Karl Nolle, MdL

Mitteldeutsche Zeitung, 15.12.2001

Kurt Biedenkopf / Attacken mit der Ikea-Tüte

Rabatt und Paunsdorf: Ministerpräsident im Landtag unter Druck
 
DRESDEN. "Ich wünsche Ihnen noch ein gesegnetes Weihnachten. Mehr habe ich nicht zu sagen." Dann folgt Kurt Biedenkopfs gesichtsbreites Grinsen. Das wirkt fast wie in alten Tagen. Aber eben nur fast. Denn er ist "in Turbulenzen", wie er selbst sagt. Und das sieht man ihm an. Der dozierende Gestus will nicht recht gelingen, immer wieder versagt die Stimme.

In den vergangenen Tagen hatte sich Biedenkopf gleich an zwei Fronten zu verteidigen. Zum einen musste er gestern im Landtag eine Debatte über sich ergehen lassen, die sein Verhältnis zur Wahrheit zum Gegenstand hatte. Die Landtagsopposition wirft Biedenkopf vor, bei einer Vernehmung vor dem Paunsdorf-Untersuchungsausschuss die Unwahrheit gesagt zu haben. Die SPD fordert deshalb seinen Rücktritt. Zum anderen hatte er Rücktrittsforderungen auch aus der eigenen Fraktion abzuwehren.

Als er gestern im Landtag auftritt, versucht er zunächst mit gelehrter Abgeklärtheit den Angriffen zu begegnen. Im Kern geht es um einen Brief seines persönlichen Freundes und Paunsdorf-Investors, des Kölner Bauunternehmers Heinz Barth, in dem dieser seine Mietkonditionen aufstellt. Biedenkopf hatte ein nahezu identisches Schreiben an seinen Finanzminister weitergereicht. Und somit die Entscheidung zugunsten Barths beeinflusst, sagt die Opposition.

Mit minutenlangen Zitaten aus den Aussageprotokollen des Untersuchungsausschusses versucht Biedenkopf mühsam nachzuweisen, eben nicht falsch ausgesagt zu haben. "Pikant" und "skandalös" nennt er es, dass die SPD-Fraktion auf Grundlage eines einzigen Briefes aus den Ausschussakten, der außer den Ausschussmitgliedern öffentlich eigentlich gar nicht bekannt sein dürfte, ihren einstimmigen Beschluss zu einer Rücktrittsaufforderung gefasst hat.
Aber Biedenkopf ist nervös. Beim Zitieren setzt er falsch ein. Zwischenrufe ordnet er falsch zu. Akkurat sortiert er immer wieder seine Papiere. Er sitzt auf der Anklagebank, das ist nicht die Rolle, die ihm liegt.

"Ich gebe zu, dass mir vieles an dieser Debatte in Form und Kultur nicht gefällt."

Karl-Heinz Kunckel - Früherer SPD-Fraktionschef

Das Landtagsplenum war zum Gerichtssaal geworden, und Biedenkopf kämpfte um seinen guten Namen, doch er kämpft mittlerweile weitgehend allein. Aus der CDU kommt in der Sache keine Unterstützung. Einzig der ehemalige SPD-Fraktionschef Karl-Heinz Kunckel ließ Anteilnahme mit Biedenkopf durchblicken. "Und ich gebe zu", so Kunckel, "dass mir vieles an dieser Debatte in Form und Kultur nicht gefällt."

Kunckel galt in seiner Zeit als SPD-Fraktionschef als Verfechter einer "konstruktiven Opposition", persönlich vorgetragene Angriffe waren ihm fremd. Dem Ministerpräsidenten begegnete er stets mit Respekt, und dabei ist er geblieben, auch wenn er letztlich der Rücktrittsaufforderung zustimmte, was ihm offensichtlich schwer fiel. Partikulare Interessen zu fördern sei nur zu rechtfertigen, wenn es einen Rücklauf zum Gemeinwohl gebe, so Kunckel in Bezug auf das Verhältnis von Barth und Biedenkopf.

Dass heute in der SPD-Fraktion ein anderer Ton herrscht als zu Zeiten Kunckels Vorsitz, liegt nicht zuletzt daran, dass der alte Kurs zwar Biedenkopf die Arbeit leichter machte, die SPD aber auf den dritten Platz in der sächsischen Parteienlandschaft verbannte. Wohl auch deshalb hat der heutige "SPD-Chefankläger" Karl Nolle eine "Bandenwerbung" an seinem Abgeordnetenplatz angebracht. Wie zufällig hängen da eine Ikea- und eine Karstadt-Tüte. Denn von den Einkaufstouren des Ministerpräsidenten ist größere Breitenwirkung zu erwarten als von der komplizierten Paunsdorf-Affäre.

Biedenkopfs Rabatt-Geschäfte bei Ikea und Karstadt bilden die zweite Frontlinie, an der sich der Ministerpräsident zu verteidigen hat. Das sei keineswegs deshalb passiert, um sich zu bereichern, meint Biedenkopf. Vielmehr sei jede Mark sozialen Zwecken zugute gekommen. Seine Frau Ingrid habe wegen der von ihr übernommenen sozialen Verpflichtungen private Ausgaben von jährlich bis zu 20 000 Mark. Deshalb frage sie bei Einkäufen schon ihr ganzes Leben, ob es die Möglichkeit eines Rabattes gebe, und sie werde das auch weiterhin tun. Das sei eine Art des "Geldsammelns".

Allerdings hatten gerade diese Rabatt-Einkäufe in der Fraktion für Unmut gesorgt, was dazu führte, dass der Nachfolgekampf für das Amt des Ministerpräsidenten wieder in voller Härte entbrannte. In einer Fraktionssitzung hatten vier Abgeordnete, die dem Lager von Parteichef Georg Milbradt (CDU) zugerechnet werden, wegen der immer neuen Affären den Rücktritt des Ministerpräsidenten gefordert, sich damit aber nicht durchsetzen können. Im Milbradt-Lager wird offensichtlich gerätselt, wie denn der Wechsel im Amt des Ministerpräsidenten möglichst rasch zu bewerkstelligen sei. Gerade nach den immer neuen Affären setzt sich dort die Erkenntnis durch, dass es "einen Königsweg" nicht gibt. Milbradt weiß, dass als "Königsmörder" seine Chancen auf die Nachfolge schwinden würden. Und in der Fraktion ist das Kräfteverhältnis zwischen Biedenkopf-Treuen und seinen Gegnern in etwa ausgeglichen. Biedenkopf selbst sagte offiziell, er wolle nicht zurücktreten. Er schließt aber nicht mehr aus, auch vor dem bisher angepeilten Termin Ende 2002 einen "geregelten Übergang" im Amt des Ministerpräsidenten zustande bringen zu wollen.

Theoretisch könne das auch schon vor der Bundestagswahl im September sein. In weihnachtlicher Stille, sagt Kurt Biedenkopf, werde er noch einmal darüber nachdenken, wie es weitergeht.
(Ralf Hübner , Torsten Kleditzsch)

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