Karl Nolle, MdL

DIE WELT, 29.12.2001

Es läuft wie geschmiert

Bestechlichkeit und Vorteilsnahme kosten den Steuerzahler in Deutschland jährlich mehrere Milliarden Mark
 
Von Günther von Lojewski

Die Antikorruptionsorganisation Transparency International ist davon überzeugt: In Deutschland gebe es "einen wesentlichen Bereich der Korruption", und die Justiz sei dafür zu wenig sensibilisiert. Die traurige Bestätigung liefert nicht nur Berlins Noch-Justizsenator Wolfgang Wieland: Die Zahl der Verfahren wegen Bestechlichkeit und Vorteilsnahme habe sich seit 1995 mehr als verdoppelt, stellte er unlängst fest. Insbesondere im Baubereich, dem "Berliner System". Mit einer gut gemeinten Einschränkung verwies er darauf, dass die Korruption ein bundesweit akutes Problem ist. Denn, "die Berliner sind nicht korrupter als Verwaltungen anderswo", so der Grünen-Politiker.

Auch der Frankfurter Oberstaatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner, seit 14 Jahren in diesem Geschäft, hat "leider den Eindruck", dass in Deutschland "die Korruption zunimmt. Die Fantasie der Kriminellen ist enorm." Journalisten staunten nicht schlecht, als Schaupensteiner ihnen seine Asservatenkammer zeigte: Dort lagerten Kugelschreiber und Kameras, Uhren und Schmuck, teure Puppen und Modelleisenbahnen.

Schaupensteiner kennt auch die Preise, die die Freundschaft erhalten und die Türen öffnen: ein paar Mark für Standflächen auf dem Wochenmarkt, ein Hunderter für einen öffentlichen Reinigungsauftrag, zwei "Riesen" für einen Führerschein, Klasse drei. Für größere Deals gibt es dann Luxusreisen, Autos, Motoryachten oder wenigstens einmal eine Fuhre Heizöl frei Keller.

Zehn Milliarden Mark, schätzt Schaupensteiner, gehen dem Fiskus alljährlich allein in der Bauwirtschaft durch Korruption verloren. Im Baureferat der Stadt München haben zwei Angestellte penibel Buch geführt, der eine über 2,5 Millionen Mark, der andere über 700.000 - ehe sie wegen Untreue in 9013 beziehungsweise 9878 Fällen, wegen Bestechlichkeit und Steuerhinterziehung verurteilt wurden.

Dass alles "wie geschmiert läuft", ist in vielen Branchen längst kein Kompliment mehr. Ende Oktober klickten die Handschellen bei einem hohen Beamten der Deutschen Bahn, der in den vergangenen fünf Jahren als Einkaufsleiter mit "Bargeld und Sachzuwendungen" im Wert von 3,4 Millionen Mark bestochen worden sein soll. Von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften ist zu hören, dass immer mehr Unternehmen externe Aufklärer einsetzen, um gegen Korruption im eigenen Haus vorzugehen. Pricewaterhouse Coopers soll bei der Frankfurter Messegesellschaft einen internen Schaden von rund zwölf Millionen Mark festgestellt haben.

"Wir möchten ... Sie bitten, von jeglichen Geschenken an unsere Firma und einzelne Mitarbeiter ... abzusehen und auch keine Geschenke an die Privatadressen unserer Mitarbeiter zu senden", schreibt die Coburger Firma Kaeser Kompressoren unter der Betreffzeile "Weihnachten 2001" ihren Geschäftspartnern - und bedankt sich gleichzeitig für deren "Verständnis", dass sie selbst "im Sinne unserer guten Geschäftsbeziehung" für eine gute Sache spende. Das österreichische Unternehmen Bombardier Recreational Products bittet, "unsere Mitarbeiter nicht in Konflikte zu bringen".

Bei Behörden sieht es nicht besser aus: Polizisten lassen sich im Rotlichtmilieu verwöhnen; ranghohe Bedienstete im Strafvollzug werden verhaftet unter dem Verdacht, erpresst, genötigt und für Geld Beihilfe zur Gefangenenbefreiung geleistet zu haben; Postler klauen Briefe. Auch gemeinnützige Einrichtungen sind von unsauberen Geschäftspraktiken betroffen.

Die zunehmende Korruption in der öffentlichen Verwaltung korrespondiert mit einer dramatischeren Ebbe in öffentlichen Kassen. Wo immer sie leben, haben es die Bürger im Ohr. Mehr Kindergärten? "Kein Geld." Computer für alle Schulen? "Hat der Bundeskanzler versprochen, nicht wir." Wenn schon nicht breitere Straßen, dann wenigstens ein dichterer öffentlicher Nahverkehr? "Die Bahn kann nicht." Und Sportstätten, Altenheime? "Wir müssen sparen." "Wir" müssen sparen, weil alle Regierungen Jahrzehnte hindurch ihre jeweilige Klientel mit Wohltaten überzogen haben - und keine einzige bedenken wollte, dass alle Besitzstände zugleich nicht bezahlbar sind. Nun gehen Politiker bei "Sponsoren" Klinken putzen. Und öffnen damit der Korruption an anderer Stelle Tür und Tor. Ein Klettergerüst für den Kindergarten, ein Computer für die Schule, eine Spritze für die Feuerwehr, Trikots für den Verein: dies ist der Alltag vor Ort, wo "gespart" wird.

Niemand nimmt daran Anstoß. Im Gegenteil, Bürger wählen einen Politiker nicht zuletzt, weil er viele Menschen kennt, mehr Verbindungen hat als andere und diese zu vernetzen weiß. Die Graubereiche aber sind groß: Wer Arbeitsplätze schaffen will - wie Kurt Biedenkopf in Sachsen -, soll der etwa einen Investor ausschließen, nur weil er mit ihm persönlich befreundet ist? Oder Wolfgang Clement in Düsseldorf, soll der die Ansiedlung neuer Medien einstellen, da die mit öffentlichen Mitteln zugleich sein und seiner Partei Image polieren?

Dass aber die Sponsoren bei den Begünstigten eines Tages doch ihren Lohn einfordern, ist immerhin zu erwarten. Zunehmend verstricken sich ihre Interessen ineinander. Und mitunter erlaubt schon das Gesetz, bei der Ausweisung neuer Baugebiete von den Firmen Geld für Infrastrukturmaßnahmen zu verlangen. Dann erhält eben eine Gemeinde im Münchner Osten von einer Baufirma, für die ein Terrain wunschgemäß umgewidmet wird, eine "freiwillige Spende" über 150 000 Mark, und der bayerische Gemeindetag hält dieses Gebaren für nicht strafbar. Die Staatsanwaltschaft sah es im erwähnten Fall übrigens anders und erteilte eine Strafbefehl. Ein Muster, das in einigen Gemeinden Schule gemacht hat: Mal Auftrag, dann "Provision", mal umgekehrt ...

Die Räder werden immer größer, drehen schneller und schneller. Am Ende verschwimmt die Grenze zwischen öffentlichen und privaten Interessen, Gemeinnutz und gemeinsamen Nutzen, zwischen dem Wohl des Staatsganzen und dem von Gruppen oder Einzelpersonen. Und die Verführung wächst, Gewinne mitzunehmen. Schließlich sind auch Politiker nur Menschen.

Nicht ohne Grund bestimmt das Bürgerliche Gesetzbuch in Paragraf 181, dass niemand mit sich selbst Geschäfte machen darf. Denn wer dies tut, unterliegt keiner Kontrolle mehr, und mehr noch als in der freien Wirtschaft ist das im öffentlichen Leben unerträglich, wo es um öffentliche Mittel geht, das Geld der Bürger.

Darum wird es schon kritischer, wenn der freundliche Investor vom Staate Sachsen überhöhte Mieten kassiert, Kurt Biedenkopf selbst Personal aus Dresden mit ins Chiemgauer Wochenende nimmt oder mit Amtsbonus Rabatt herausschlägt. Kollege Reinhard Klimmt musste gehen, als er sich zum "Drücker" seines Saarbrücker Fußballklubs machte, die Kollegen Lothar Späth, Max Streibl und Gerhard Glogowski aus Stuttgart, München und Hannover, weil sie sich private Reisen "sponsern" ließen, der Bundeswirtschaftsminister Jürgen Möllemann, weil er mit amtlichem Briefkopf Geschäfte mit der Verwandtschaft empfahl.


Schlechte Beispiele verderben die Sitten. Im klammen Berlin wird die Senatorin Juliane Freifrau von Friesen bespöttelt als, "Freifrau von Reisen", die, wenn sie bald aus dem Amt scheidet, keine andere Spur hinterlassen hat als eine vergnügliche Tour nach Japan. "Da waren wir noch nicht, da müssen wir noch hin", rügt der Bund der Steuerzahler eine Reise zwölf bayerischer Volksvertreter, die sich über die "Modernisierung der Verwaltung" ausgerechnet in Kanada und den USA informieren mussten. Der Stadtrat des bayerischen Gersthofen genehmigt sich, samt Partnern und Referenten der Verwaltung, eine fünftägige Reise nach Wien, Ausflug ins Burgenland und Pferdewagenfahrt am Neusiedler See inklusive.

Der Sinnspruch "Geben ist seliger denn nehmen" bekommt vor dem Hintergrund wachsender Korruption eine gänzlich neue Bedeutung.

Korruption in der Sprache der Juristen

§ 331 Strafgesetzbuch: Vorteilsannahme

(1) Ein Amtsträger oder ein für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter, der für die Dienstausübung einen Vorteil für sich oder einen Dritten fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(...)

§ 332 Strafgesetzbuch: Bestechlichkeit

(1) Ein Amtsträger oder ein für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter, der einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er eine Diensthandlung vorgenommen hat oder künftig vornehme und dadurch seine Dienstpflichten verletzt hat oder verletzen würde, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Der Versuch ist strafbar.

(2) Ein Richter oder Schiedsrichter, der einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er eine richterliche Handlung vorgenommen hat oder künftig vornehme und dadurch seine richterlichen Pflichten verletzt hat oder verletzen würde, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(...)

§ 333 Strafgesetzbuch: Vorteilsgewährung

(1) Wer einem Amtsträger, einem für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten oder einem Soldaten der Bundeswehr für die Dienstausübung einen Vorteil für diesen oder einen Dritten anbietet, verspricht oder gewährt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(...)

§ 334 Strafgesetzbuch: Bestechung

(1) Wer einem Amtsträger, einem für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten oder einem Soldaten der Bundeswehr einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass er eine Diensthandlung vorgenommen hat oder künftig vornehme und dadurch seine Dienstpflichten verletzt hat oder verletzen würde, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe.

(...)

Karl Nolle im Webseitentest
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