Karl Nolle, MdL

DNN, 05.01.2001

Überraschung, Abwarten und Enttäuschung

Reaktionen auf Nolles Rückzug
 
DRESDEN. "Wir warten jetzt erst mal ab, und werden unsere Gedanken ordnen: Vollkommen unsinnig wäre es, jetzt sofort neue Namen zu nennen." SPD-Unterbezirkschefin Marlies Volkmer sah gestern nach Nolles Rückzug die PDS am Zug. Seine Entscheidung ist im Stadtausschuss laut Volkmer zwar respektiert, aber nicht ganz akzeptiert worden. Sie mochte sich nicht dazu äußern, wie die Partei bei einem neuen Kandidaten mit einer möglichen Bewerbung von Ex-OB Wolfgang Berghofer umgehen wird. Nolle hatte klar gemacht, dass er für Berghofer seine Bewerbung nicht zurückziehen würde. Volkmer selbst will nicht antreten.
SPD-Landeschefin Constanze Krehl hält nach Agenturberichten Berghofer als parteiübergreifenden Kandidaten für vorstellbar. Anders sah das der SPD-Landtagsabgeordnete und DGB-Landeschef Hanjo Lucassen, der sich gegen den letzten OB mit SED-Parteibuch aussprach.
PDS-Stadtverbandschef Michael Schrader "ich war relativ überrascht" hatte gleich um acht Uhr früh bei SPD-Chefin Volkmer angerufen, um die neue Lage zu besprechen. "Das hätte Nolle alles schon Anfang November machen müssen", sagte er den DNN. Dadurch habe man zwei Monate Zeit verloren. "Die ganze SPD hat sich da am Nasenring hinter ihm herziehen lassen". Schrader sah die voraussichtliche Nominierung Christine Ostrowskis beim PDS-Parteitag am 3. Februar noch nicht als endgültig und mochte eine spätere weitere Delegiertenkonferenz nicht ausschließen.
Der Chef der SPD-Stadtratsfraktion, Andreas Herrmann, sah PDS und Grüne, die sich hinter Kritik an Nolle versteckt hätten, jetzt in der Pflicht zu neuen Vorschlägen. "Frau Ostrowski ist für mich nicht akzeptabel und Berghofer auch nicht", sagte er. Grünen-Fraktionssprecherin Eva Jähnigen sprach von einer offenen Situation. "Ich bin nach wie vor der Meinung, dass es noch Möglichkeiten für ein Bündnis gibt." Berghofer hielt sie in ihrer Partei nicht für durchsetzbar. Reinhard Martin, der morgen bei der abgesagten SPD-Mitgliederversammlung als Kandidat des SPD-Ortsvereins Plauen/Coschütz gegen Nolle antreten wollte, steht weiter für eine Kandidatur zur Verfügung. "Berghofer als Bündniskandidat scheidet für mich aus", sagte er. Das werde es aus seiner Sicht mit der SPD nicht geben.
Enttäuscht zeigte sich Sabine Friedel, die Chefin der Jusos, bei denen Nolle viel Unterstützung findet. Sie hielt es aber für verständlich, dass Nolle unter diesen Umständen nicht mehr kandidieren wollte. Dietrich Ewers, Chef im Ortsamt Altstadt und im vergangenen Jahr als OB-Kandidat gehandelt, schloss eine eigene Bewerbung nicht aus. Er schätze Karl Nolle, habe aber befürchtet, dass der nicht gut ankomme: "Viele Leute haben immer noch Vorbehalte gegen Wessis, das ist einfach so."
(sta)

Kommentar
Die SPD-Landesvorsitzende hat am 4.1.01, ohne sich mit der Dresdner SPD ins Benehmen zu setzen, die Wählbarkeit von Berghofer ins Spiel gebracht.
Eine Meinungsbildung zu Berghofer kann aber in der Dresdenr SPD solange nicht stattfinden, als von ihm keinerlei Aussagen über Inhalte und Politikstil vorliegen und ebenfalls keine Antwort auf eine Kandidatur gegeben wurde. Sollte der Versuch gemacht werden, von wem auch immer, ohne Prüfung, Würdigung und Bewertung aller bekannten und noch abzufordernden Fakten eine Berghoferunterstützung der Dresdner SPD mehrheitlich aufzuzwingen, so ist das die Zerreissprobe der Partei, abgesehen davon dass zahlreiche Mitglieder mit zusammen einigen zehn Jahren Bautzen nach der Wende ihre politische Heimat in der SPD gefunden haben.
Mit den Altlasten von Berghofer wird kein Amtsbote, Referent oder Referatsleiter bei der Stadt oder sonstwo im öffentlichen Dienst eingestellt.
Um nicht mißverstanden zu werden, es geht um die Spitze der Stadt, an die andere Maßstäbe angelegt werden müssen. Berghofer als OB, das wäre ein Schlag ins Gesicht der tausenden Kleinen, die man "hängte" um die Großen laufen zu lassen.
Wäre das nicht gerade das falsche Signal 10 Jahre nach dem Ende der SED-Diktatur? Ich bin gespannt auf die demokratischen Verrenkungen, die uns in den nächsten Monaten noch zugemutet werden und auf die überzeugenden Erklärungen, warum mit Berghofer alles gut werden wird. Einige U-Boote, auch in der SPD, haben ihre Sehrohre zum Auftauchen schon ausgefahren. Da wird es seltsame Koalitionen geben.
KARL NOLLE

Karl Nolle im Webseitentest
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