Karl Nolle, MdL

Stuttgarter Zeitung, 02.02.2002

Ein Provokateur aus Schröders Jusozeiten macht in Sachsen Furore

Der SPD-Politiker Karl Nolle aus Hannover mischt in Dresden die politische Szenerie auf - Erbarmungsloser Gegner von Ministerpräsident Kurt Biedenkopf
 
DRESDEN. Ein kämpferischer, aus Westdeutschland stammender Sozialdemokrat ist der Schrecken der sächsischen CDU. Der Niedersachse Karl Nolle sieht sich als erfolgreicher Jäger von Kurt Biedenkopf.

Karl Nolle ist einer von der Sorte Politiker, die damit leben können, dass sehr viele Menschen sie abgrundtief hassen. Ein dickes Fell hat er sich angelegt, und ein unerschütterliches Selbstvertrauen gibt ihm täglich neue Kraft. Seit einigen Monaten dient der 56-jährige SPD-Politiker als Speerspitze der Attacken auf den sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU). Und das, obwohl er doch gar kein Sachse ist, sondern aus Niedersachsen stammt.

Nolle bombardiert als Landtagsabgeordneter die Staatsregierung mit Anfragen, Nolle verbreitet Presseerklärungen mit Vorwürfen gegen den Ministerpräsidenten, Nolle horcht tief in das Lager der CDU-internen Biedenkopf-Gegner hinein, und Nolle wühlt in Unterlagen und Akten. Eine Allzweckwaffe gegen den Ministerpräsidenten und die CDU ist er geworden. Das Wort "Nolle" steht für die Anti-Biedenkopf-Kampagne schlechtin. Er tut all das unerschrocken, unbeirrt und angriffslustig. Selbst sächsische Sozialdemokraten, von denen viele die zurückhaltende und höfliche Art bevorzugen, sind über das burschikose Auftreten ihres Genossen irritiert, manche gar verärgert.

Aber obwohl Nolle so manchen persönlichen Rückschlag hat einstecken müssen, geht er seinen Weg unverdrossen weiter - wie ein Einzelkämpfer im Urwald, getrieben von seinem Eifer, den Feind vor Augen und die Gewissheit im Hinterkopf, irgendwann obenauf zu stehen. Eine Spur Fanatismus ist ihm manchmal anzumerken, aber dann wieder überwiegt der Spaß an der schlichten Provokation, die Freude darüber, im Gespräch zu sein. Das klappt mittlerweile bundesweit. Ein Nolle-Spruch wurde jüngst von der sächsischen Landespressekonferenz zum Zitat des Jahres gewählt: "Wenn Sie wissen wollen, wo es hier zur Staatskanzlei geht: immer den Bach runter, immer den Bach runter."

Vor zwei Jahren, im Kommunalwahlkampf, erregte der Sozialdemokrat das erste Mal überregional Aufsehen. Er hatte gegenüber einem Wahllokal einen Kleinbus mit SPD-Werbung aufgestellt. Der Stadtwahlleiter ließ den Bus abschleppen, Nolle stellte Strafanzeige - und lieferte reichlich Gesprächsstoff. Dann ging es auf und ab. Nolle war Schattenwirtschaftsminister der SPD für die Landtagswahl 1999, doch die Partei landete weit abgeschlagen. Dann wollte er Dresdener SPD-Oberbürgermeisterkandidat werden, war sogar schon fast nominiert. Aber ein unglückliches Zitat brachte Ärger, und überdies setzten sich viele SPD-Politiker für einen überparteilichen Bewerber ein - also verzichtete Nolle. Zum sächsischen Wesen passt seine zuweilen eigensinnige, manche meinen unappetitliche Art schlecht. Für einige ist Nolle "der typische Wessi". Er kommt ja auch aus dem Westen, in Wunstorf bei Hannover wurde er politisch geprägt.

Bei den dortigen Jungsozialisten reifte sein politischer Stil heran. Nolle, heute Inhaber einer große Druckerei, Kunstmäzen und wohl auch Millionär, lieh sich Ende der sechziger Jahre von seinem Vater 2000 Mark und kaufte sich davon eine Druckmaschine, stellte dann kleine politische Kampfschriften unter dem Titel "Soak" (Sozialistische Alternative) her und gründete einen Verlag, damals zusammen mit einem Mitstreiter namens Gerhard Schröder, dem heutigen Kanzler.

Mitte der siebziger Jahre entfernten sich Schröder und Nolle voneinander. "Die einen wollten nach oben streben, die anderen leisteten Basisarbeit", sagt Nolle heute. Er zählte zur zweiten Gruppe - und eckte immer wieder an. Die SPD hat ihn sogar 1986 ausgeschlossen, weil er für die Grünen Werbung gemacht habe, heißt es. Erst 1998 kehrte er zur Partei zurück. Aber genügend Ärger hat der Querkopf immer gemacht.

Beispielsweise Anfang der siebziger Jahre, als Niedersachsens Innenminister Richard Lehners um ein vertrauliches Gespräch mit ihm bat, weil er sich für einen Landtagswahlkreis in Nolles Unterbezirk interessierte. Nolle antwortete nicht, sondern schrieb über Lehners" Offerte einen Artikel im Jusoblättchen. Der Minister war bloßgestellt, Parteifreunde schäumten vor Wut. Mit anderen Themen wurde er zum Bürgerschreck. Als er in seinem Heimatstädtchen die "Hindenburgstraße" Anfang der siebziger Jahre in "Allendestraße" umtaufen wollte, entwickelte sich darüber ein monatelanger erbitterter Streit.

Eine Episode aus dem Bundestagswahlkampf 1969 erzählt man sich in Nolles Heimatstädtchen noch heute: Kanzler Kurt-Georg Kiesinger (CDU) war damals im Stadttheater, die Jusos wollten die Veranstaltung stören. Nolle hatte einen kleinen Jungen auf den Schultern, zeigte auf Kiesinger und rief laut: "Guck mal, Paul, da vorne steht der böse Onkel." Die Zuhörerschaft im Saal reagierte empört, und manche Zeitzeugen wollen sich erinnern, der Kanzler habe Nolle später angerempelt. Das, meint Nolle heute, sei nicht geschehen. Immerhin ist ihm die Konfrontation mit den Mächtigen in der CDU seither ein Herzensanliegen. Nolle sonnt sich in seiner Popularität, spricht nicht ohne Stolz davon, der "Staatsfeind Nummer eins" in Dresden zu sein. Mittlerweile nun fühlt er sich in seinem wichtigsten Anliegen nah am Ziel, seit Biedenkopf sich zum Rücktritt entschlossen hat.
(Klaus Wallbaum)