Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 27.02.2001

Nur nicht reizen lassen

Kurt Biedenkopf: Vernehmung mit Vorwärtsverteidigung: "Was wir getan haben..."
 
DRESDEN. Links ein riesiger türkischer Wandteppich, rechts ein schlichtes hölzernes Kreuz; vor Augen die Mitglieder des Untersuchungsausschusses, im Rücken mehr als 50 Journalisten und Beobachter - und mittendrin sitzt ein kleiner Mann im dunklen Anzug: "Mein Name ist Kurt Hans Biedenkopf, ich bin am 28. Januar 1930 geboren, wohne in Dresden, Schevenstraße 1 und bin Ministerpräsident des Freistaates Sachsen." Ruhig trägt er seine Personalien vor, die für niemanden ein Geheimnis sind. Ruhig gibt er sich auch in der Folgezeit, wenn es um weniger bekannte Details geht. Dabei hat die Szene etwas von einer Gerichtsverhandlung, auch wenn sie sich im obersten Stockwerk des Sächsischen Landtages abspielt. Sollte der Vorwurf zutreffen, bliebe er sicher nicht ohne politische Konsequenzen: Hat der Ministerpräsident beim Bau und bei der Vermietung des Behördenzentrums Leipzig-Paunsdorf in unzulässiger Weise seinem Freund, dem Kölner Investor Heinz Barth, geholfen und dabei dem Freistaat geschadet? Die Opposition hat diesen Verdacht und fühlt sich nach dem Studium der Akten darin bestätigt. Mit der Befragung wollen PDS und SPD nun den vermeintlichen Täter überführen. Doch der nimmt den Abgeordneten schnell den Wind aus den Segeln. Knappe 45 Minuten erzählt Biedenkopf, wie sich die Sache aus seiner Sicht darstellt - nämlich ganz anders. Ja, mit Herrn Barth verbinde ihn seit 25 Jahren eine enge Freundschaft. Nein, die Mieten in Paunsdorf seien nicht überhöht, sondern marktgerecht. Ja, es sei seine Pflicht, sich für Investoren einzusetzen. Nein, wir haben die Mietverträge nicht beeinflusst, sondern abgeschlossen: "Ich habe die generelle politische Verantwortung dafür."

Gutes oder schlechtes Geschäft?

Spätestens in diesem Moment ist klar: Die Vernehmung wird ein schwieriges Unterfangen. Biedenkopf hat die Vorwärtsverteidigung gewählt, zahlreiche zentrale Vorwürfe laufen ins Leere: "Sie müssen davon ausgehen, dass das, was wir getan haben, richtig war." Der PDS-Rechnung, durch ungünstige Mietverträge entstehe dem Freistaat ein Schaden von über 350 Millionen Mark, hält der Regierungschef eigene Zahlen entgegen. So seien die Nachverhandlungen von finanziellem Vorteil gewesen. Vor allem aber habe sich der Freistaat damit ein Ankaufsrecht im Jahre 2005 zu günstigen Konditionen gesichert. Jedenfalls sei es völlig abwegig zu glauben, man hätte im Jahre 1993 Büroflächen zu 15 Mark je Quadratmeter anmieten können: "Damals war ein Vermietermarkt, kein Mietermarkt." Ob Paunsdorf am Ende ein gutes oder schlechtes Geschäft für den Freistaat werde, "das kann man heute noch nicht sagen." Biedenkopf sitzt nicht zum ersten Mal vor einem Untersuchungsausschuss. Vor ein paar Jahren musste er vor einem solchen Gremium zur Müllermilch-Affäre aussagen. Damals rettete er sich bei heiklen Fragen mit der Antwort, er könne sich nicht mehr daran erinnern. Diesmal zeigt er sich gut informiert. Auf die Frage, wie er sich auf die Vernehmung vorbereitet habe, kontert er: "Durch großen Fleiß." Den Beweis erhalten die Fragesteller prompt: Kaum dass sie dieses Schreiben oder jenen Aktenvermerk erwähnt haben, nickt Biedenkopf schon und fährt ins Wort: "Ich weiß, na und?" Nervosität ist dem Ministerpräsidenten kaum anzumerken. Eher dem Ausschussvorsitzenden Andreas Hahn (CDU), der seine Hinweise und Anweisungen sicherheitshalber vom Blatt abliest. Hahn hat das erste Fragerecht, aber Fragen hat er keine. Dafür sein Namensvetter André Hahn von der PDS umso mehr. Über hundert Fragen, von der Vollständigkeit der Akten über Firmenbeteiligungen bis zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, spult der Abgeordnete ab. Doch Biedenkopf lässt die Tortur geduldig über sich ergehen. Nur nicht reizen lassen, nur nicht die Beherrschung verlieren. Das gelingt freilich nicht immer. Etwa als die Sprache auf die mögliche Beteiligung seiner Frau an dem Projekt und diversen Barth-Firmen kommt. Oder als die PDS aus einem "Focus"-Artikel zitiert, in dem sich Barth mehrerer Spenden für die Sachsen-CDU rühmt. Dann blickt er zum Ausschussvorsitzenden und vermisst den Zusammenhang zwischen der Frage und dem Untersuchungsgegenstand. Oder er wird persönlich: "Das meinen Sie doch nicht ernst?" Nach drei Stunden - die PDS fragt immer noch - bittet der Ministerpräsident um eine kurze Auszeit. Nach viereinhalb Stunden ist Karl Nolle (SPD) an der Reihe. CDU-Obmann Peter Jahr begnügt sich mit einer Alibi-Frage: Ob dem Freistaat ein Schaden entstanden sei. Natürlich nicht, bescheidet Biedenkopf zum wiederholten Mal an diesem Tag. Nach fünfeinhalb Stunden ist alles vorüber. Bei der CDU-Fraktion zeigt man sich über die Vorstellung des Ministerpräsidenten erleichtert. Biedenkopf galt als angeschlagen nach den Unruhen wegen des Rausschmisses von Finanzminister Milbradt. Nicht alle wollten ihre Hand dafür ins Feuer legen, dass Biedenkopf heil aus der Affäre herauskommt. Horst Rasch war unlängst sogar als CDU-Obmann zurückgetreten. Der Schritt hing mit Milbradts Entlassung zusammen. Der Ex-Finanzminister muss heute vor dem Ausschuss aussagen.
(von Steffen Klameth und Thomas Schade)

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