Karl Nolle, MdL

Berliner Zeitung, 17.01.2002

Parteifreund als Steigerung des Wortes Todfeind

Das Ende einer Ära
 
DRESDEN. Biedenkopf hat die Ankündigung seines Rückzugs mit einem Angriff auf die sächsische CDU und seinen mutmaßlichen Nachfolger Milbradt verbunden

Von der guten Laune, die Kurt Biedenkopf in den letzten Tagen demonstrativ in der Öffentlichkeit versprühte, war am Mittwoch um 11. 40 Uhr nichts mehr zu spüren. Mit verkniffenem Gesicht stürmte er in den Saal eins des Dresdner Landtagsgebäudes und rang sich erst ein gequältes Lächeln ab, als die Blitzlichter der Pressefotografen aufflammten. Die Anspannung des Ministerpräsidenten war verständlich: Immerhin würde er gleich seinen Rücktrittstermin verkünden, das "Ende einer Ära", wie es später sein Intimfeind, der sächsische CDU-Vorsitzende Georg Milbradt, mit ehrlichem Respekt ausdrückte.

Kurt Biedenkopf kam gleich zur Sache. Schon im ersten Satz seiner Erklärung kündigte er den Rücktritt zum 18. April dieses Jahres an. Das Vorziehen des ursprünglich auf den Jahreswechsel 2002/2003 avisierten Rückzugtermins begründete der Ministerpräsident mit "Erfordernissen des Bundestags-Wahlkampfes" und der Haushaltsplanung für die Jahre 2003 und 2004. Kein Wort über Paunsdorf, wo er sich über Gebühr für das Investitionsprojekt eines Unternehmerfreundes engagierte, kein Wort über die Miet- und Personalaffäre um sein Dresdner Domizil, kein Wort über Rabatte bei Ikea.

Der letzte Gefolgsmann Nur in einem Halbsatz kam Biedenkopf schließlich auf die Unregelmäßigkeiten und Affären zu sprechen, die ihn im Verlaufe der letzten zwölf Monate so in Bedrängnis brachten, dass ihm nichts weiter blieb als der vorzeitige Rücktritt vom Posten des Regierungschefs. In diesem Halbsatz sprach er davon, dass "eigene Fehler zum Anlass einer bundesweiten Kampagne genommen wurden, die nach Form und Inhalt in keinem Verhältnis zu ihrem Anlass stand".

Mit ungerührter Miene saß in diesem Moment Fritz Hähle neben ihm, der Fraktionschef im Landtag und vielleicht der letzte Gefolgsmann, den Biedenkopf in den eigenen Reihen noch hat. Ihm dankte der Ministerpräsident ausdrücklich "für eine durch Freundschaft, Verlässlichkeit, aber auch kritische Begleitung geprägte Zusammenarbeit". Doch schon der nächste Satz, wohl kalkuliert, leitete den Skandal ein: "Zu meinem großen Bedauern kann ich der sächsischen CDU für das letzte Jahr nicht in gleicher Weise danken. " Und mit Blick auf Milbradt setzte er noch eins drauf: "Es ist wohl ein einmaliger Vorgang in Deutschland, dass ein Parteitag einen vom Ministerpräsidenten entlassenen Minister zum Parteivorsitzenden wählt. " Damit war die neue Front eröffnet, und Biedenkopfs Kalkül ging auf: Kein Journalist redete jetzt mehr von Paunsdorf und Ikea, jetzt ging s um Intrigen, Machtproben und Parteifreunde als Steigerungsform des Wortes Todfeind. Die "Affäre Semmeling", live in Sachsen.

Die "Geschäftsgrundlage" für seine Arbeit als Ministerpräsident habe stets darin bestanden, dass die Partei nicht in seine Personalentscheidungen für die Regierung hineinrede und es keine gegen ihn gerichteten Intrigen geben sollte, trug Biedenkopf in betont gleichmütigem Tonfall vor. "Im zurückliegenden Jahr wurde diese Geschäftsgrundlage von Teilen der Partei nicht mehr respektiert. " So sei seine Entscheidung, Milbradt als Finanzminister zu entlassen, "nicht nur von ihm selbst, sondern auch von weiteren Funktionsträgern der Partei bekämpft" worden. Durch die Wahl Milbradts zum Parteivorsitzenden im vergangenen September habe ihm, Biedenkopf, die Mehrheit der Delegierten zu erkennen gegeben, dass sie seine Personalentscheidungen nicht mehr respektiere. Und nicht nur das. In den letzten Monaten habe er erleben müssen, dass die Parteiführung "parallel zur Opposition im Landtag den Rücktritt des Ministerpräsidenten" betrieben habe, sagte Biedenkopf. Besonders betroffen gewesen sei er nach einem auf Milbradts Initiative zu Stande gekommenen Gespräch im Dezember. Bei dieser Gelegenheit habe ihn der Parteichef zum Rücktritt aufgefordert. "Dieser Stil hat mich verärgert", sagte Biedenkopf. "Es geht doch nicht derjenige hin, um Rat zu geben, der auf den Posten scharf ist. " Unterstützung erhielt der Ministerpräsident von Fraktionschef Hähle. Milbradts Vorgehen habe für großen Unmut in der Fraktion gesorgt, so Hähle. "Nur weil wir über Weihnachten Ruhe in der Partei haben wollten, ist dieser Unmut nicht nach draußen gedrungen. " Hähles versteckte Drohung war unmissverständlich. Schließlich ist es am Ende die Fraktion, die im Landtag Biedenkopfs Nachfolger durchbringen muss. Bislang hat sich nur Georg Milbradt für diesen Posten beworben. Ob ihn Biedenkopfs und Hähles Seilschaften auf dem bevorstehenden Sonderparteitag, der die sächsische K-Frage klären soll, verhindern können, bleibt abzuwarten. Im Moment mangelt es noch an einem Gegenkandidaten. Drei amtierende Minister, die Biedenkopf in persönlichen Gesprächen in den vergangenen zwei Wochen dazu überreden wollte, haben abgewinkt. Offenbar hat Milbradt längst das erledigt, was eigentlich Biedenkopfs Aufgabe gewesen wäre: das Feld für einen Nachfolger zu bereiten.

Der sächsische CDU-Chef konnte es sich daher gut leisten, am Mittwoch gelassen schweigend auf die Vorwürfe Biedenkopfs zu reagieren. Zu Hähles versteckter Drohung sagte er lediglich, er könne sich nicht vorstellen, dass Partei und Fraktion in einer so wichtigen Frage wie der des Biedenkopf-Nachfolgers auseinander fallen würden. "Das wäre das Ende unserer Regierungsfähigkeit", sagte Milbradt.

Das Ende einer Ära. Kurt Biedenkopf schaffte nach der Wende den schnellen Aufstieg vom glücklosen Oppositionspolitiker in Nordrhein-Westfalen zum umjubelten Regierungschef in Sachsen. 1990 übernahm der Wirtschafsjurist eine Gastprofessur an der Uni Leipzig. Auf Drängen seines Parteifreunds Lothar Späth wurde er Spitzenkandidat der Sachsen-Union und im selben Jahr als 60-Jähriger Ministerpräsident.

Zahlreiche Ämter hatte Biedenkopf zuvor bereits in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft bekleidet. 1967- 69 war er jüngster Hochschul-Rektor der Bundesrepublik. 1971 ging er in die Geschäftsführung des Waschmittelkonzerns Henkel. 1973 wurde er auf Vorschlag von Helmut Kohl CDU-Generalsekretär. In NRW unterlag er 1980 als CDU-Spitzenkandidat gegen Johannes Rau (SPD). 1987 gab er den CDU-Landesvorsitz in NRW ab.

DPA/RONALD BONß Ministerpräsident Biedenkopf und sein damaliger Finanzminister Milbradt (r. ) bei einer Pressekonferenz im Juni 2000. Wenige Monate später entließ der sächsische Regierungschef das Kabinettsmitglied.
(Andreas Förster)

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