Karl Nolle, MdL

Georg Milbradt, Dresden, 10.08.2001

Aufbruch statt Routine!

Zur Lage der Sächsischen Union, eine Dokumentation ...
 
1. Die parteipolitische Ausgangssituation

Seit 1990 wurde im ehemals „roten Sachsen“ die CDU gewählt, in den Wahlkreisen, in den Landkreisen, in fast allen Kommunen. Die Wähler übertrugen der CDU die politische Verantwortung, weil sie

· die Partei der deutschen Einheit ist,

· die Partei des Aufschwungs ist und

· mit Kurt Biedenkopf einen glaubwürdigen und kompetenten Repräsentanten ihrer Politik vorweisen konnte.

Die Sächsische Union übernahm diese Verantwortung unter an sich ungünstigen Rahmenbedingungen:

· Aus der Zwangspolitisierung des Lebens in der DDR resultiert eine Politikverdrossenheit, die viele Menschen bis heute vom parteipolitischen Engagement abhält und immer noch konstant niedrige Mitgliederzahlen auch bei der sächsischen CDU zur Folge hat.

· Bürgerliche Strukturen, die über drei Generationen in der Gesellschaft unterdrückt und zerstört worden waren, bilden sich nur langsam neu heraus.

· Als eine den christlichen Grundwerten verpflichtete Partei muss sich die CDU in einem weitgehend nichtreligiös geprägten Umfeld behaupten.

Unter diesen Bedingungen ist es für die CDU nicht einfach und erst Recht nicht selbstverständlich, ihre Stellung auch am Beginn des neuen Jahrhunderts zu bewahren:

Nicht nur die Nachkriegszeit, auch die Nachwendezeit geht zu Ende: In allen neuen Bundesländern ziehen sich die vielfach als überparteilich verstandenen Führungspersönlichkeiten der Wendezeit aus der aktiven Politik zurück.
Die Mobilisierungswirkung von Wiedervereinigung und Aufschwung läuft aus. Mehrheiten entstehen nicht mehr aus dem Gründungsmythos von 1990.
Die reine Fortsetzung der bisherigen, sehr erfolgreichen CDU-Politik erscheint als selbstverständlich und ist nicht allein ausschlaggebend für Wahlerfolge.
Viele Mitglieder der Sächsischen Union haben Ämter und Mandate übernommen und leisten hervorragende Arbeit, doch ihnen fehlt, wie zunehmend deutlich wird, das Hinterland einer mitgliederstarken Partei: Der Erfolg der CDU hat all ihre Kräfte für den Aufbau von Staat und Kommunen, von Marktwirtschaft und Rechtsstaat beansprucht. Der Aufbau der Partei konnte dabei nicht mithalten.

Trotz dieser ungünstigen Ausgangslage ist die Sächsische Union bisher in einer guten Position. Insbesondere der herausragenden Rolle unseres Ministerpräsidenten ist es zu danken, dass die CDU in Sachsen nicht eine ähnliche Entwicklung wie in Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin genommen hat. Den Nostalgikern des bankrotten Sozialismus blieb dadurch der unmittelbare oder mittelbare Zugriff auf die Macht verwehrt. Wegen des hohen Ansehens und großen Vertrauens, das Kurt Biedenkopf bei der Bevölkerung besitzt, wirkt es sich noch nicht negativ aus, dass die Partei ihre Aufgabe als Mittler zwischen Politik und Bürgern nur unzureichend erfüllen konnte. Wir dürfen aber nicht übersehen, dass die große Zustimmung der Bevölkerung zu unserem Ministerpräsidenten nicht in gleichem Maß auch der CDU in Sachsen gilt.

2. Die neuen Herausforderungen

Die Warnzeichen sind unübersehbar: Bei der Bundestagswahl 1998 erreichte die CDU in Sachsen nur noch ein Drittel der Stimmen. In keinem anderen Bundesland war der Absturz von der sonst gewohnten Höhe der Wahlergebnisse größer! Die Sächsische Union verfügt noch nicht über eine ausreichend große Stammwählerschaft. Seit Jahren verlieren wir zudem eine große Stadt nach der andern. Daran wird in besonderer Weise deutlich, dass das Erfolgsrezept von 1990 an Wirksamkeit verliert. Die Entwicklung in den großen Städten ist alarmierend – und es besteht die Gefahr, dass sie mit zeitlicher Verzögerung auch andere Teile des Landes erfasst. Denn:

Im Jahr 2004 wird Kurt Biedenkopf aus eigener Entscheidung nicht wieder als Spitzenkandidat zur Wahl stehen und die Union repräsentieren, ja nahezu ersetzen. Nur aus Dank für das bisher Geleistete aber wird die Union nicht gewählt werden, denn „Dankbarkeit ist keine politische Kategorie“ (Biedenkopf). Schon jetzt konnte selbst unser Ministerpräsident die Niederlage bei den Oberbürgermeisterwahlen in der Landeshauptstadt Dresden und in anderen wichtigen Städten nicht verhindern.

Die CDU hat in Sachsen keinen potenziellen Koalitionspartner. Die jüngste Entwicklung in Berlin macht überdeutlich, dass die SPD 40 Jahre nach dem Bau der Mauer keine Skrupel mehr hat, mit der PDS zu koalieren oder sich von den Kommunisten tolerieren zu lassen, um die CDU aus der Regierung zu verdrängen und eine linke Mehrheit zu ermöglichen. Die Alternative zur CDU ist Rot/Rot. Wir müssen deshalb auf Sieg und nicht auf Platz setzen, ständig neu um die absolute Mehrheit kämpfen.

Dafür muss die Sächsische Union ihr eigenständiges Profil als Volkspartei stärker nach außen tragen. Es genügt nicht, eine gute Politik zu machen. Wichtig ist vor allem, die Menschen „mitzunehmen“. Die Aufgaben der Zukunft sind nur noch teilweise Aufgaben, die sich aus dem Erbe der DDR und den Erfordernissen der Wendezeit ergeben. Die Menschen sehen die Erledigung der bisherigen Aufgaben zu Recht als normales politisches Geschäft. Eine routinierte Bewältigung des Alltags wird von jeder politischen Partei und Regierung als selbstverständlich erwartet. Nicht die Routine des täglichen Erfolges sichert der Sächsischen Union zukünftig die Mehrheiten, sondern nur der Aufbruch in die Zukunft. Vor uns stehen unvermeidliche große Umbrüche. Die friedliche Revolution vom Herbst 1989 war nur eine Umwälzung im Osten – die gesamtdeutsche „Wende“ steht uns im 21. Jahrhundert noch bevor.

Dazu nur einige Stichworte:

Schnelle Fortschritte in der Informations- und Biotechnologie. Unser gewohntes Leben wird sich dadurch grundlegend verändern. Wie bereiten wir die Menschen auf diese Veränderungen vor?
Neue ethische Fragestellungen. Unsere christlichen Werte sind davon in besonderer Weise berührt. Welche wissenschaftlichen Möglichkeiten darf der Mensch nutzen?
Tiefgreifende Veränderungen der Bevölkerungsentwicklung. Es werden nur noch halb so viele Kinder geboren, wie zu einem natürlichen Erhalt der Bevölkerung nötig sind. Wie muß die Familienpolitik, die Wirtschafts- und Sozialpolitik darauf reagieren? Wie vermeiden wir eine weitere Abwanderung? Wie ist die Zuwanderungsfrage zu lösen?
Globalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Nationalstaatliche Grenzen verlieren an Bedeutung. Der Staat konkurriert mit anderen Staaten um Investoren und um wirtschaftlich aktive, mobile Menschen. Wie stellt sich staatliche Politik dieser neuen Wettbewerbssituation?
EU-Osterweiterung. Der alte Kontinent wächst wieder zusammen und überwindet die historischen Fehlentwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Sachsen liegt wieder in der Mitte Europas! Wie ist eine neue und dauerhafte gesamteuropäische Friedensordnung und ein großer Wirtschaftsraum gemeinsam mit unseren ost- und mitteleuropäischen Nachbarn zu gestalten?

Manche dieser Entwicklungen machen den Menschen Angst. Als christliche und konservative Partei hat die CDU die Aufgabe, die bevorstehenden Umbrüche ohne Brüche für die Menschen zu gestalten und ihnen die Angst vor der Zukunft zu nehmen. Wir wollen nicht über die Veränderungen klagen, sondern uns ihre Kraft zu nutze machen!

Die Menschen brauchen Orientierung und Heimat. Gerade die Rückbesinnung auf die sächsische Geschichte und Kultur fördert die Identifikation mit unserem Land. In einer sich ändernden Welt müssen wir den Mut haben, eigenständige Wege zu gehen, die an den speziellen Voraussetzungen, Fragestellungen und Chancen in Sachsen anknüpfen.

Wer Zustimmung will, muss Sinn vermitteln. Menschen nehmen unglaublich große Anstrengungen auf sich, wenn sie einen Sinn darin sehen. Wir sollten die Aufgabe der politischen und geistigen Führung ernst nehmen. Wir müssen neue politische Herausforderungen definieren, positive Zukunftsvisionen entwickeln, aufrüttelnde Ziele setzen. 1990 wurde das große Ziel der Wiedervereinigung durch die Geschichte bestimmt. Heute müssen wir Ziele definieren, die eine vergleichbare Dynamik bewirken.

3. Die Defizite

Die Defizite der Partei müssen offen benannt und offensiv behoben werden. Das sind vor allem

· die konstant niedrige Mitgliederzahl,

· die ungenügende Verankerung im sogenannten „vorpolitischen Raum“, und damit verbunden

· die regional sehr unterschiedlich ausgeprägte, insgesamt jedoch eher geringe Verwurzelung in der Bevölkerung.

Die Gewinnung neuer Mitglieder wird um so leichter, je attraktiver es ist, Mitglied der Sächsischen Union zu sein. Wir müssen deshalb unseren Mitgliedern einerseits einen Informationsvorsprung bieten, es ihnen andererseits auch ermöglichen, politische Entscheidungen zu beeinflussen und mitzugestalten. Das „einfache“ Parteimitglied ist nicht an einer politischen Karriere interessiert, sondern an der Politik für unser Land und unsere Gemeinden. Es muss spüren, dass seine Meinung gefragt ist, gute Ideen weiter verfolgt werden und Initiativen nicht ins Leere laufen.

Im politischen Dreieck Staatsregierung-Landtagsfraktion-Landespartei hatte die Partei bisher die geringste politische Bedeutung. Die Parteivorsitzenden wurden von den Mitgliedern und der Öffentlichkeit vor allem in ihrer Funktion als Ministerpräsident oder Fraktionsvorsitzender wahrgenommen. Der Landesvorstand und seine Mitglieder blieben weithin unbekannt und hatten in dieser Funktion kaum politisches Gewicht. Ähnliches gilt oft auch für die kommunale Ebene. Die Partei war vielfach auf eine reine Zustimmungsrolle reduziert, da alle wesentlichen Entscheidungen nicht in und aus der Partei heraus gefallen sind. So konnte die Partei auch nicht zu einem Ort des Wettbewerbs um die beste Politik und die geeignetsten Personen zu ihrer Umsetzung werden. Nur ungenügend entwickelte sich dadurch auch die Fähigkeit unserer Partei, sich ständig zu erneuern und auf neue Probleme zu antworten. Eine solche Partei ist für große Teile der Mitglieder wie auch für potenzielle neue Mitglieder nicht attraktiv genug.

Eine andere Rolle konnte die Landespartei aber zunächst auch gar nicht übernehmen, da sie selbst nach 1990 neu organisiert werden musste. Der Landesvorstand, insbesondere der Vorsitzende und der Generalsekretär, waren in den ersten Jahren nach der Wende vollauf damit beschäftigt, neben den Wahlkämpfen den dramatische Mitgliederverlust zu bewältigen und den hauptamtlichen Apparat des Landesverbandes und der Kreisverbände an finanzierbare Strukturen anzupassen. Diese organisatorischen Aufgaben sind nun erfüllt.

Die politischen Defizite der Landespartei konnten zudem durch die hohe Popularität und Akzeptanz von Kurt Biedenkopf in der Bevölkerung ausgeglichen werden. Dies wird mit dem Ausscheiden des Ministerpräsidenten nicht mehr möglich sein. Er wird nicht mehr – nahezu im Alleingang – Wahlen für die Sächsische Union gewinnen. Künftig muss das Verhältnis Regierung/Partei neu gestaltet werden: die Sächsische Union darf nicht länger als Anhängsel der Staatskanzlei begriffen werden. Auch das Verhältnis Fraktion/Partei und Fraktion/Regierung muß neu definiert werden. Die Partei muss nun zum erwachsenen, selbständigen und gleichberechtigten Partner der Politik werden. Der Landesvorsitzende und der Landesvorstand werden dann ihre eigentliche Aufgabe, die Partei zu führen, so erfüllen können, wie das in den anderen Landesverbänden und im Bundesverband selbstverständlich ist.

4. Die Aufgaben

Um auch in der Zukunft die politisch führende Kraft in Sachsen bleiben zu können, müssen wir uns neu aufstellen!

Die Sächsische Union muss sich zu einer eigenständigen Kraft entwickeln, eigenes Profil gewinnen und zu einer neuen Form offener und vertrauensvoller Zusammenarbeit mit der Staatsregierung, der Landtagsfraktion, der Landesgruppe im Bundestag und unseren Kommunalpolitikern finden. Es geht nicht um Konfrontation oder Konkurrenz, die die Bürger nicht verstehen und akzeptieren würden, sondern um eine vernünftige Arbeitsteilung. Die verfassungsrechtlichen Aufgaben der Staatsregierung und der Landtagsfraktion bei der Führung unseres Landes bleiben unverändert. Ihre Mitglieder, insbesondere der Ministerpräsident und der Fraktionsvorsitzende, werden und sollen auch auf Grund ihrer Ämter eine herausgehobene Rolle in der Partei und im Landesvorstand spielen.

Die Partei selbst muss vier wichtige Aufgaben erfüllen:

Sie muss als politischer Botschafter und Multiplikator wirken, unsere Politik der Bevölkerung vermitteln, um Zustimmung und Mehrheiten werben und umgekehrt auch die Meinung und die Stimmungen des Volkes zu den politisch Handelnden transportieren.
Sie muss auf breiter Basis tatsächlich aktiv in eine inhaltliche Diskussion um aktuelle Sachfragen eintreten.
Sie muss ihren Mitgliedern – nicht nur den Amts- und Mandatsträgern – Möglichkeiten der politischen Meinungsbildung, Mitgestaltung und Mitverantwortung über die Teilnahme an innerparteilichen Wahlen hinaus eröffnen.
Sie muss die innerparteiliche Demokratie und die Parteiarbeit über reine Abstimmungsprozeduren hinaus so gestalten, daß sich alle Mitglieder in der Sächsischen Union wiederfinden.

5. Die Schlussfolgerungen

Wir müssen aber das Gespräch nicht nur in der Partei, sondern auch mit allen gesellschaftlichen Gruppen der Bevölkerung suchen – und nicht nur mit denen, die uns nahe stehen. Wir können die richtigen Antworten auf neue Fragen nur dann geben, wenn wir das in der Bevölkerung, in der Wissenschaft, bei den Interessen- und Betroffenengruppen vorhandene Wissen über Probleme, Sachverhalte und Lösungen erfragen und nutzen. Gerade in Zeiten eines raschen Wandels müssen wir diesen Dialog dauerhaft suchen, um der Entwicklung nicht hinterherzulaufen, sondern sie im Interesse unseres Landes mitzugestalten. Auf diese Weise stellen wir am Besten unter Beweis, dass wir eine offene, moderne und attraktive Partei sind, die sich um den Bürger und das Land kümmert, seine Interessen vertritt und in der mitzuarbeiten sich lohnt.

Dazu einige Gedanken:

Wir sollten wie bisher Parteitage grundsätzlich als Mitgliedervollversammlungen und nicht als Delegiertenkonferenzen organisieren. Die Erfahrungen in den westdeutschen Landesverbänden zeigen, dass das Delegiertenprinzip die Mandats- und Funktionsträger vom Rest der Partei abschotten kann. Da sich für Landesparteitage aus technischen und organisatorischen Gründen das Delegiertenprinzip nicht vermeiden lässt, sollten bei wichtigen Entscheidungen Regionalkonferenzen durchgeführt werden, um alle Mitgliedern zu informieren und ihnen Gelegenheit zu geben, an der innerparteilichen Meinungs- und Willensbildung teilzunehmen.

Die elektronischen Kommunikationstechniken eröffnen neue Möglichkeiten der innerparteilichen Kommunikation und Willensbildung nicht nur von oben nach unten, sondern vor allem auch von unten nach oben. Die Sächsische Union muss diese Techniken konsequent nutzen.

Der Landesvorsitzende und der Generalsekretär müssen regelmäßig Kontakt zu den Kreisverbänden halten, nach Möglichkeit an allen Kreisparteitagen teilnehmen und dort über die Arbeit des Landesverbandes berichten. Mit den Kreisvorständen ist ein regelmäßiger Meinungsaustausch zu organisieren. Jeder Kreisverband wird durch ein Mitglied des Landesvorstandes betreut, das nach Möglichkeit an allen Kreisvorstandssitzungen teilnehmen soll.

Die Vorstände sind Kollegialorgane. Um alle Vorstandsmitglieder mit einzubeziehen und die Arbeit nicht nur auf einzelne, insbesondere den Vorsitzenden und den Generalsekretär, zu konzentrieren, sollten die Mitglieder, sofern nicht der Gesamtvorstand oder der geschäftsführende Vorstand insgesamt zuständig ist, einzelne Aufgabengebiete zur selbständigen Erledigung übernehmen. Das fördert das Engagement, aber auch die Bekanntheit der Mitglieder des Landesvorstandes in der Öffentlichkeit.

Die Landesgeschäftsstelle ist weiter zu einer „kundenfreundlichen“ Servicestelle für die Partei im ganzen Land auszubauen.

Da viele Bürger eine dauerhafte Bindung in Form der Parteimitgliedschaft scheuen, sich aber für bestimmte Projekte oder Themen interessieren und bei entsprechender Ansprache durchaus bereit sind, mit uns zusammenzuarbeiten, sollten wir diese Bürger über Freundes- und Sympathisantenkreise an uns binden. Wir brauchen für spezielle Fragestellungen die Kenntnisse und Erfahrungen von engagierten, betroffenen oder besonders sachkundigen Bürgern außerhalb unserer Partei. Parteiungebundene werden aber nur dann zur Zusammenarbeit bereit sein, wenn sie ernst genommen und nicht als Feigenblatt missbraucht werden.

Je positiver die Zusammenarbeit mit Außenstehenden sich gestaltet, desto größer wird später die Bereitschaft zu einem dauerhaften Engagement in Form der Mitgliedschaft sein. Gerade erfahrene und profilierte Bürger sind auch als „Quereinsteiger“ willkommen; denn sie bereichern unsere Partei.

Unsere Vereinigungen müssen wir stärker als bisher nutzen, um Außenstehende anzusprechen und an uns zu binden. Die Partei muss die Vereinigungen bei diesem Vorhaben ermuntern und unterstützen. Das gilt insbesondere für die Junge Union und die Frauenunion. Das Defizit an jungen Mitgliedern und Frauen ist besonders schmerzlich.

Wenn es gelungen ist, neue Mitglieder zu werben, müssen wir sie bei ihrem weiteren Weg in unserer Partei begleiten. Wir können es uns nicht leisten, dass neue Mitglieder uns frustriert verlassen oder resignieren; denn von einem kontinuierlichen Zustrom neuer Mitglieder und ihrem Engagement für unsere Sache hängt die weitere Entwicklung unserer Partei entscheidend ab.

Unserer Mitglieder sind im vorpolitischen Raum oft noch zu wenig verankert. Wichtige Funktionen werden von Mitgliedern konkurrierender Parteien und Organisationen besetzt. Gerade für eine dauerhafte Akzeptanz der Sächsischen Union in der Bevölkerung ist eine starke Präsenz in Gruppierungen und bei Aktivitäten des vorpolitischen Raumes unverzichtbar.

Ein geeigneter organisatorischer Rahmen für Kontakte zu engagierten und sachkundigen Bürgern könnte eine von der Sächsischen Union einzusetzende Zukunftskommission sein, die in den nächsten zwei Jahren einen offenen Dialog über die Zukunft unseres Landes, seine Probleme und die von der Politik erforderlichen Weichenstellungen mit allen Interessierten in- und außerhalb der Partei führt. Die Ergebnisse dieser Zukunftskommission fließen dann in das Wahlprogramms 2004/09 ein.

All dieses wird jedoch nur dann zu einer erfolgreichen Neuorientierung innerhalb der Sächsischen Union führen, wenn wir neben allen inhaltlichen und organisatorischen Veränderungen uns auch personell richtig aufstellen. Die nach wie vor hohe Zustimmung der Bevölkerung zu unserem scheidenden Ministerpräsidenten zeigt, dass im Zentrum von Politik und Demokratie immer die Menschen stehen:

die Bürger, für die Politik gemacht wird und die von politischen Entscheidungen betroffen werden, und

die Politiker, die diese Politik – der Sache und den Bürgern verpflichtet – glaubwürdig vertreten.

Zustimmung der Bevölkerung zu Personen ist nicht vererbbar. Die Zeiten sind vorbei, in der politische Macht von Person zu Person übertragen werden kann. Dies mag innerparteilich funktionieren, weil der Kreis der entscheidungsbefugten Mitglieder und Delegierten überschaubar ist und die Mittel für deren Beeinflussung ausreichen. Der Sächsischen Union hilft dies aber nicht weiter. Wenn wir auch in Zukunft die bestimmende politische Kraft in Sachsen bleiben wollen, müssen wir den Wählern Menschen anbieten, die nicht nur die Parteimitglieder, sondern in erster Linie die Wähler überzeugen.

Generationswechsel bedeutet in diesem Zusammenhang nicht einfach nur die Hinwendung zum Jüngeren, sondern zu neuen, für zukünftige Fragestellungen richtigen politischen Antworten. Der Bürger stellt heute an die Politiker, zumal in einem weltoffenen Land wie Sachsen, weitergehende Anforderungen. Er will politische Köpfe, die nicht nur Sachkompetenz und Durchsetzungsfähigkeit ausstrahlen, sondern auch Moral und Anstand, Integrität und Glaubwürdigkeit verkörpern. Er will Politiker, denen er zutraut, anstehende Probleme zu lösen, und denen er vertrauen kann, daß sie für die Sache stehen und nicht für tagespolitischen Opportunismus und Beliebigkeit. Dies ist das Erfolgskonzept für die Sächsische Union.

Deshalb müssen wir unsere personellen Entscheidungen und Angebote auch daran ausrichten, dass unsere Kandidaten – neben ihrer Verpflichtung auf die Grundwerte unserer Partei – die notwendige innere Freiheit und Unabhängigkeit haben, eine faire, demokratische Auseinandersetzung zu suchen und auch im Falle einer Niederlage die weitere Zusammenarbeit nicht zu verweigern. Auseinandersetzung, auch Streit und die Wahl zwischen Alternativen sind wesentliche Merkmale einer freiheitlichen Demokratie. Konkurrenz von Ideen und Köpfen stärkt und belebt die Partei. Der Wettbewerb, den wir in Wirtschaft und Gesellschaft fordern, ist auch in der Sächsischen Union notwendig und wichtig. Dies muss in unserer Partei selbstverständlich bleiben und darf nicht zu Spaltung und Ausgrenzung führen. Der Wähler honoriert den Konsens nach einer ehrlich geführten Debatte. Ein erzwungener äußerer Konsens zur Vermeidung jeder Auseinandersetzung dagegen und ein fortgesetzter innerer Dissens überzeugen ihn nicht. Eine moderne Partei braucht auch eine Streitkultur, die um die besten Möglichkeiten ringt, aber die gemeinsamen Ziele nicht aus dem Blick verliert.

Richtige Antworten auf die Fragen des 21. Jahrhunderts zu geben, glaubwürdiges Personal für die Übernahme politischer Verantwortung anzubieten und mit ihm das Programm in die politische Praxis umzusetzen, ist Aufgabe der Sächsischen Union für die Zukunft.. Das erfordert von uns allen Solidarität, Offenheit und Disziplin, Toleranz und gegenseitige Achtung. Dann kann die Sächsische Union jene Überzeugungs- und Anziehungskraft behalten und zurückgewinnen, die sie braucht, um als moderne Volkspartei des 21. Jahrhunderts die Politik im Freistaat Sachsen maßgeblich zu gestalten.

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: