Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 02.05.2001

Hauen und Stechen auf dem Rettungsfloß

sächsische CDU ist wegen der Biedenkopf-Nachfrage tief gespalten
 
DRESDEN. Die sächsische CDU ist wegen der Biedenkopf-Nachfrage tief gespalten, und die Matadoren formieren ihre Truppenteile

Tritt zurück! Plötzlich und unerwartet. Jetzt, wo noch keiner damit rechnet. Überlasse die Auswahl deines Nachfolgers Partei und Fraktion. Sie müssen in Zukunft die Politik in Sachsen gestalten. Allein. Ohne dich.

Oft wird Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) in den vergangenen Tagen an den Rat gedacht haben, den ihm ein alter Weggefährte vor einigen Monaten gegeben hatte. Über alle Parteigrenzen hinweg wäre dieser Schritt bedauert worden. Sein nach drei überlegen gewonnenen Landtagswahlen errungener Nimbus als unangreifbar wäre erhalten geblieben. In Umfragen war der heute 71-Jährige kurzzeitig Deutschlands beliebtester Politiker. Einige sahen in ihm sogar die Leitfigur, die die durch Kohls Spenden-Affäre gebeutelte Bundes-CDU aus ihrer Krise führen sollte.

Keiner käme heute mehr auf diese Gedanken. Selten zuvor hat man mitansehen können, wie die Macht den Amtsinhaber verlässt, während er das Amt noch ausübt. Und angesichts der nicht endenwollenden Vorwürfe über privat genutzte Putzfrauen, eine zu niedrige Miete und Hubschrauberflüge fragen sich viele: Muss er sich das eigentlich antun?

Keiner erkannte die Alarmsignale

Sichtbar wurde der schleichende Machtverfall nach dem Rausschmiss von Finanzminister Georg Milbradt (CDU). In 14 Tagen sei alles vergessen, aller Ärger verraucht, verkündete Biedenkopf. Das sieht er heute wohl anders. Denn in Wirklichkeit fing damit alles erst an. Peinlich genau musste sich Biedenkopf von einer Arbeitsgruppe von Beamten befragen lassen, wie es denn genau im Gästehaus Schevenstraße zugegangen sei. Das Ergebnis wird heute vorgestellt. Wenn noch Unklarheiten bleiben, hat die Opposition bereits einen Untersuchungsausschuss angedroht. Dann wird auch Ingrid Biedenkopf Rede und Antwort stehen müssen - für manche in der CDU eine bizarre Vorstellung.

Als der frühere Staatskanzlei-Chef Günter Meyer (CDU) Anfang April in Dresden war, wunderte er sich, dass keiner in Biedenkopfs Umfeld die Alarmsignale erkannte. Biedenkopf fuhr auf eine dreiwöchige USA-Reise, sein Regierungssprecher ging in Urlaub - und daheim bedurfte es nur eines lauen Lüftchens, um aus einem Schwelbrand ein Großfeuer zu entfachen. Nichts ist mehr unmöglich. Sachsens CDU-Chef Fritz Hähle spricht von einer tief gespaltenen Partei. Sein Vize Heinz Eggert vergleicht die Situation mit einem Rettungs-Floß, auf dem ein Hauen und Stechen stattfindet und einer nach dem anderen von Bord gestoßen wird. Einige Matadoren im Kampf um die Nachfolge Biedenkopfs sammeln nach eigenen Angaben ihre "Truppenteile", stellen Bataillone zusammen, erste Scharmützel werden geführt: die Entscheidungsschlacht steht bevor, glauben sie.

Milbradt selbst versucht alles, um das Feuer zu löschen. Bei Vorträgen lobt er Biedenkopfs Verdienste. Doch er sagt auch, dass die Sachsen bei den nächsten Wahlen nicht aus purer Dankbarkeit noch einmal CDU wählen. Deshalb müsse die Partei aus dem Windschatten Bieddenkopfs heraustreten, erklärte er kürzlich vor der Mittelstandsvereinigung der CDU. Sorgfältig hält er sich an die Absprache, die Nachfolgefrage bis zu den Kommunalwahlen auszuklammern. Doch jeder weiß: Hier bereitet jemand seine Bewerbung für das Amt des Parteivorsitzenden vor. Am 15. September wählt die CDU einen neuen Vorsitzenden. Milbradts Anhänger wollen die Wahl zum "Befreiungsschlag" nutzen. Die Chancen dafür stehen gut.

Bei einer Kampfkandidatur von Milbradt werden dem amtierenden Vorsitzenden Fritz Hähle, der bei der vorigen Wahl ohne Gegenkandidaten nur knapp über 50 Prozent kam, nur geringe Chancen eingeräumt. Aus der Garde der jüngeren Minister kann keiner den Hut in den Ring werfen, ohne sein Ministeramt aufgeben zu müssen. Biedenkopf hatte sich vor einigen Monaten festgelegt, dass er einen Parteivorsitzenden nicht dulden werde, der zugleich in die Kabinettsdisziplin eingebunden sei. Bliebe als letzte, eher theoretische Möglichkeit, dass Biedenkopf selbst als Parteivorsitzender kandidiert. Das aber, so erklärte Biedenkopf dem vogtländischen CDU-Kreisvorsitzenden Fredo Georgi, wäre ein Armutszeugnis für Sachsens CDU.

Viele Pläne, aber keine Mehrheiten

Im Umfeld Biedenkopfs fürchten diejenigen den Ex-Finanzminister besonders, die ihren Aufstieg nicht herausragenden Fähigkeiten, sondern herausragender Loyalität verdanken. Für sie wäre Biedenkopfs Ende eine existenzielle Frage. Deshalb arbeiten sie an Planspielen: Minister werden entlassen, neue berufen. Abteilungsleitern werden Staatssekretärsposten angeboten. Eine Zeitung wollte gar von einem CDU-Geheimplan wissen: Die eigenen Parteifreunde sollten Biedenkopf noch vor dem Sommer zum Rücktritt drängen. Dafür solle er das Recht erhalten, einen Nachfolger bestimmen zu können. Nur so sei Milbradt zu verhindern.

Doch in Wirklichkeit gibt es nicht einen, sondern ungezählte Pläne gegen das Nachfolge-Dilemma. Mal soll Stanislaw Tillich die Partei und Steffen Flath die Fraktion führen. Doch weder der Europa- noch der Umweltminister können sich einer Mehrheit sicher sein. Dann will man es doch noch mal mit Hähle versuchen. Irgendwann fällt in der Gerüchteküche auch wieder der Name des ambitionierten Kultusministers Matthias Rößler; der hatte bereits im Dezember spüren müssen, dass die Fraktion ihn nicht zu ihrem Vorsitzenden wählen würde. Selbst Milbradt hätte in der Fraktion gegenwärtig keine Mehrheit sicher, sagt ein Abgeordneter. Also viele Pläne, die an Personen gebunden sind, die keine Mehrheit haben. Im Ernstfall - so ist die Rede - seien da sogar Neuwahlen denkbar. Mit diesem Schreckensszenario lassen sich ängstliche Abgeordnete und Minister leicht für eine Augen-zu-und-durch-Strategie gewinnen.

Einige Minister wollen sich nicht in eine Anti-Milbradt-Front einreihen lassen. Finanzminister Thomas de Maizière (CDU) spricht stets voller Hochachtung von seinem Vorgänger, in dem er einen Freund sieht. Tillich (CDU) hat mehrfach sowohl mit Milbradt als auch mit Hähle gesprochen, um eine Einigung herbeizuführen. Doch die anschließenden Gespräche zwischen den beiden blieben folgenlos. Die Klügeren wissen, dass eine Lösung nur mit und nicht gegen den Ex-Finanzminister zu erreichen ist.
(Christian Striefler)

Karl Nolle im Webseitentest
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