Karl Nolle, MdL

Karl Nolle im Plenum des Sächsischen Landtages, 04.04.2012

Rede zum Abschlußbericht der PKK zum NSU

 
Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen

Mit dem vorläufigen Abschlussbericht der PKK ist die Aufarbeitung des NSU in Sach-sen nicht beendet. Damit wurde gerade erst – und leider viel zu spät begonnen. Sechs Monate nach Einsetzung des Ausschusses, zehn Monate nach Auffliegen des NSU werden wir, dank des ungeheuren Ermittlungseifers der schwarz-gelben Koalition morgen im Untersuchungsausschuss zur ersten Zeugen-vernehmung kommen. Während in den Berliner und Thüringer Untersuchungsausschüssen fast täglich neue Erkenntnisse über abstruses Behördenversagen ans Licht gekommen, ha-ben wir in Sachsen Monate dafür gebraucht um festzustellen, dass Zwickau und Chemnitz doch keine Städte in Thüringen sind und ein Großteil der militanten Unterstützern des Terrortrios aus der gewaltbereiten rechtsext-remistischen Hardcore Musikszene kommen, und die sämtlich seit über 15 Jahren von Person bekannt sind. In welcher Weise sich diese Typen tatsächlich von der rechten Szene losgesagt haben, wie das LfV Sachsen notiert hat kann man wohl bezweifeln, wenn man z.B. folgendes aktenkundiges Zitate liest wie:

“Heil Hitler! Zyclon B ist the only way, wir kriegen sie alle und dann werden wir durch ihre Kadaver maschieren. Auf die nächsten 6 Millionen und mehr. Sieg Heil!“

Mit konsequenter Langzeitobservierung wäre man schon vor mehr als zwölf Jahren unmit-telbar auf drei von fünf Unterschlupfwohnungen des Terrortrios in Chemnitz gestoßen.

Wir alle erinnern uns, welch zäher Kampf es war, den Untersuchungsausschuss letztlich einzusetzen. Wozu auch passt, dass der große sächsische Vorsitzende Wochen brauchte um sich aus seinem Ministerpräsidentensessel zu erheben und sich in Zwickau blicken zu lassen.

Mit fadenscheinigen Argumenten sowohl durch die Staatsregierung als auch durch die CDU/FDP-Koalition wurde die selbstver-ständlicher parlamentarische Kontrolle durch einen Untersuchungsausschuss von Anfang an blockiert. Unter anderem mit dem Argu-ment, dass andere Gremien vorhanden wären, um fehlerhaftes Behördenhandeln zu analysieren. Eben auch die PKK.

Für den nun vorliegenden vorläufigen Ab-schlussbericht möchte ich mich bei den Kol-legen der PKK bedanken Unsere Einschät-zung, dass dieser vorläufige Bericht nur ein erster Schritt sein kann, schmälert die Ver-dienste der PKK-Mitglieder nicht. Im Gegenteil: Die erste Einschätzung, die hier abgege-ben wurde, ist angesichts der begrenzten In-formationen des Gremiums umso mehr wert.

Man merkt dem kritischen Bericht an, dass nicht nur die Mitglieder der Opposition, sondern zumindest auch den Vorsitzenden der PKK ein ehrliches Aufklärungsinteresse antreibt. Dafür Danke, Herr Prof. Schneider, dass sie sich nicht vors Loch der Schönredner und Verharmloser haben schieben lassen - ganz anders als einige ihrer Fraktionskollegen.

Ich will zwei wesentliche Punkte aus dem Bericht aufgreifen, die zumindest zu einem Teil erklären, warum das Trio mehr als zehn Jahre lang unbehelligt morden konnte:

1. Der Bericht stellt fest, dass das LfV Sach-sen so gut wie keine eigenen Bemühun-gen unternommen hat, um den Verbleib der drei untergetauchten Jenaer Bomben-bastler zu erkunden. Man ist tätig geworden – immer mal wieder. Aber fast immer hat es dazu einen äußeren Impuls ge-braucht; ein Ersuchen aus Thüringen, eine Anfrage aus Brandenburg, eine Mittei-lung des Bundesamtes. Das, was wir in den letzten Monaten immer wieder von der Staatsregierung gehört haben – dass andere Bundesländer zuständig gewesen seien, dass Sachsen nicht die Ermittlun-gen geführt habe – diese Haltung scheint das sächsische Landesamt in der Tat verinnerlicht zu haben: Wir sind nicht zuständig. Wir machen was, wenn man uns fragt. Aus eigenem Antrieb tun wir nichts.Informationen aus Thüringen - ja - aber die erhielten wir mündlich in einem Telefongespräch. Verschriftlichung von Telefongesprächen – unbekannt.

2. Der Bericht stellt fest, dass das LfV Sach-sen die Informationen, die es hatte, kaum ausgewertet hat. Berichte und Erkenntnis-se wurden bestenfalls gelesen und abge-heftet. Es gab kein eigenes Lagebild, kei-ne systematische Auswertung, keine Ana-lyse der Netzwerke. Dabei ist doch genau das eine wesentliche Aufgabe: Im § 2 des Sächsischen Verfassungsschutzgesetzes heißt es ganz klar, „Aufgabe des Landes-amtes für Verfassungsschutz ist die Sammlung und Auswertung von Infor-mationen“. Was nutzt es, zweifelhafte V-Leute hier und da sitzen zu haben, wenn man nicht versucht, eins und eins zusam-menzuzählen? Im PKK-Bericht wird völ-lig zu Recht festgestellt: „Dass eine sys-tematische Auswertung der immerhin vorliegenden Teilerkenntnisse im LfV Sachsen möglicherweise nicht zu einem Fahndungserfolg geführt hätte, ist für die Opfer und ihre Familien nur ein schwacher Trost.“

Wir haben in den letzten Wochen im Untersuchungsausschuss mehrere Sachverständigenanhörungen durchgeführt. Deutlich ist immer wieder geworden: Die sächsischen Behörden haben die Gefahr des Rechtsextremismus lange, viel zu lange unterschätzt. Da-bei hat es an warnenden Stimmen nicht ge-fehlt: Seit Anfang der 90er Jahre haben viele Initiativen und Engagierte auf das Problem aufmerksam gemacht. Und bis heute legt ihnen der Staat eher Steine in den Weg, als dass er sie unterstützt. Die Stichworte hierfür kennen wir alle: Handygate, Extremismus-klausel, Haushaltskürzungen für Jugend- und Demokatieprojekte..

Wir werden hier noch eine Debatte zu führen haben, welche Zukunft der Verfassungs-schutz nach diesem Debakel haben kann. Aber diese organisatorischen Fragen sind nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist – gerade hier in unserer sächsischen Demokratie – noch viel wichtiger: Was wird in unserem Land dafür getan, um die Sachsen wirklich immun zu machen gegen Rechtsextremismus? Um diesen rechten Irren den Boden zu entziehen, auf dem sie sich verstecken können, sich wohlfühlen können, von dem aus sie agieren können?

Die derzeitige Staatsregierung tut nichts. Sie tut nichts dafür, dass unsere Gesellschaft toleranter und gerechter wird – das Gegenteil ist der Fall: Solange Menschen behördlicherseits eingeteilt werden in solche mit besseren und solche mit schlechteren Perspektiven, in solche mit mehr und solche mit weniger Rechten, solange bleibt dieser Nährboden erhalten.

Wir fordern Sie dazu auf:

Erstens
: Stehen Sie einer umfassenden Aufklärung des NSU-Problems nicht mehr länger im Wege. Lassen Sie uns gemeinsam die Arbeitsgeschwindigkeit des Untersuchungsausschusses verdoppeln – auch mit Sondersitzungen, damit wir endlich Ergebnisse erhalten. Das sind wir den Angehörigen der Opfer und allen, die sich gegen Rechts engagieren, schuldig.

Zweitens: Unterstützen Sie endlich all die in unserer Gesellschaft, die sich gegen rechts engagieren. Und zwar nicht nur mit Lippenbekenntnissen und Hochglanzkonferenzen – sondern ehrlich dadurch, dass Sie Hürden aus dem Weg räumen, dauerhafte finanzielle Si-cherheit geben und diesen Menschen endlich auf Augenhöhe gegenübertreten.

Und Drittens: Werden Sie sensibler dafür, welchen Einfluss Ihre Politik auf den Nährboden von Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz und Gewalt hat: Je ungerechter eine Gesellschaft ist, desto ungerechter verhalten sich alle Menschen in ihr. Je gleichgültiger die Politik gegenüber Problemen ist, desto gleichgültiger werden auch Behörden und Menschen gegenüber diesen Problemen. Das kann kein Nachrichtendienst und kein Verfassungsschutz beheben, das ist Verantwortung einer gerechten Politik.