Karl Nolle, MdL

zeit-online.de, 9:49 Uhr, 06.09.2012

Rücktritt: "Er will mir wehtun" Interview zum Rücktritt von Thomas Colditz (CDU), ehemals bildungspolitischer Sprecher der sächsischen CDU

 
Thomas Colditz war kein berühmter Politiker, aber einer aus Leidenschaft. Nun hat er hingeworfen. Ein Gespräch darüber, wie brutal Politik sein kann.

DIE ZEIT: Herr Colditz, Sie hatten einen Posten, der Ihnen wichtig war. Sie waren bildungspolitischer Sprecher der sächsischen CDU. Ihren Rücktritt hat die Fraktion nachts um 21.39 Uhr bekannt gegeben – warum zu so später Stunde?

Thomas Colditz: Ich habe lange über meine Entscheidung gegrübelt, am Ende aber sehr kurzfristig die Kraft aufgebracht, zu sagen: Es reicht. Ich kann nicht mehr. Deshalb habe ich meinem Fraktionsvorsitzenden Steffen Flath am Freitagnachmittag in einer Mail mitgeteilt, dass das, was hier passiert, für mich persönliche und gesundheitliche Belastungen bedeutet, die ich leid bin. Mein Herzblut hängt an der Bildungspolitik, ich bin seit 1990 dabei. Aber wenn man nicht ernst genommen wird, ignoriert wird, öffentlich erniedrigt wird, dann muss man die Notbremse ziehen.

ZEIT: Gib es Menschen, die Sie jetzt aufbauen?

Colditz: Ich habe unheimlich viele Mails und Anrufe bekommen. Das ging mir richtig an die Nieren und war mir fast ein bisschen peinlich. Ich habe mich furchtbar gefreut. Aber gleichzeitig schuldig gefühlt, all die Hoffnungen zu enttäuschen, die offenbar in mich gesetzt wurden. Es wird nicht leicht für mich, nur noch Zuschauer zu sein in einem Bereich, den ich seit zwei Jahrzehnten begleitet habe. Aber der Rücktritt ist eine Befreiung.

ZEIT: Die harten Auseinandersetzungen der vergangenen Monate um Sachsens Schulpolitik haben Ihnen zugesetzt.

Colditz: Ja, vor allem psychisch. Ich habe zunehmend gespürt, dass ich in Debatten die Beherrschung verliere. Das gehört zwar zu meiner Mentalität, ich bin ein aufbrausender Mensch. Aber es wurde immer schlimmer. Ich leide an völliger Erschöpfung. Es ist kein Burn-out. Aber das Gefühl, grundlegend ausgelaugt zu sein, ist es schon. Das hat eine Ursache: dass ich Kämpfe um eine bessere Schule führe, obwohl das von meiner Fraktion nicht gewollt ist. Wenn man Tag und Nacht arbeitet, aber mit seinem Fachwissen kein Gehör mehr findet – dann gerät man als Politiker an die Grenzen der Belastbarkeit. Man braucht Wertschätzung. Die erlebe ich nicht, auch nicht vom Fraktionschef.

Thomas Colditz, 55, war bislang bildungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion in Sachsens Parlament. Er bleibt Mirglied des Landtages.

ZEIT: Wann haben Sie erstmals gespürt, dass der Druck, der auf Ihnen lastet, zu groß wird?

Colditz: Im Frühjahr dieses Jahres: Ich fuhr durch die Stadt, vor mir hielt ein Auto an der Ampel. Ich nahm das bewusst wahr – und habe trotzdem nicht gebremst. Auffahrunfall, ein großer Schreck. Ich weiß noch genau, was ich in diesen Sekunden gedacht habe: Es war die Zeit, in der der Kultusminister zurückgetreten ist, darüber habe ich gegrübelt. Der Unfall war ein Signal, fast eine Rettung: Achtung, du überschreitest die Grenze deiner Belastbarkeit. Du übernimmst dich. Beim nächsten Mal passiert dir das auf der Autobahn, dann stehst du nicht mehr auf.

ZEIT: Wird in der Politik mit zu harten Bandagen gekämpft?

Colditz: Ja, und das wird immer schlimmer. Natürlich habe auch ich ordentlich ausgeteilt in all den Jahren. Aber man darf die Grenzen des Anstands nicht überschreiten. Steffen Flath hat jetzt gesagt: Rücktritte gehören zum Geschäft. Das war ein harter Satz für mich. Ich habe in den vergangenen Wochen auch Anfeindungen erlebt, die man von der Opposition erwarten würde, aber nicht aus den eigenen Reihen. Wenn die Opposition einen besser behandelt als die eigenen Leute es tun, fragt man sich: Ist das ein neuer Politikstil, diese Brutalität?

ZEIT: Es heißt, Sie hätten Steffen Flath, einen besonnenen Mann, aus der Fassung gebracht.

Colditz: Er hat eine stoische Ruhe. Die neide ich ihm manchmal. Ich bin mitunter ein Choleriker, auch ein nerviger Typ. Aber Menschen, die immer nur leise sind, werden mir auch schnell unheimlich. Ein Fraktionsvorsitzender hat eigentlich große Macht. Er könnte ein Gegengewicht zum Ministerpräsidenten sein. Er könnte ihm Grenzen aufzeigen. Flath tut das nicht. Die Fraktion ist zur bloßen Erfüllungsgehilfin der Regierung geworden. Es gibt keine Streitkultur mehr! Steffen Flaths Aufgabe ist es, die Fraktion ruhig zu halten, den tollen Koalitionsfrieden zu bewahren. Dabei gefährden nicht wir den Koalitionsfrieden, sondern die FDP, der Koalitionspartner, tut es. Wir wehren uns aber nicht. Am Tag vor ihrer Vereidigung hat Brunhild Kurth, die neue Kultusministerin, zu mir gesagt: »Mit Politik, Herr Colditz, will ich gar nichts zu tun haben. Ich bin Fachfrau.« Ein Satz, der mich vom Stuhl gehauen hat. Wie soll man da zusammenarbeiten?

ZEIT: Brunhild Kurth ist die Nachfolgerin Roland Wöllers, des CDU-Ministers, der im März zurückgetreten ist. Nun geben Sie auf. Die Union hat ihre wichtigsten Bildungspolitiker verloren.

Colditz: Die Bildungspolitik der CDU ist in der Krise. Die FDP treibt uns vor sich her. Mit ihrem unbedingten Willen, die Mittelschule in eine »Oberschule« umzuwandeln, ohne das tatsächliche Problem zu lösen – den Lehrermangel. Ein verzweifelter kleiner Koalitionspartner will sich profilieren, und wir gebieten dem keinen Einhalt! Wir wollen groß »Oberschule« über den Eingang der Mittelschulen schreiben, aber drinnen fehlen immer noch die Lehrkräfte. Ich weigere mich, so einen Etikettenschwindel mit zu verantworten. Was die FDP versucht, ist ein Projekt für Hochglanzbroschüren. Ein Vergehen am Wähler.

ZEIT: War der Streit um die Oberschule wirklich einen Rücktritt wert?

Colditz: Er war ja nur der Auslöser. Ich muss die Oberschule nicht um jeden Preis verhindern. Wenn es denn so sein soll, dass wir die Mittelschule umbenennen – in Gottes Namen, es steht ja im Koalitionsvertrag. Soll die FDP ihren Käse bekommen. Qualitativ hat das für mich eine ähnliche Wertigkeit wie die Öffnung der Waschanlagen am Sonntag. Ich habe aber etwas gegen die Symbolpolitik. Wir etikettieren um, aber wir gehen die Probleme nicht an: dass hier junge Lateinlehrer vor meiner Tür stehen, die wir nicht einstellen, obwohl wir sie dringend bräuchten!

ZEIT: Ist Holger Zastrow ein Populist?

Colditz: Holger Zastrow ist ein Populist, ja. Es geht ihm nicht um Schulpolitik. Es geht ihm um den schnöden Machterhalt. Er will sich über Wasser halten. Deshalb kämpft er für die Oberschule, sein Prestigeprojekt. Da wird er auf einen uneinsichtigen schulpolitischen Sprecher der Union keine Rücksicht nehmen. Wenn Zastrow sagt, die Sonne geht ab sofort im Norden auf, dann ist es so! Das ist Arroganz. Mit Holger Zastrow habe ich mittlerweile ein menschliches Problem. Er will mir wehtun. Er will mich demütigen.

ZEIT: Hat er das geschafft?

Colditz: Ja, das hat er erreicht, er hat mich gedemütigt. Das kann er abhaken auf seiner Liste. Der Rücktritt ist eine Demütigung für mich.

ZEIT: Warum, glauben Sie, handelt Zastrow so?

Colditz: Ich kann diese Strategie aus seiner Sicht verstehen. Er kann sich eine schwache CDU, wie wir sie sind, nur wünschen. Da darf er mit Plattitüden punkten, alles Mögliche als Erfolg verkaufen. Die CDU setzt brav um, was er fordert – aus Angst vor dem Ende der Koalition. Und wenn etwas schiefgeht, war die CDU schuld. Die FDP-Leute sichern ihre Pfründen. Wir Christdemokraten müssen uns vor Augen führen, wohin das führt: ins Desaster. Das, was die FDP treibt, wird der CDU auf die Füße fallen. Da sehne ich mich nach Schwarz-Rot zurück.

ZEIT: Warum?

Colditz: Es war zwar politisch viel schwieriger, da ging es oft hart auf hart. Aber alle handelten mit Fachkompetenz. Da wusste eine Eva-Maria Stange, wovon sie spricht. Wir haben uns in einen Raum gesperrt und am Ende einen Kompromiss gefunden. Da gab es keine Verlierer und Gewinner. Heute will die FDP immer Gewinnerin sein. Später, zur Wahl, werden die Leute nicht differenzieren und sagen: »Na, da hat die FDP aber Mist gebaut.« Nein: Der Ministerpräsident war von der CDU. Also ist die CDU schuld. Wir werden die Quittung kassieren, während die FDP skrupellos sich selbst rettet. Denen ist diese Koalition egal.

ZEIT: Könnte die Schulpolitik am Ende die Schuld daran tragen, dass Schwarz-Gelb die Wahl im Jahr 2014 nicht überlebt?

Colditz: Definitiv! Die Leute erwarten, dass Schule funktioniert. Dafür wird uns Politiker auch niemand loben, da können Sie noch so viele Pisastudien und Bildungsmonitore gewinnen. Schule hat stattzufinden, aus. Solange das klappt, sind die Leute zufrieden. Wenn der Unterricht ausfällt, wird es kritisch. Dann werden Sie abgewählt. Und deshalb verstehe ich nicht, dass Stanislaw Tillich ein so wichtiges Thema nicht zur Chefsache macht. Er versteckt sich hinter seinen Ministern, damit nichts auf ihn zurückfallen kann. Wenn um Geld für die Schule gestritten wird, kann ein Kultusminister aber gegen den Finanzminister nur verlieren! Da muss Tillich doch mal ein Machtwort sprechen, er hat die Richtlinienkompetenz. Stattdessen machen wir Finanzpolitik, als ginge morgen die Welt unter. Strategisches Denken gibt es nicht mehr. Das betrifft nicht nur die Bildung.

ZEIT: Die Wahlergebnisse der Union in Sachsen können sich immer noch sehen lassen.

Colditz: Es ist aber keine Selbstverständlichkeit mehr, dass in Sachsen die CDU regiert. Unter Biedenkopf hatten wir 55 oder 56 Prozent. Unter Tillich stehen wir bei 42 Prozent. Lassen Sie uns noch mal um drei, vier, fünf Prozentpunkte absacken – dann war’s das! Plötzlich ist die CDU nicht mehr in der Verantwortung. Die Ansage der Opposition lautet: Weg mit der Union. Es werden bei den kommenden Wahlen die Freien Wähler antreten. Keiner kann den Erfolg der Piraten vorhersagen. Rot-Rot oder Rot-Rot-Grün sind nur zwei Möglichkeiten.
ZEIT: Waren Sie zu sehr der Einzelkämpfer?

Colditz: Ich gebe mir in zweifacher Hinsicht persönliche Schuld. Erstens: Wir hätten in der Vergangenheit viel stärker den Lehrerbedarf thematisieren sollen. Da waren wir alle, auch ich selbst, zu wenig hartnäckig – das Problem hätte so groß nicht werden müssen. Und dann ist da die zweite Ebene: dass ich meine eigenen Leute nicht mehr mitnehmen konnte. Demokratie lebt von Mehrheiten, auch innerhalb einer Fraktion. Ich habe diese Mehrheiten nicht mehr gefunden. Ich habe die Zustimmung nicht gefunden. Für mich ist das eine persönliche Niederlage. Es ist mir zuletzt nicht mehr gelungen, Bündnisse zu schmieden.

ZEIT: Wie lange kann sich ein Abgeordneter eine eigene, unbequeme Haltung leisten?

Colditz: Er sollte sie sich immer leisten, das würde ich jungen Leuten auch heute noch raten – aber es ist schwer, dabei zu bleiben. Ich weiß nicht, warum ich das so lange ertragen habe. Wahrscheinlich, weil ich die Schule liebe, weil ich die Sache liebe, weil ich meinen Beruf liebe. Das war für mich immer der Motor. Was ich zurückbekommen habe, waren Ablehnung und Ignoranz. Daran geht man zugrunde. Jetzt muss ich loslassen, das wird schwer genug. Im Moment fühle ich mich wie nach einem Trauerfall, man steht am Grab, es ist furchtbar. Dann geht man heim und kommt zur Ruhe. Da holt einen die eigentliche Trauer ein. Langsam spüre ich, dass ich gerade eine Lebensaufgabe abgegeben habe.

Von: Martin Machowecz
Mitarbeit: Anne Hähnig

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