Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 22.11.2012

Wie AMD Dresdens größte Fabrik baute und heimlich verschwand

 
Amerikaner legten den Grundstein für das Mikrochipwerk mit heute 3800 Mitarbeitern. Doch nun hat der Konzern sein letztes Büro geschlossen.

Amerikaner lieben das Risiko, und sie kaufen ihr Baugrundstück im Dresdner Norden gleich auf Zuwachs. Doch ein bisschen unsicher sind die Manager des Mikrochip-Fabrikanten AMD schon, als sie 1995 ihre Milliarden-Investition für Sachsen beschließen. Leben dort nicht die Kommunisten? Gibt es wenigstens Zahnärzte? Sicherheitshalber machen sie „Exkursionen durch Krankenhäuser“, sagt Hans-Joachim Lüdeck. Er war der Dresdner Mitarbeiter Nummer1 des US-Konzerns und spürte, dass die Amerikaner Ostdeutschland für etwas zurückgeblieben hielten.

Doch Lüdeck hatte schon in den USA gearbeitet und brauchte nicht mehr das „interkulturelle Training“, mit dem Amerikaner und Ostdeutsche miteinander bekanntgemacht wurden. Die ersten 250 deutschen Mitarbeiter wurden in der AMD-Fabrik in Austin, Texas, geschult – und nach ein paar Monaten wollte man sie gar nicht mehr gehen lassen. Lüdeck kümmerte sich inzwischen als oberster „Facility Manager“ um die Baustelle in Dresden. Schließlich hatte Konzernchef Jerry Sanders begeistert mit den Händen in die gefrorene Erde am Stadtrand gegriffen und beschlossen, dort die erste AMD-Fabrik außerhalb der USA zu bauen. Eine Fabrik mit E-Werk, mit Leitungen für Chemikalien und Gase und mit Abwasser-Aufbereitung.

Abu Dhabi will eigene Fabrik

Im Oktober 1996 war Spatenstich für die Chipfabrik von AMD – eine Fabrik, die seitdem mehrfach erweitert wurde und heute rund 3800 Menschen beschäftigt. Ihr Mitarbeiter Nummer1 ist inzwischen Rentner, aber er arbeitet schon am nächsten Reinraum: Diese Woche ist der 68-jährige Lüdeck in Moskau als Berater für ein anderes Unternehmen, voriges Jahr hat er Monate im heißen Abu Dhabi verbracht. Denn dort in der Heimat der jetzigen Besitzer der Dresdner Fabrik soll irgendwann noch ein Chipwerk entstehen.

Die Herrscher von Abu Dhabi besitzen seit 2009 die Fabriken des AMD-Konzerns – seitdem sind die Amerikaner nur noch Kunden, die dort Mikrochips produzieren lassen und auch andere Kunden dulden müssen. Unter dem Namen Globalfoundries, weltweite Fabriken, betreiben die Araber auch Chipwerke in Singapur und demnächst im US-Staat New York. Dort gab es allerdings Verzögerungen beim Bau, und die geplante Fabrik in Abu Dhabi wurde zurückgestellt.

Der Betrieb in Abu Dhabi wird aber gebaut, urteilt Berater Lüdeck. Ein anderer Experte hält dieses Projekt aber für „extrem schwer“: Martin Gillo, Ex-Personalchef bei AMD in Dresden und danach sächsischer Wirtschaftsminister, weist auf die große Zahl nötiger Fachkräfte für ein solches Werk hin. Dresden bekam wegen seiner Experten mit Halbleiter-Erfahrung die Riesen-Chipfabrik. Abu Dhabi hat erst begonnen, mit Dresdner Hilfe Einzelne auszubilden.

Die Menschen waren es, die den Ausschlag für die Investition in Dresden gaben – das hat AMD-Chef Sanders immer wieder betont, und Gillo war dabei und bestätigt es. Der heutige Ausländerbeauftragte Sachsens wurde damals als AMD-Personalexperte mit einem Gutachten über den Standort beauftragt. Gillo brachte AMD-Leute mit den Managern der F6-Cigarettenfabrik in Dresden zusammen, die damals schon einem US-Konzern gehörte.

Gillo präsentierte den zögernden Amerikanern beim Stadtbummel ein Plakat, das der Druckerei-Unternehmer und SPD-Politiker Karl Nolle finanziert hatte. Das Plakat zum Jahrestag der Bombardierung Dresdens zeigte den Besuchern, dass die Deutschen die Schuld an Krieg und Zerstörung nicht den Amerikanern gaben. „Das war ein wichtiger emotionaler Punkt“, sagt Gillo.

Den Ausschlag für die neue Chipfabrik in Dresden aber gab „die erfolgreiche Industriepolitik von Kurt Biedenkopf“. Der Ministerpräsident gab sich nicht mit der gerade eröffneten Chipfabrik der Siemens-Tochter Infineon zufrieden, sondern flog um eine zweite werbend zu AMD. Siemens hatte ihm signalisiert, das sei eine gute Firma.

Der Aufbau war technisch schwierig, trotz des flut- und erdbebensicheren Standortes beim Flughafen: Laut Bauleiter Lüdeck war der erste Winter hart, der Boden tief gefroren, sodass alles zum Stillstand kam. Außerdem kürzten die Amerikaner ihre Pläne, wollten bald aber wieder anbauen. Die Folge: Bei laufendem Betrieb musste ein staubfreier Raum auf dem Maschinenhaus errichtet werden. Lüdeck ließ durch Dach und Bodenplatte bis auf den Fels bohren und Säulen gießen. „Da haben viele von uns Blut und Wasser geschwitzt.“

Sieben Jahre nach dem Baustart der ersten Fabrik begann AMD die zweite nebenan, mit der moderneren 300-Millimeter-Technik. also mit größeren Siliziumscheiben für noch mehr Chips auf einmal. Die ältere Fabrik wurde modernisiert.

Doch mit dem Verkauf der Fabrik an Globalfoundries begann der Rückzug von AMD. Zunächst blieben die Amerikaner beteiligt am Unternehmen, dann überließen sie es Abu Dhabi ganz. In Dresden montierten sie ihr Firmenschild ab und brachten es auf eine Büroetage am Waldschlösschen. 23 AMD-Chipexperten forschten dort am Zusammenspiel von Chips und Software der nächsten fünf Jahre.

Doch nun hat sich AMD ganz aus Dresden zurückgezogen. Auf einer Fachmesse in Barcelona sprach sich herum, dass das letzte Büro in Sachsen geschlossen werde. Eine Sprecherin bestätigte es von Italien aus – als Teil eines weltweiten Sparprogramm, so Anna Carzana. Die Stärke des Standorts Dresden sei unbestritten, sagte sie. AMD werde weiter einen großen Teil seiner Mikroprozessoren dort herstellen lassen.

Von Georg Moeritz

Karl Nolle im Webseitentest
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