Karl Nolle, MdL

Agenturen, dapd, 17:32 Uhr, 20.02.2013

Verfassungsschutz soll sich neue Philosophie zulegen - Kommission legt Defizite offen - Ulbig sichert schnelle Überprüfung der Empfehlungen zu

 
Verfassungsschutz soll sich neue Philosophie zulegen - Kommission legt Defizite offen - Ulbig sichert schnelle Überprüfung der Empfehlungen zu (Neu: Reaktion Linke, Grüne, FDP) - - (mit Bild)

Dresden (dapd-lsc). Fähiges Personal, Ordnung in den Akten und eine neue Philosophie: Nach mehr als einem halben Jahr Arbeit hat eine unabhängige Kommission Vorschläge zur Neuordnung des sächsischen Verfassungsschutzes vorgelegt. Das dreiköpfige Gremium um die frühere Generalbundesanwältin Monika Harms sprach am Mittwoch in Dresden zwar von einem insgesamt «ordentlichen Amt», es bestehe aber «Optimierungsbedarf». Abläufe hätten sich über Jahre entwickelt und vieles könne auch anders gemacht werden, sagte Harms.

Nach dem Auffliegen der jahrelang unentdeckten NSU-Terrorzelle stehe zudem die gesamte Sicherheitsarchitektur in Deutschland auf dem Prüfstand, sagte Harms. Unter anderem empfiehlt die Kommission, der auch der frühere Präsident des Verfassungsschutzes in Baden-Württemberg, Helmut Rannacher, und der Ex-Präsident des Sächsischen Rechnungshofes, Franz Heigl, angehören, ein stärkeres Verständnis des Geheimdienstes als Dienstleister. Kritik an dem Bericht kam vor allem von der Opposition, aber auch von der mitregierenden FDP.

Abschied vom «Panzerschrank»

Der Behörde mit derzeit knapp 200 Mitarbeitern raten die Experten, sich stärker um die Vorbeugung zu kümmern als jetzt. So könnten Geheimdienstler zum Beispiel verstärkt über Werbestrategien von Rechtsextremisten aufklären oder mit Krisenunterstützungsteams bei akuten Problemen aushelfen. Die Behörde müsse mit ihren Informationen «ran an den Bürger» und sie so wenig wie möglich im «Panzerschrank» lagern, sagte Rannacher.

Der detaillierte Kommissionsbericht umfasst mehr als 140 Seiten. Einige Blätter sind nicht in der öffentlichen Version enthalten, darunter nicht freigegebene Organisationspläne von anderen Verfassungsschutzämtern. Es gehe nicht um brisante Informationen, hieß es.

Zur Unterstützung der parlamentarischen Kontrolle schlägt die Kommission zudem einen eigenen Verfassungsschutzbeauftragten beim Landtag vor. Deutliche Kritik äußern die Experten an der Personalführung und regen eine stärkere Rotation an. Viele Mitarbeiter besetzten seit dem Aufbau des Amtes in den 90er Jahren ihre Dienstposten mit unveränderten Aufgaben. Zudem gebe es nur vier Mitarbeiter im gehobenen Dienst mit einer Verfassungsschutzausbildung und insgesamt Defizite bei der Fortbildung.

Historiker gefragt

Die Kommission rät, verstärkt Geisteswissenschaftler wie Historiker oder Politikwissenschaftler anzuwerben, um die Analysen der Behörde zu verbessern. Weitere Empfehlungen beziehen sich auf eine straffere innere Organisation und die Aktenführung. So enthält der Bericht eine sehr detaillierte Darstellung mit Fotos zum überraschenden Aktenfund mit NSU-Informationen im vergangenen Sommer.

Danach lagerten die Unterlagen in der schwer einsehbaren Ecke eines Stahlschrankes. Die plötzlich aufgetauchten Dokumente führten damals zum Rücktritt von Verfassungsschutzchef Reinhard Boos. Es habe sich um einen «Zufallsfund» und «herrenlose» Dokumente gehandelt, die offenbar auch niemand vermisst habe, sagte Rannacher. Damit sei gegen Vorschriften verstoßen worden. Die Kommission empfehle, ein elektronisches «Vorgangssystem» einzuführen, um alle Akten konsequent zu registrieren.

Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) sagte: «Wir wollen einen Philosophiewechsel beim Verfassungsschutz.» Er sei dankbar, dass die Probleme beim Namen genannten worden seien. Der Politiker sicherte die schnelle Überprüfung der Vorschläge zu. Bereits in der kommenden Woche sollten die Arbeiten daran beginnen.

Der Opposition gehen die Vorschläge nicht weit genug

Die Linksfraktion reagierte ablehnend auf den Bericht. Er enthalte wenig Neues und «durchgreifende Konsequenzen» fehlten. Es gebe keine erkennbare Neuorganisation des Landesamtes, sagte der Abgeordnete André Hahn. Ähnlich äußerten sich die Grünen. «Einzig die Neuauflösung und ein radikaler Neustart sind sinnvoll», sagte der Landtagsabgeordnete Miro Jennerjahn.

Auch die in Sachsen mitregierende FDP kritisierte die Empfehlungen der Kommission als nicht ausreichend. Perspektivisch müssten der Verfassungsschutz in Bund und Ländern sowie der Militärische Abschirmdienst (MAD) zu einer zentralen Behörde umgebaut werden, betonte rechtspolitischer Sprecher der Fraktion, Carsten Biesok.

Mit der Einberufung der Kommission reagierte Sachsen im vergangenen Sommer auf die anhaltende Kritik an den Verfassungsschutzämtern nach dem Auffliegen der rechtsextremen NSU-Terrorzelle. Vor gut einem Monat mahnte auch der sächsische Datenschützer Andreas Schurig in einem Bericht zu geschredderten Unterlagen eine strengere Aktenführung im Landesamt an.

Von Marius Zippe

dapd/T2013022051523/zim/kos
201732 Feb 13


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