Karl Nolle, MdL
welt.de, 04.08.2012
Fall Drygalla: Der braune Sumpf wird immer wieder kleingeredet
In einigen Regionen Deutschlands hält sich hartnäckig ein rechtsextremes Milieu. Dort redet man nicht darüber. Demokratisches Duckmäusertum verschleierte wohl auch die Kontakte der Ruderin Drygalla.
"Dein Name für Deutschland" steht in großen schwarzen Lettern auf dem Sport-Trikot, das die 23-jährige Ruderin Nadja Drygalla während der Olympischen Spiele in London getragen hat. Nun darf die Athletin aus Rostock Deutschland auf der Weltbühne des Sports nicht mehr repräsentieren.
Ihr Lebensgefährte ist ein ebenso polizei- wie stadtbekannter Nazi in Rostock (Link: http://www.welt.de/108474787) . Das ist übrigens jene Stadt, in der vor genau 20 Jahren Flüchtlinge um ihr Leben bangen mussten, weil braune Brandstifter Asylunterkünfte im Stadtteil Lichtenhagen anzündeten. Nicht wenige Anwohner klatschten damals Beifall, und dem wiedervereinigten Deutschland wurde klar, dass rechtsextremistische Überzeugungen und Gewalt nicht nur bei Randgruppen zu Hause sind, sondern auch bei ganz normalen Bürgern Anklang finden.
Mehr als 180 Menschen sind seitdem in der Bundesrepublik durch Verbrechen ums Leben gekommen, bei denen rechtsextreme Motive der Täter entweder nachgewiesen werden konnten oder naheliegen. 2011 wurde das Land mit der schockierenden Nachricht konfrontiert, dass eine neonazistische Mörderbande zehn Jahre lang unerkannt Einwanderer liquidiert hat; neben den abscheulichen Taten der RAF die schlimmste Terrorserie in der Geschichte der Bundesrepublik.
Milieu, das den Staat hasst
Das alles hat auch mit der Achter-Ruderin Nadja Drygalla zu tun. Sie bewegt sich offenbar seit Jahren in einem Milieu, das unseren Staat hasst, die dunkelsten Stunden der deutschen Geschichte zu seinen hellsten umlügt und in dem Gewalt gegen Demokraten oder Minderheiten allenfalls als taktische Frage gehandelt wird. Zwar hat der deutsche Olympia-Delegationsleiter Michael Vesper der ins Gerede gekommenen Athletin kurz vor ihrer Abreise noch einen Persilschein ausgestellt: Drygalla stehe auf dem Boden der demokratischen Rechtsordnung.
Wie jüngste Recherchen zeigen, kam diese Entwarnung eindeutig zu früh. Und wie hat man sich das auch bitte vorzustellen? Blättert sie abends vor dem Schlafengehen im Grundgesetz und ihr Freund in Hitlers "Mein Kampf"?
Drygallas Lebensgefährte hängt einer Weltsicht an, die sich von den Mördern des NSU (Link: http://www.welt.de/themen/nsu/) kaum unterscheidet. Er war beteiligt, als Neonazis eine Gedenkveranstaltung für ein 2004 in Rostock ermordetes NSU-Opfer störten. Drygalla hat sich von diesen braunen Aktivitäten nicht nur nicht distanziert, sie hat auf ihrer Facebook-Seite zu erkennen gegeben, dass sie mit diesem Milieu sympathisiert. Es gibt Bilder, die sie offenbar an der Seite ihres Freundes bei rechtsextremen Aufmärschen zeigen.
Man redet nicht drüber
Schon zum zweiten Mal in ihrem jungen Leben hat die Sportlerin glänzende Zukunftsaussichten gegen alle Vernunft in den Wind geschlagen, weil sie sich im braunen Sumpf bewegt – und dort offenbar auch weiter bewegen will. Vor zwei Jahren endete ihre Laufbahn bei der Polizei, die dahintergekommen war, mit wem sich die Dienstanwärterin in ihrer Freizeit alles abgibt. Und das will in Mecklenburg-Vorpommern jahrelang niemand mitbekommen haben?
Wahrscheinlicher ist, dass in der Hansestadt etwas passierte, was man auch aus anderen Städten und Gemeinden kennt, in denen Rechtsextremismus und Gewalt wieder fröhlichen Urstand feiern: Man redet nicht drüber. Man will das so genau gar nicht wissen. Wenn doch was passiert, macht man Einzeltäter verantwortlich. Oder man sagt: Die waren nicht von hier. Die kommen aus dem Nachbarort.
Immer noch Probleme mit Rechtsextremismus
Die unbequeme Wahrheit ist: Wir haben vor allem in jenen Bundesländern, die so neu inzwischen auch nicht mehr sind, in einigen Regionen massive Probleme rechtsextremer Hegemonie und demokratischen Duckmäusertums. Sie sind in den vergangenen 20 Jahren, seit den feigen Anschlägen von Mölln, Rostock und Hoyerswerda, nicht kleiner geworden.
Es ist bloß immer wieder kleingeredet worden: von der Politik, die negative Schlagzeilen mehr fürchtete als die Taten, die dahinter stehen. Von Unternehmen, die im globalen Wettbewerb um ihr Image bangten. Von einer Tourismusindustrie, die mit Fremdenverkehr ihr Geld in Gegenden verdienen will, in denen Fremdenfeindlichkeit irgendwie Ansichtssache ist. Diese Verschleierungstaktik aber hat keine Probleme gelöst, sondern sie nur alltäglich werden lassen.
Mit einem Machtwort ist es nicht getan
Rostock ist nicht nur die Heimatstadt von Nadja Drygalla. Auch der Bundespräsident stammt aus der Hansestadt. Joachim Gauck (Link: http://www.welt.de/themen/joachim-gauck/) wird in dieser wichtigen Debatte gebraucht. Aber eben nicht nur er: Mit einem Machtwort oder einer geschliffenen Rede ist der Ungeist nicht aus der Welt. Doch es kann nicht sein, dass man sich an manchen Orten an Neonazis gewöhnt wie an den Wochenmarkt.
Die Ostdeutschen haben sich in den Jahren 1989 und 1990 Freiheit und Demokratie erkämpft. Der Rechtsextremismus wird erst dann zurückgedrängt werden können, wenn dieser zivile Bürgermut wieder wach wird. Politik und Polizei allein werden es nicht schaffen.
Von Claus Christian Malzahn