Karl Nolle, MdL

Agenturen, ddp-lsc, 9:51 Uhr, 30.01.2002

Geschichten vom sächsischen Hofstaat

Michael Bartsch erzählt von Aufstieg und Fall des «Königs Kurt»
 
Dresden (ddp-lsc). Auf 236 Seiten Kurt Biedenkopf. Analyse und Kritik zum «König von Sachsen». In wenigen Tagen liegt das jüngste Buch der edition ost im Verlag Das Neue Berlin in den Buchläden. Pünktlich zum Abgesang auf den 72-jährigen Ministerpräsidenten des Freistaates erscheint «Das System Biedenkopf». Der Dresdner Journalist Michael Bartsch, ein Kenner der sächsischen Landespolitik, hat richtig geplant. Seine Einschätzung des Hofstaates Sachsen und seiner braven Untertanen setzt zur zielgenauen Landung an. Er verteufelt den Intimfein Helmut Kohls drei Monate vor dessen Rückzug aus dem Amt nicht um jeden Preis. Aber er kommt zum Schluss: «Mit den Jahren nahm die Arroganz der Macht zu und die Fähigkeit ab, die Regeln der Demokratie zu akzeptieren.» Bartsch bleibt seinem Beruf treu und bemüht sich um Aktualität. Das Stichwort Ikea findet sich auch in einem Kapitel.

«Der liebe Gott weiß alles - aber Kurt Biedenkopf weiß alles besser» sagte schon Ludwig Erhard. Der Westimport eines Ministerpräsidenten traf von Anfang an den Nerv der Sachsen. Er wusste, womit er sich das Vertrauen «seines Volkes» erobern konnte. «Was in der sozialistischen Ideologie misslungen war, gelang ihm in Sachsen und begründete seinen Erfolg ebenso, wie es das Verkümmern des kaum entwickelten Demokratieansatzes zur Folge hatte: die Einheit von Volk, Führer und dessen Partei», schreibt der Autor. Demonstrativ verknüpfte «König Kurt» sein Schicksal mit dem des Landes. Und er sprach Klartext. Im Gegensatz zu Helmut Kohl hielt er sich mit Versprechungen und Illusionen im Landtagswahlkampf von 1990 zurück. «Statt blühender Landschaften prophezeite er in entwaffnender Weise den Sachsen ein Tal der Tränen», resümiert Bartsch auf der Suche nach den Wurzeln des Biedenkopfschen Erfolgs. Der künftige Ministerpräsident blieb ehrlich, hielt 40 Prozent Arbeitslosigkeit für möglich.

«Dieses neue Wir-Gefühl im großen Sachsen-Kollektiv sollte vorläufigen Verzicht auf dem schweren Weg zu lichten Höhen erträglich erscheinen lassen», heißt es dazu. Bartsch vermerkt mit leichter Ironie Parallelen zu den Aufbaulosungen in der frühen DDR. Frida Hockauf, die Textilweberin im VEB Mechanische Weberei aus Zittau, hatte 1953 den Satz «Wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben» kreiert. In der Geschichte wiederholt sich eben alles irgendwann.

Biedenkopf wusste seine Landeskinder richtig zu nehmen. 1990 erklärte er die unbesiegbaren Sachsen kurzerhand zu Opfern der Planwirtschaft, die sie um die Früchte ihrer Arbeit betrogen habe. Was konnte in den Aufbaujahren nach der Wende einem Land schon passieren - «wo die Personifizierung des Edlen, Hilfreichen und Guten in Gestalt von Winnetou und Old Shatterhand zu Hause war, wo man bei Horch, Dresdner Bank und Brockhaus aus Meißner Porzellan

Melitta-Kaffee trank, den ersten mechanischen Computer zusammenschraubte, das Skatspiel erfand, wo die Sixtinische Madonna hing, Kurt Masur dirigierte und Kurt Biedenkopf regierte?»

Schließlich, so stellt Bartsch fest, trieb des Sachsen-Kult, «teils urwüchsig, teils inszeniert, teils kommerziell ausgeschlachtet» die buntesten Blüten. Selbst die Moskauer Iswestija titelte am 25. Oktober 1991 «Von Sachsen lernen heißt siegen lernen». Selbst ein Küchenkabinett gewann in solch einem Land Bedeutung. «Landesmutter» Ingrid Biedenkopf stand ihrem Mann zur Seite, erfand den «königlich-sächsischen Kummerkasten». Wieder eine Ähnlichkeit mit der DDR. Eingaben schrieb kaum jemand an die tatsächlich zuständige Stelle, sondern regelmäßig an den «Genossen Staatsratsvorsitzenden». So soll die «Küchenratsvorsitzende der Regierungs-WG» 30 000 Briefe in elf Jahren erhalten haben.

Michael Bartsch, der in seinem Buch ein umfassendes Bild vom Wirken Kurt Biedenkopfs zeichnet, widmet sich Skandalen und Skandälchen, beleuchtet Selbstherrlichkeiten und Menschliches. Für ihn ist letztlich klar, dass die «Untertanen» ihrem «König» mit zu seinem Ruhm verhalfen. «Zwei Beinamen begleiteten die Amtszeit Kurt Biedenkopfs in Sachsen: 'König Kurt' und 'Landesvater'. Er hatte sich die schmeichlerischen Attribute nicht erarbeitet, sie sind ihm nicht nach langer, erfolgreicher Regentschaft zugewachsen. Praktisch bei Bekannt werden seiner Kandidatur wurde ihm schon der Purpurmantel umgelegt. Der Vorgang erinnert an das Zeremoniell der Germanen: Die Gefolgsleute stellen ihren erwählten Führer auf einen Schild und hoben ihn hoch. Kurt Biedenkopf musste zuvor keine Schlacht gewinnen oder sich gegen andere durchsetzen. Es passierte einfach.»

(«Das System Biedenkopf» ist für 12,90 Euro im Buchhandel erhältlich. ISBN-Nummer: 3-360-01029-9.)

-Von ddp-Korrespondent Klaus-Peter Voigt-


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300951 Jan 02

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