Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung SZ, 08.11.2001

Der "General" zwischen den Stühlen

"Ruhm und Ehre der Waffen-SS"
 
Das Ereignis fand schon am 1. September statt. Unweit vom Leipziger Hauptbahnhof waren Hunderte Neonazis auf ihrem Marsch zum Völkerschlacht-Denkmal stecken geblieben. Angesichts der Warterei machten die Kameraden des selbst ernannten "nationalen Widerstandes" ihrem Frust lautstark Luft. "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" brüllten sie unter anderem.

Leipziger Staatsschützer sahen darin einen Verstoß gegen den Paragrafen 86a des Strafgesetzbuches. Er verbietet die Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen.Wenig später begann die Polizei vor Ort eine Sisyphusarbeit und leitete gegen alle Demonstranten Strafverfahren ein. Die Neonazis mussten antreten zur Feststellung der Personalien. Das Prozedere während des Großeinsatzes hätte Stunden beansprucht. Nach dem 286. Brüller brachen die Beamten die Aktion ab. Wer sich sofort auf den Heimweg machte, durfte gehen.

Eine Anweisung, die es nun nicht gab

Die 286 Ermittlungsverfahren, so Norbert Röger von der Leipziger Staatsanwaltschaft, wurden jedoch weiter betrieben. "Akten wurden ins gesamte Bundesgebiet verschickt." Bis zum 29. Oktober. Da erhielten alle sächsischen Staatsanwaltschaften eine Anweisung von Generalstaatsanwalt Jörg Schwalm. Der legte den Ermittlern nahe, diese Parole nicht mehr zu verfolgen.

Vergangenes Wochenende schrien nun wieder Neonazis in Leipzig. Weil dieses Mal aber niemand einschritt, wurde die merkwürdige Anweisung bekannt, die zur Einstellung der 286 Verfahren geführt hatte und nun Protest in allen politischen Lagern des Landes hervorrief. Justizminister Manfred Kolbe (CDU) sah sich vorgestern veranlasst, den Generalstaatsanwalt aufzufordern, seine "Anweisung" zurückzunehmen.

Jörg Schwalm war gestern für eine Stellungnahme zu seinem umstrittenen Schreiben vom 29. Oktober 2001 nicht zu sprechen. Sein Stellvertreter Rainer Stähler überraschte mit der Information, eine solche Anweisung habe es nie gegeben. Aus dem Justizministerium ist nun zu hören, der Jörg Schwalm habe den nachgeordneten Behörden lediglich die Rechtsauffassung mitgeteilt, die die Mehrzahl der Bundesländer teile. Doch diese Erkenntnis stammt aus dem Jahr 1999. Gewonnen hatte sie der Generalstaatsanwalt von Sachsen-Anhalt bei einer Umfrage unter Amtsbrüdern. Sie vertraten mehrheitlich die Auffassung: Die Neonazi-Parole "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" ähnele der alten SS-Parole "Meine Ehre ist meine Treue" nicht derart, dass eine Verwendung zu Verwechslungen führen könnte. Erst dann aber wäre sie strafbar.

Während die jüngste Kontroverse im Justizministerium nun als "unglücklich" bezeichnet wird, legte die Opposition im Landtag gestern nach. SPD-Politiker Karl Nolle sieht die Angelegenheit im Zusammenhang mit der morgigen Eröffnung der neuen jüdischen Synagoge in Dresden. Er fordert Kolbe auf, noch vor der Weihe des Hauses das "Treiben des obersten Staatsanwaltes" zu stoppen. Schwalms Auffassung sei "eine unerträgliche Verhöhnung der Millionen von der SS und der Waffen-SS Ermordeten".

In einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Schwalm verlangt Nolle Aufklärung, wie es zu der Anweisung kommen konnte und welche Erkenntnisse ihr zu Grunde lagen. Vorher hatte bereits die PDS Schwalms Entlassung und eine Sondersitzung des Landtages gefordert. Selbst der CDU-Arbeitskreis Verfassung und Recht will die Straflosigkeit dieser Parole nicht hinnehmen.

Aufsicht und Kontakt zum Ministerium

Es wird nicht das erste Mal eng für Sachsens Generalstaatsanwalt. Bei sächsischen Affären mit politischem Touch rückten er und seine kleine Behörde nicht selten ins Visier der Öffentlichkeit. Oft verbunden mit dem Eindruck, juristischer Erfüllungsgehilfe politischer Inte~ressen zu sein. Tatsächlich sitzt der ranghöchste Staatsanwalt des Freistaates zwischen zwei Stühlen. Er hat die fachliche Aufsicht über alle rund 300 sächsischen Staatsanwälte. Seine Behörde ist aber gleichzeitig auch Schnittstelle zum Justizministerium.

Kritiker warfen dem 57-Jährigen zu viel Nähe zum ehemaligen Justizminister Heitmann vor. In Justizbehörden wird dagegen eher das Gegenteil kolportiert. Einige sehen ihn als Opfer seiner Loyalitätspflicht als Beamter. Schwalm ist seit zehn Jahren in Sachsen Generalstaatsanwalt. Er ist kein Freund spektakulärer Auftritte, gilt vielmehr als sehr sachlicher und musischer Mensch. Alle Ermittlungen, beispielsweise gegen politische Amtsträger oder bestimmte Berufsgruppen, laufen über seine Behörde. Dabei lief einiges schief in jüngster Zeit.

Einen Freispruch erster Klasse errang erst gestern Sachsens Datenschützer Thomas Giesen. Der Gegenstand des Verfahrens beschreibt die schwierige Position des "Generals" in Sachsen. Schwalm musste seinerzeit den früheren Justizminis~ter Steffen Heitmann über Ermittlungen gegen einen ehemaligen Görlitzer Finanzbürgermeister informieren. Offenbar, weil der Minister einen Parteifreund an der Neiße über den Stand des Verfahrens informieren wollte. Giesen machte den Vorgang öffentlich. Dass er danach des Geheimnisverrates verdächtigt wurde, geschah nicht ohne Billigung der Generalstaatsanwaltschaft, die das bundesweit bisher einmalige Verfahren zugelassen hatte.

Auch der späte Sieg des Leipziger Rechtsanwaltes Ulrich Kessler vor dem sächsischen Verfassungsgerichtshof ist kein Ruhmesblatt für den "General". Der Anwalt, Vertreter vieler Arbeitnehmer in der so genannten sächsischen Spielbankenaffäre, war im September 1999 in den Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung geraten. Nicht ohne Billigung der Generalstaatsanwaltschaft durchsuchten damals Ermittler Kesslers Kanzlei. Zu Unrecht, wie nun das höchste sächsische Gericht befand. Einzige Grundlage war ein zweifelhaftes Schreiben, das seinen Weg über das Finanzministerium in das Justizministerium und von dort zu den Ermittlern genommen hatte.

Entlassung schon wegen Paunsdorf gefordert

Auch die Forderungen nach einer Entlassung des "Generals" sind nicht neu. Zuletzt wurden sie von der PDS im Zusammenhang mit der Paunsdorf-Affäre erhoben, in der ein Untersuchungsausschuss einem Amigo-Verdacht gegen Ministerpräsident Biedenkopf nachgeht. Auch in diesem bisher brisantesten Fall hatten zuvor schon Kripo und Staatsanwälte in Leipzig den Regierungschef und einen befreundeten Investor im Visier. Als es ernst wurde, wurde das Verfahren eingestellt, ebenfalls nach Hinweisen aus der Generalstaatsanwaltschaft.
(von Thomas Schade)

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