Karl Nolle, MdL

DIE WOCHE, 02/02, 04.01.2002

Das Ende von König Gernegroß

Eine Abdankung ist jetzt ausgemachte Sache
 
Mit seiner Selbstherrlichkeit und dem notorischen Geiz seiner Frau brachte sich Sachsens Ministerpräsident KURT BIEDENKOPF selbst zu Fall.

Die Geschichte, warum er vor zwölf Jahren mit seiner Frau Ingrid nach Sachsen gekommen ist, hat Kurt Biedenkopf immer wieder gerne erzählt. Rührend ist die Geschichte, und je länger das „deutsche Schicksalsjahr" 1989 zurückliegt, desto selbstloser erschienen Biedenkopfs Motive. Und desto großer sein Zorn auf all die kleingeistigen „Neider", die ihn nun aus dem Amt drängen.

„Sie haben keine Vorstellung von den Verhältnissen vor zwölf Jahren“, erzählte der Ministerpräsident bei vielen Gelegenheiten. Er habe damals Menschen gesucht, die mitmachten beim Aufbau des zerstörten Landes - und jetzt müssten sich diese für ihr Engagement rechtfertigen! Immer nur habe er „an das Gemeinwohl gedacht; nie an mein eigenes", entgegnete der CDU-Politiker stets allen Kritikern, die ihm vorwerfen, sich als sächsischer Quasi-Monarch unbillige Privilegien verschafft und wohlhabende Freunde mit lukrativen Aufträgen versorgt zu haben.

„Sie werden nichts finden, wo ich in der Abweichung von der Pflicht, für dieses Land zu handeln, jemanden begünstigt habe", versicherte er noch kurz vor Weihnachten. Und erteilte sich und seiner smart-shoppenden Gattin Absolution: „Wir haben ein absolut reines Gewissen."

Eine rührende Geschichte; wie gesagt - mit einem traurigen Schluss. Denn jener Kurt Biedenkopf, der sich schon in den 70er Jahren der alten Bundesrepublik politisch zu ganz Hohem berufen fühlte, stürzt nun am Ende einer langen, kurvenreichen Karriere, über einen läppischen Rabatt bei Ikea von 67,50 Euro. Er werde in den nächsten Wochen darüber nachdenken, wie lange er sich diesen „Rufmord" und diese "Charakterzerstörung" noch antue, sagt der 71 Jährige jetzt unter dem wachsenden Druck auch aus seiner eigenen Partei. Vielleicht noch im Januar, so erwarten manche in Dresden, wird er seinen Hut nehmen.

Es ist wie häufig in der Politik. Nicht die (schwache) Opposition hat Biedenkopf zur Strecke gebracht. Und es waren auch nicht die nagenden Verdächtigungen in der so genannten Paunsdorf-Affäre, wegen der er sich demnächst erneut vor einem Untersuchungsausschuss des Landtags rechtfertigen muss, dass er einem befreundeten Bauunternehmer aus dem Westen durch persönliche Intervention lukrative Mietverträge zu Lasten des Landes verschafft habe. Nein, Biedenkopf, der arrogante Professor mit großbürgerlichem Auftreten und kleinkrämerischer Seele, hat sich selbst entmachtet.

„Der Test ist", sagt er, „ob die eigene Truppe steht." Diesen Test besteht er nicht mehr. Immer lauter fordern sie in der bislang so folgsamen Landes-CDU seinen Rücktritt - mit der Rückendeckung des Vorsitzenden und Möchtegern-Nachfolgers Georg Milbradt. Denn sie fürchten um die nächsten Wahlen, zumal der Freistaat seinen Rang als wirtschaftliches „Musterländle" im Osten verloren hat, Er habe keine Lust, „mit den Wählern im Bundestagswahlkampf statt über die Fehler der rot-grünen Bundesregierung über Biedenkopfs Rabatte zu diskutieren", schimpft Milbradts Generalsekretär Hermann Winkler. Es geht nur noch darum, dem Ministerpräsidenten einen würdigen Abgang zu verschaffen, der der Partei möglichst wenig schadet. Je eher, desto besser.

Biedenkopfs Plan, seinen Abschied nach mehr als einem Jahrzehnt absoluter Herrschaft in Sachsen selbst zu bestimmen, wird jedenfalls nicht in Erfüllung gehen. Sein Abstieg begann bereits 1998. Seit sein ewiger Rivale Helmut Kohl nicht mehr Kanzler ist, fehlt ihm der innerparteiliche Gegner, der ihn einst als Mahner stark und (medien-)beliebt gemacht hatte. Vergeblich hatte Biedenkopf noch während der CDU-Spendenaffäre gehofft, die Bundespartei könnte ihn als Retter in der Not rufen. Doch die Jüngeren in der Partei lachen längst über den alten Mann, höhnen über seine belehrenden Ausführungen im Vorstand und Präsidium der Bundes-CDU.

Seit seine Macht bröckelt, wenden sich selbst Günstlinge von ihm ab. Und Biedenkopf machte Fehler, die seinen Widersachern die Chance zur Intrige eröffnen. Warum feilscht ein so erfahrener Politiker wie er, der alle Fallen des Gewerbes kennen müsste, trotz - eines geschätzten Jahressalärs von 200 000 Euro mit seiner Frau vor Publikum hartnäckig um ein paar Mark Rabatt? Warum lässt er zu, dass seine Frau mit Mitarbeiterkarte bei Karstadt einkauft? Warum nimmt er auf der Kamenzer Gewerbemesse drei Gläser Honig mit, ohne zu bezahlen? Er hätte doch ahnen müssen, dass sich so etwas herumspricht und irgendwann gegen ihn verwendet wird.

Dass Biedenkopf die Unbotmäßigkeit solchen Tuns auch jetzt noch im Grunde nicht einsieht, lässt sich nur verstehen aus dem Amts- und Politikverständnis eines Mannes, dem es mehr als schmeichelte, wenn ihn Journalisten und Wähler respektvoll „König Kurt" nannten. Eines Politikers, den seine Frau öffentlich mit Leonardo da Vinci verglich und der seine Mitarbeiter schon zu Düsseldorfer Zeiten zur „Anbetung" empfing.

In Sachsen besaß Biedenkopf zehn Jahre lang die uneingeschränkte Macht, die er vorher in der Bundes und nordrhein-westfälischen CDU vergebens erstrebt hatte, Kurt und Ingrid traten wie Regenten auf, zwar gewählt, aber im Grunde sakrosankt. Sie prahlten mit ihren Verbindungen zu den Reichen und Mächtigen, und da der eine oder andere tatsächlich in Sachsen investierte, wurden beide verehrt und angehimmelt.

Solange die Regentschaft der Biedenkopfs Wahlerfolge und wirtschaftliches Wohlergehen versprach, störte sich niemand daran, dass beide auch die Selbstbegünstigung zum Herrschaftsprinzip erhoben hatten. Repräsentativ, aber kostengünstig wohnte das Ehepaar im Gästehaus der Landesregierung, im Dienstwagen fuhr Ingrid Biedenkopf zum Einkaufen. Sicherheitsbeamte des Freistaats mussten auch das private Ferienhaus am Chiemsee bewachen. Und wenn der Ministerpräsident dort Gäste erwartete, griff man selbstverständlich auf das sächsische Personal zurück.

Viele Parteifreunde und fast alle Mitarbeiter kannten die Eskapaden. Aber kein kritisches Wort kam ihnen über die Lippen. Ähnlich wie Kohl im Bund hatte Kurt Biedenkopf eine Aura der Macht geschaffen, die ihn unantastbar erscheinen ließ. Widerspruch wurde nicht geduldet, wer die Ällmacht nicht anerkannte, wurde politisch kaltgestellt. Ober die Jahre war Biedenkopf so eins geworden mit seinem Amt. Sachsen war Biedenkopf, Biedenkopf war Sachsen.

Das ändert sich jetzt, auch wenn in der sächsischen CDU aus Biedenkopf-Jüngern nur langsam selbständig denkende Politiker werden. Biedenkopf aber versteht die Welt nicht mehr. Plötzlich stellen Parteifreunde unangenehme Fragen und seine sächsischen Untertanen amüsieren sich über den Rabatt-König. Am heftigsten aber erzürnt den scheidenden Sachsen-Monarchen, dass man seiner Frau (und ihm) vorwirft, geizig zu sein. Hat er denn nicht, wie seine Frau immer wieder gerne erzählt, für die hohe, aber schlechter bezahlte Aufgabe in Sachsen auf einen Millionen-Verdienst als „Star-Anwalt" verzichtet? Hat seine Frau nicht selbstlos, ohne einen Pfennig Gehalt, all die Jahre als oberste Kummerkastentante des Landes gedient? Und hat sie nicht all die mühsam erbettelten Spenden und Rabatte für wohltätige Zwecke verwendet - zuletzt die 67,50 Euro von Ikea für eine Baby-Decke für die „Baby-Klappe"?

„Wir haben einen bescheidenen Lebenswandel", sagt Kurt Biedenkopf. Vermutlich glaubt er es sogar, trotz protziger Geburtstagsfeiern, trotz Villa am Elbhang und Urlaubs auf der Segeljacht eines Unternehmerfreundes an der Cote d'Azur.

Den Bezug zur Realität haben Biedenkopf und seine Frau schon lange verloren. Ihnen reicht, wie Ingrid Biedenkopf der „Welt am Sonntag" anvertraute, das „große Glück, uns zu haben". Viel mehr bleibt ihnen wohl nicht mehr. Dann machen sie die Türe zu. „Und dann", sagt die Ministerpräsidenten-Gattin, „können uns alle mal kreuzweise."

(von CHRISTOPH SEILS)

Karl Nolle im Webseitentest
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