Karl Nolle, MdL

Berliner Zeitung, 08.07.2012

Nach "Rennsteig" kam "Saphira"

 
Der Verfassungsschutzpräsident Fromm räumt die bislang verschwiegene Aktion gegen Thüringer Neonazis ein. Von mehreren V-Leuten lässt sich die Identität nun nicht mehr sicher klären.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat die Thüringer Neonaziszene deutlich stärker unterwandert als bislang bekannt. So wurden auch nach Abschluss der „Operation Rennsteig“ im Jahr 2003 weitere Neonazis aus dem Freistaat vom BfV als Spitzel rekrutiert. Anlass war eine Nachfolgeoperation von „Rennsteig“, die das BfV zusammen mit dem Thüringer Landesamt unter der Bezeichnung „Saphira“ 2003 startete.

Die gezielte Unterwanderung der Thüringer Neonazis durch den Verfassungsschutz ist von Brisanz, weil die mutmaßlichen Terroristen vom „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) aus dieser Szene stammen und von dort nach ihrem Abtauchen mit Geld und Waffen unterstützt worden waren.

Der scheidende BfV-Präsident Heinz Fromm hatte im nichtöffentlichen Teil seiner Befragung durch den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages am Donnerstag die Existenz der „Operation Saphira“ bestätigt, die das Bundesamt gemeinsam mit dem Thüringer Landesamt durchgeführt habe.

Demnach habe seine Behörde zwischen 2003 und 2005 rund 25 Neonazis angesprochen. In mindestens zwei Fällen sei die Werbung nach bisher un bestätigten Informationen erfolgreich gewesen. Einer der beiden V-Leute sei nach 2005 an das Erfurter LfV übergeben worden. Damit erhöht sich die Zahl der rechtsextremen V-Leute, die das BfV zwischen 1997 und 2005 in Thüringen führte, auf zehn.

Identität lässt sich nicht mehr zurückverfolgen

Die Identität all dieser Informanten lässt sich aber nicht mehr sicher nachvollziehen, weil im Bundesamt am 11. November vergangenen Jahres mehrere V-Mann-Akten vernichtet worden sind. Das BfV hatte zwar behauptet, aus der Rekonstruktion anderer Akten lasse sich die Identität der Spitzel feststellen. Auch Obleute des Bundestags-Untersuchungsausschusses, die im BfV Akten einsehen durften, hatten in dieser Woche ausgeschlossen, dass der Geheimdienst Informanten im NSU und dessen Unterstützerumfeld geführt habe.

Nach Informationen der Berliner Zeitung lässt sich diese Einschätzung aber nicht mehr halten. In mindestens einem Fall ist die Rekonstruktion des V-Mann-Vorgangs nicht mehr möglich. Dabei handelt es sich um den vermutlich aus Thüringen stammenden Spitzel „Tarif“, der unter anderem über die niedersächsische Naziszene berichtet haben soll.

Der Klarname von „Tarif“ wurde aus unbekannten Gründen nicht in den Quellencomputer des Dienstes eingetragen; da auch seine Fallakte nicht mehr existiert, gibt es kaum Möglichkeiten, seine Identität herauszubekommen. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass es sich bei „Tarif“ um einen der NSU-Unterstützer gehandelt haben könnte.

Auch in einem zweiten Fall hat der Verfassungsschutz womöglich einen NSU-Helfer als Quelle geführt. Anlass für diese Vermutung ist ein Vermerk des Verfassungsschutzes aus der zweiten Jahreshälfte 1998, der auch dem Untersuchungsausschuss vorliegt. Darin wird von einem Gespräch mit dem Thüringer Neonazi N. aus Jena berichtet, der laut einem BfV-Bericht vom 12. Dezember 2011 als Verbindungsmann zwischen dem NSU-Trio und der Jenaer Szene galt. In dem Gespräch habe sich N. kooperativ gezeigt und Informationen über die untergetauchten Neonazis Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe angeboten. Ob das Angebot angenommen wurde, bleibt unklar.

Mit welchem Aufwand das BfV seinerzeit die Unterwanderung der Thüringer Nazi-Szene betrieben hatte, war in der Befragung Fromms durch den Untersuchungsausschuss deutlich geworden. Demnach hatte Fromm gesagt, dass sein Bundesamt im Zuge der „Operation Rennsteig“ auch eine Tarnfirma in Thüringen betrieben habe. Diese Firma habe unter anderem der Steuerung von V-Leuten gedient. Unklar ist, ob darüber auch die Spitzel finanziert worden waren.

Von Andreas Förster

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: