Karl Nolle, MdL

Tageszeitung junge Welt, 29.12.2012

»Der Dilettantismus ist atemberaubend«

 
Gespräch mit Klaus Bartl. Über die Kriminalisierung antifaschistischer Proteste – und auch seiner Person, das Wegschauen der Behörden bezüglich des NSU-Terrors und den »Sachsensumpf«-Skanda von Markus Bernhardt

Klaus Bartl ist rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Sächsischen Landtag und deren stellvertretender Vorsitzender. Der Landtagsabgeordnete ist außerdem Vorsitzender des 2. Parlamentarischen Untersuchungsauschusses zu kriminellen und korruptiven Netzwerken in Sachsen sowie stellvertretender Vorsitzender des 3. Untersuchungsausschusses zu den neonazistischen Terrornetzwerken in Sachsen. Informationen: www.klausbartl.de

Ihnen wird seitens der sächsischen Staatsanwaltschaft vorgeworfen, sich im Februar 2011 an Massenblockaden in Dresden beteiligt zu haben, mittels derer ein Aufmarsch von Neofaschisten verhindert worden war. Was genau wirft die Staatsanwaltschaft Ihnen vor?

Vorgeworfen wird mir, wenngleich bislang lediglich im Rahmen des entsprechenden Vorverfahrens zur Aufhebung meiner Immunität als Abgeordneter des Sächsischen Landtages, daß ich mich am 19.2.2011 zwischen 14.15 und 15.30 Uhr an der Blockade eines nicht verbotenen Aufzuges auf der Kreuzung Fritz-Löffler-Straße/Reichenbachstraße in Dresden beteiligt habe. Dies gemeinsam mit bis zu 1 700 Personen. Bei dem Anmelder dieses Aufzuges handelt es sich um einen ausgewiesenen Vertreter der sächsischen Neonaziszene, dem nach Aktenlage Vertreter der hiesigen NPD-Landtagsfraktion assistierten.

Vorgeworfen wird mir im übrigen auch, in eine »Aufenthaltsverbotszone vorgedrungen zu sein«. Das halte ich allein schon deshalb für abstrus, da auf meinem Landtagsausweis mit Bindungswirkung die Weisung aufgedruckt ist, mir »bei polizeilichen Absperrungen ungehinderten Durchlaß zu gewähren« und »ggf. Schutz und Hilfe zuteil werden zu lassen«.

Wenn die damals eingesetzte Polizei offenbar keinerlei Probleme mit Ihrem Protest hatte, warum geht die Staatsanwaltschaft dann jetzt gegen Sie vor?

Das ist ja die Seltsamkeit dieses Spielchens: Zum einen gerieren sich die Großköpfigsten in der sächsischen Regierung vom Ministerpräsidenten, über den Innenminister bis zum Justizminister und die Führung der Staatsanwaltschaft und der Polizei dahingehend, daß friedlicher Protest gegen Aufmärsche von Neonazis quasi zivilgesellschaftlich geschuldet ist. Das darf ja auch angesichts des Hypes, der jetzt um das NPD-Verbot läuft, erwartet werden. De facto wird aber gegen jede und jeden, den man im Kreise von Menschen, die sich Nazis friedlich in den Weg stellen, ausmachen kann, mit zeit- und kostenaufwendigen, feinziselierten Strafverfahren reagiert.

Ein Prozeß gegen Ihren Fraktionskollegen Andrè Hahn, der ebenfalls wegen zurückliegender antifaschistischer Proteste angeklagt worden war und den Sie als Rechtsanwalt verteidigt haben, wurde erst kürzlich vom Amtsgericht Dresden eingestellt. Warum geht die Behörde nach dieser Schlappe trotzdem gegen Sie und andere Abgeordnete Ihrer Fraktion erneut juristisch vor?

Die alte Volksweisheit, wonach Schaden klug macht, gilt für die Dresdner Staatsanwaltschaft offensichtlich nicht. Der konstruierte Vorwurf der Rädelsführerschaft gegen André Hahn und die drei anderen Vorsitzenden der Landtagsfraktion meiner Partei aus Thüringen und Hessen, bezogen auf den 13. Februar 2010, ist nun wahrlich zu einer klassischen Bauchlandung geraten. Nichtsdestoweniger wird erneut mit einem ungeheuren Personal- und Kostenaufwand forsch-deutsch nachgesetzt. Meine Akte hat schon im jetzigen Stadium über 250 Seiten. Offensichtlich soll wenigstens bezogen auf den 19. Februar 2011 in Dresden ein Exempel statuiert werden.

Während die sächsischen Behörden engagiert gegen Nazigegner vorgehen, konnten die militanten Faschisten – Stichwort »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) – in Sachsen ungestört agieren. Wie ist die Bevölkerung in Ihrem Wahlkreis Chemnitz mit den Enthüllungen umgegangen?

Das ist ja das Ungeheuerliche: Inzwischen ist klar, daß in der Vergangenheit zu den nazistischen Marschierern in Dresden und anderenorts auch Bönhardt, Zschäpe und Mundlos sowie namentlich längst bekannte Unterstützer dieser militanten faschistischen Verbrecher gehörten. Dennoch setzen die sächsischen Behörden borniert und unbeirrt die Strafverfolgung gegen jene fort, die das seit Jahren aufhalten und dem Spuk ein Ende machen wollen.

Was die Aufarbeitung des Wirkens des NSU in Chemnitz angeht, stehen wir, das sage ich auch als stellvertretender Vorsitzender des zuständigen Untersuchungsausschusses im jetzigen Landtag, noch fast gänzlich am Anfang. Als Fakt steht jedoch fest: Die drei sind Ende der 1990er Jahre nach den vorbereiteten Sprengstoffanschlägen in Thüringen nicht ohne Grund in Chemnitz abgetaucht. Hier, wo am intensivsten an der Herstellung und Verbreitung von Nazimusik gearbeitet wird, fanden sie offensichtlich ein funktionierendes Unterstützerumfeld. Mir scheint auch noch gar nicht so recht ins Bewußtsein der meisten Chemnitzer gerückt zu sein, was es bedeutet, daß sich der NSU unter anderem durch die acht bewaffneten Bank- und Raubüberfälle allein in Chemnitz für seine Mordfeldzüge quer durch Deutschland auf- und ausrüstete. Da wird noch vieles in den Köpfen geradezurücken sein.

Haben wir es in Sachen NSU mit gezieltem Wegschauen, Fördern oder Pannen der sächsischen Sicherheitsbehörden zu tun?

Inzwischen wissen wir aus den in Hülle und Fülle beigezogenen Akten, aus der Vernehmung erster Zeugen, darunter auch solchen, die innerhalb der zuständigen sächsischen Sicherheits- und Justizbehörden in herausgehobener Stellung waren, sowie aus eigenen Recherchen mit Unterstützung von Menschen, die sich seit Jahr und Tag mit den Strukturen der extremen Rechten befassen, daß der Dilettantismus, mit dem über weit mehr als ein Jahrzehnt auf schwerste, auch lokal in Sachsen konzentrierte Straftaten des NSU reagiert wurde, atemberaubend ist.

Mag sein, daß seinerzeit der Entwicklungsstand und das Instrumentarium nachrichtendienstlicher wie polizeipräventiver strafprozessualer Beobachtungs- und Untersuchungsmaßnahmen noch nicht ganz so fortgeschritten war wie heute. Schließlich hat der Bundesgesetzgeber ja auch ständig im Hang, die Frage des realen Terrorismus zu nutzen, um den Überwachungsstaat zu installieren, nachgerüstet.

Für mich aber ist Fakt: Wenn man nur im Prozentbereich mit einer derartigen Konzentration, Abstimmung, Intensität und Brachialität das ganze repressive Instrumentarium zur Anwendung gebracht hätte, von der geheimen Überwachung der Telekommunikation, auch der inzwischen berühmt-berüchtigten Funkzellenabfrage, der Observation, der Zielwahlsuche, dem Einsatz vom IMSI-Catchern, wie dies im Umfeld des 13. bis 19. Februar 2011 in Dresden gegen Nazigegner geschah, wäre man diesen NSU-Naziterroristen und ihrer Vernetzungslinien in die verschiedensten Strukturen der extremen Rechten in Sachsen wie bundesweit viel eher auf die Spur gekommen.

Die Ahnungslosigkeit, mit der beispielsweise der inzwischen langjährige Vizepräsident des Sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Olaf Vahrenhold, in seiner in der Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses vom 17. Dezember 2012 begonnenen Vernehmung hintrat und erklärte, man habe halt voneinander zu wenig gewußt, es sei versäumt worden, ein einheitliches Lagebild zu erstellen, macht einen schlicht fassungslos.

Das ist nicht glaubhaft, wenn man um die Dichte und Intensität nachrichtendienstlichen und polizeilichen Zusammenwirkens spätestens seit dem 11. September 2001 in anderen Zusammenhängen vermeintlicher Terrorismusbekämpfung oder Aufklärung organisierter Kriminalität weiß. Gezieltes Wegschauen, bewußte Ignoranz, bewußtes Übergehen und Totschweigen von Erkenntnissen struktureller Gewalt in der sächsischen Neonaziszene war eine der wesentlichsten Ursachen und begünstigenden Bedingungen, also ein Förderrahmen für das jahrzehntelange ungestörte verbrecherische Agieren des NSU. Das steht für mich spätestens seit der Anfang November erfolgten Vernehmung des Zeugen Bernd Merbitz vor dem 3. Untersuchungsausschuß fest. Merbitz, noch bis vor kurzem Landespolizeipräsident, inzwischen in machtpolitischen Zusammenhängen, die einer eigenen Erörterung wert wären, zum Stadtpolizeipräsidenten von Leipzig degradiert, hat im Ausschuß bekundet, daß er schon in den 90er Jahren als seinerzeitiger Mitgründer und Chef der Sonderkommission ­SOKOREX Sachsen sowie auch Leiter des Dezernates Staatsschutz im Landeskriminalamt aufgefordert war, vor dem Bundestagsinnenausschuß zu eben den Erkenntnissen von Gewaltstrukturen in der sächsischen Neonaziszene zu berichten. Dies ist ihm durch unmittelbare Vorgesetzte, die auch nach meiner Überzeugung nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf Order aus höheren Kreisen der Regierung handelten, untersagt worden. Wer alles mitpaktierte und aus welchen Motiven, wird vom Ausschuß noch aufzuklären sein.

Die beste Konsequenz daraus wäre dann die umgehende Auflösung der Inlandsgeheimdienste?

Ob der sächsische Verfassungsschutz oder andere Geheimdienste mithalfen, Merbitz und andere um tatsächliche Aufklärung der Neonaziszene bemühte Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden an die Kette zu legen, liegt noch im dunkeln. Fakt ist, daß sämtliche Geheimdienststrukturen, die qua Amt dafür da sind, derartige ungeheuerliche Verbrechensserien wie die des NSU frühzeitig aufzuklären bzw. verhindern zu helfen, eklatant und unentschuldbar versagt haben. Daß es das Landesamt für Verfassungsschutz gab, war in keiner Weise für Bönhardt, Zschäpe und Co. ein Hindernis oder besonderes Risiko. Ich vermag auch bislang nicht zu erkennen, wann, wo und in welcher Weise die Existenz des sächsischen Verfassungsschutzamtes für die Verhinderung auch niederschwelligerer Gesinnungsdelikte aus dem Bereich der extremen Rechten von Nutzen gewesen wäre. Woraus also soll die weitere Existenzberechtigung der Inlandsgeheimdienste resultieren?

Wie erklären Sie sich eigentlich, daß der Ermittlungseifer der sächsischen Verfolgungsbehörden immer dann höchst überdurchschnittlich zu sein scheint, wenn es gegen renommierte Oppositionspolitiker geht?

Das hiesige politische Establishment mag es nicht besonders, wenn man als Oppositionspolitiker genau das tut, wozu man von Verfassungs wegen da ist: nämlich den Regierenden auf die Finger zu schauen und Verantwortung und Verantwortlichkeit für gravierendste Fehlentwicklungen, die auf dem Buckel des sprichwörtlich gemeinen Bürgers ausgetragen werden, namhaft zu machen. Ich denke da zum Beispiel an die Milliardenschäden, die nach meiner Überzeugung auch Politiker in herausgehobensten Funktionen im Zusammenhang mit dem Crash der Sächsischen Landesbank zu verantworten haben und die noch über zig Jahre Investitionen und dringend notwendige Politik zugunsten von Bildung und sozialem Ausgleich verhindern werden. Und da spricht wenigstens der böse Anschein dafür, daß bestimmte Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden in Sachsen mit teils für eigene Karrieren höchst vorteilhaftem vorauseilendem Gehorsam sich jenen zuwenden, die sich zu weit aus dem Fenster lehnen.

Nicht nur Sie und Ihr früherer Fraktionsvorsitzender André Hahn waren in der jüngsten Zeit Ziel von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Ich erinnere mich etwa an das höchst fragwürdige Vorgehen der Behörden gegen den SPD-Landtagsabgeordneten Karl Nolle, einem engagierten Kritiker des CDU-Filzes in Sachsen …

Ja, Karl Nolle ist ein Beispiel dafür, daß selbst Menschen, die wie er demokratische Strukturen in der alten Bundesrepublik und zu Beginn der 90er Jahre im Freistaat Sachsen mit herausgehoben Engagement mitaufgebaut haben, buchstäblich zum konzertierten Abschuß freigegeben sind, wenn sie sich allzu weit in punkto Kritik des allgegenwärtigen, inzwischen CDU und liberalen Filzes in Sachsen vorwagen. Ich bedaure es auch aus enger menschlicher Verbundenheit in höchstem Maße, daß Karl Nolle dadurch auch gesundheitlich Schaden genommen hat. Mundtot aber wird man weder ihn noch andere Demokraten kriegen.

Sind es Mitglieder bzw. Freunde der in den 1990er Jahren aktiven kriminellen Netzwerke, die erst 2007 unter dem Stichwort »Sachsensumpf« bekannt wurden, die ganz offensichtlich mit aller Macht gegen unliebsame Kritiker vorgehen?
Der Komplex »Sachsensumpf« ist unverändert ein eigenständiges sächsisches Phänomen, das hartnäckige Aufklärung verdient. Man muß neidlos anerkennen, daß es der seinerzeit noch unter der Präsidentschaft von Georg Milbradt stehenden sächsischen CDU-Regierung gelungen ist, ein bemerkenswert konzertiertes Szenario zu entwerfen und durchzupauken, unter dessen Wirkung letztlich die zu Kriminellen und Rechtsbrechern abgestempelt wurden, die nach meiner Überzeugung ehrbar und gesetzestreu im damaligen Referat Organisierte Kriminalität des Verfassungsschutzes in den Jahren 2003 bis Mai 2006, als es zu dessen plötzlicher Auflösung kam, komplexe Strukturen der sogenannten Weiße-Kragen-Kriminalität offenlegen wollten. Zur Zielscheibe gerieten neben in diesen Komplexen agierenden Verfassungsschützern und ermittelnden Kriminalisten und Staatsanwälten auch Journalisten, die dem vitalen Interesse der Öffentlichkeit an der Aufklärung dieser Vorgänge gerecht werden wollten.

Sie leiten bereits in der zweiten Legislaturperiode den Parlamentarischen Untersuchungsausschuß, der Licht ins Dunkel des »Sachsensumpfes« – also in die Verstrickungen von sächsischen Politikern, Juristen und Polizeibeamten in Kinderprostitution, dubiose Immobiliengeschäfte und sogar Mordanschläge untersuchen soll. Kommen Sie mit der Aufarbeitung der Skandal­serie voran?

Der in der jetzigen 5. Wahlperiode bestehende sogenannte »Sachsensumpf«-Untersuchungsausschuß arbeitet, umstellt von buchstäblich Tausenden beigezogener Aktenbände, intensiv und nach meiner Überzeugung keineswegs ohne Erfolgsaussicht. Am Ende dieser Legislaturperiode könnte ein Aufklärungsstand erreicht sein, der die Frage beantwortet, in welchen Zeiträumen und mit welchen Wirkungen, unter wessen Protektion und unter welcher ggf. gewährten Deckung durch auch Verantwortungsträger der Strafverfolgungsbehörden sächsische Politiker, Polizei-, Justiz- und Kommunalbeamte in herausgehobener Stellung in diverse Geschäfte mit der italienischen oder osteuropäischen Mafia, in ekelhafteste Formen des Menschenhandels, der Zwangsprostitution von Frauen und Kindern, der Geldwäsche und dubiose Immobiliengeschäfte, bis hin zu Mordanschlägen, verwickelt waren. Das Geschäft ist zugegebenermaßen mühsam und ein Prozeß der kleinen Schritte.

Unsere eigenen Untersuchungen, aber ebenso die in dem justiziellen Raum stattfindenden begleitenden Strafverfahren, regelmäßig gerichtet gegen eben jene, die seinerzeit enthüllen wollten, machen deutlich, daß auch in punkto »Sachsensumpf« die Lebensweisheit paßt: ohne Feuer kein Rauch. Der Ausschuß vernimmt gleich zu Beginn des neuen Jahres die frühere Leiterin des Referats Organisierte Kriminalität, die sich zum einen mit martialischen Strafanklagen, eingereicht beim Landgericht Dresden, mit dem Vorwurf der Verbrechensverfolgung Unschuldiger konfrontiert sieht. Andererseits sind sämtliche Strafanzeigen, die sie etwa gegen Vorgesetzte wegen Nötigung, Körperverletzung im Amt erstattet hat, brachial abgebügelt worden, ohne daß die Angezeigten auch nur mit einer Vernehmung zum Sachverhalt belästigt worden sind.

Dies wurden offensichtlich durch die Dresdner Justiz unter Anwendung des einschlägigen Paragraphen 152 der Strafprozeßordnung, nämlich mit Verfügungen über das Absehen von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, im Keime erstickt. Schauen wir mal, inwieweit sich hier Personenidentitäten im Rahmen der verfahrensführenden Staatsanwälte und Ermittler mit dem, was gern als der »sächsische Justizfilz« bezeichnet wird, herstellen und offenlegen lassen. Wir haben jedenfalls einen klaren Fahrplan für den uns verbleibenden Untersuchungszeitraum bis zum späten Frühjahr 2014. Wir werden uns als demokratische Oppositionsfraktionen, die den Ausschuß eingesetzt haben, nicht länger davon abhalten lassen, bisher überhaupt nicht beleuchtete Komplexe, wie etwa die Vorgänge um Kinder- und Menschenhandel im Bereich der tschechisch-deutschen Grenze, die sich im sogenannten Komplex »Abseits Vogtland« widerspiegeln, aufzurufen.

Ein wenig wirkt es, als bestünde die Trennung von Politik und Justizwesen in Sachsen eher auf dem Papier denn in der Realität …

Genau hier liegt das Problem: Wir haben in Sachsen viele Indizien dafür, daß es an der notwendigen Politikferne bestimmter Teile der Justiz fehlt. Ich behaupte nicht, daß auf Gerichte oder konkrete Entscheidungen aus dem Justizministerium heraus, allzumal derzeit, direkt Einfluß genommen wird. Wir haben jedoch das Phänomen, daß in Sachsen erhebliche Teile, die in der Justiz Verantwortung tragen, vor Übernahme ihrer Funktionen in der Staatsanwaltschaft oder an der Spitze von Gerichten über mehr oder weniger lange Zeiträume durch das Justizministerium selbst gelaufen sind, was für eine Art »politisches Grundverständnis« gesorgt hat. Es hat schon seinen guten Grund, daß aus erheblichen Teilen des Justizwesens in Sachsen heraus, auch aus Teilen der Staatsanwaltschaft bzw. von Berufverbänden der Richter und Staatsanwälte selbst, die Forderung nach einer selbstverwalteten Justiz und nach mehr Mitbestimmung bei der Besetzung herausgehobener Posten in Staatsanwaltschaften und Gerichten erhoben wird.

Sehen Sie Chancen, Ordnung in dieses undurchschaubare Geflecht zu bringen?

Ich sehe eine zielstrebige Arbeit sowohl des 2. Sachsensumpf-Untersuchungsausschusses wie des NSU-Unersuchungsausschusses als Ausgangspunkt dafür, in der Evaluierung der Ergebnisse, die bis zum Sommer 2014, also zum Ablauf der Wahlperiode, vorliegen müssen, klare Forderungen gestellt werden, die zu einem Umbau, zu einer Demokratisierung, zur Herstellung von mehr Politikferne und größerer Weisungsfreiheit im Bereich der Ermittlungs- und Justizbehörden führt. Meine Fraktion wird alles, was sie tun kann, versuchen, um sachdienliche Vorschläge ggf. auch in Gestalt von Gesetzesnovellen zum Polizeigesetz bzw. justiziellen Bestimmungen, die das Land setzen kann, vorzulegen.

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: