Gattin, keine peinlichen Betriebskosten-Abrechnungen und keine Billig-Mietverträge mehr. Es war eine lange Liste und es war ein langes Gespräch, das die beiden CDU-Mächtigen dann am Nachmittag unter vier Augen führten.

Die Zeitung erschien - allerdings mit einem Fragezeichen. Auch Karstadt? Möglich, das Biedenkopfs dort Rabatt haben, bewiesen ist aber noch nichts. Im Landtag versammelte sich dann gestern eine nervöse CDU-Fraktion. Wie bestellt treten die Redner ans Pult. Der Ministerpräsident braucht weiter unsere Hilfe, argumentieren sie. Streit in aller Öffentlichkeit hilft niemand. Wie will man im nächsten Jahr sonst die Bundestagswahl bestehen? Wie 2004 die Mehrheit der Landtagsmandate verteidigen? Sozialminister Hans Geisler und die Abgeordneten Heiner Sandig, Uwe Grüning und Wolf-Dieter Beyer heben warnend die Hände. Fraktionschef Fritz Hähle rutscht unterdessen unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Zeitungen berichten, Biedenkopf plane einen vorzeitigen Rücktritt. Wahrheit oder Spekulation? Auch Hähle ist sich nicht mehr sicher.

Zur selben Zeit ein paar Meter weiter. Kurt Biedenkopf und Georg Milbradt sitzen wieder zusammen. Übernächtigt. Da gibt der Parteichef dem Ministerpräsidenten einen "guten Rat". Nur mit Mühe habe er am Dienstag die Rücktrittsforderung der Mittelstandsvereinigung der CDU verhindert, beginnt er. Auch Ikea könne man vielleicht durchstehen, aber wenn noch mehr kommt, habe alles keinen Sinn mehr, bekommt Biedenkopf zu hören. Dann müsse eine schnelle Lösung für alle gefunden werden. Beide wissen, was gemeint ist. Das Gespräch ist beendet und das Unheil nimmt weiter seinen Lauf. Nur wenige Minuten später wird der ahnungslose Fraktionschef Hähle mit einer Frage konfrontiert. "Warum hat Milbradt Biedenkopf gerade zum Rücktritt aufgefordert?" Hähle fühlt sich hintergangen. Von Milbradt, dem Parteichef, der seit Monaten erklärt, er wolle einen Übergang ohne Konfrontationen; eine Lösung für alle.

Und nun das. Hähle hält mit seiner Meinung nicht hinterm Berg. Milbradt sei zu weit gegangen, das lasse er sich nicht bieten. "Noch bin ich Fraktionsvorsitzender und noch gibt es Absprachen", wettert er lautstark gegenüber mehreren Abgeordneten. Danach braucht es wiederum nur ein paar Minuten, bis es im Plenarsaal - die Landtagssitzung hat längst begonnen - zu einem ungewöhnlichen Auftritt kam. Wie ein Stier stürmt Milbradt auf Hähle los und schimpft nun auch. Er sei kein Königsmörder. und lasse sich auch von Hähle dazu nicht abstempeln. Die Opposition lauscht dem Schauspiel gierig. Dann kommt die Mittagspause. Die CDU-Fraktion zieht sich zur Krisensitzung zurück - ohne Biedenkopf, der längst in Chemnitz Protokollpflichten nachgeht. Hinter verschlossenen Türen bleibt eine Stunde Zeit für ein Problem, dass man neun Monate nicht lösen konnte. Biedenkopf müsse endlich zurücktreten, fordert der Leipziger Volker Schimpff. Drei Kollegen signalisieren Zustimmung. Dagegen stehen Bedenkenträger, die vor "Hast und Fehlern" warnen. Und die sind stolz, dass man es einem "potenziellen Anwärter gezeigt hat, dass in der Fraktion niemand so schnell eine Mehrheit bekommt." Das galt Milbradt, der anschließend gemeinsam mit Hähle verkünden muss, man sei sich wieder einig. "Wie immer", fügt er mit grimmigen Unterton hinzu. Das heißt, entschieden ist nichts. Jeder Tag kann eine neue Zerreißprobe bringen.

Gerüchte machen die Runde. "Lasst den Alten noch seinen Auftritt am 10. Januar, der braucht das. Dann kann er gehen", rät ein einflussreiches CDU-Fraktionsmitglied. Dann muss sich Biedenkopf vor dem Paunsdorf-Untersuchungsausschuss rechtfertigen, wo er alle Vorwürfe widerlegen will, er hätte seinem Freund und Investor Heinz Barth geholfen, auf Kosten des Freistaates Millionen zu machen. Andere wissen es besser. Dem Biedenkopf solle doch ein Bundestagswahlkreis angeboten werden. Ein ziemlich kleines Trostpflaster für den großen Verzicht. Eine elegante Lösung, glauben manche dennoch. Selbst der Wahlkreis ist schon ausgemacht. Der seines Dauer-Kritikers Arnold Vaatz.

Die Staatskanzlei meldet sich an diesem Tag unverdrossen ein letztes Mal: Ministerpräsident Biedenkopf plane zurzeit keinen Rücktritt. Doch wie weiter? Sogar in Biedenkopfs engster Umgebung sind alle überzeugt: An Milbradt als Nachfolger führt kein Weg vorbei. Einen neuen Namen kann Biedenkopf nicht mehr ins Spiel bringen. Auch aus der Bundes-CDU heißt es: "Biedenkopf müsste noch die Kraft aufbringen, zu sagen: Milbradt wäre ein guter Ministerpräsident." In der CDU-Fraktion winken viele einfach ab. Die Wann-Frage schwelt weiter.
(Von G. Saft und C. Striefler)

Karl Nolle im Webseitentest
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