Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 21.08.2012
Leben auf der Flucht - Tanja Privenau brach mit der Neonazi-Szene und lebt seither versteckt.
Tanja Privenau brach mit der Neonazi-Szene und lebt seither versteckt. Das Urteil eines Dresdner Gerichts bringt sie und ihre Kinder in Gefahr. Der Vater, ein gewaltbereiter Neonazi, darf seine Söhne künftig sehen.
Der jüngste Sohn sei vor Kurzem krank geworden, es gehe ihm wirklich nicht gut, sagt Tanja Privenau. „Ich mache mir ernste Sorgen, wie er es verkraften soll, wenn das hier jetzt losgeht.“ Bei den letzten Worten kramt sie ein Papier aus ihrer Tasche und wirft es ärgerlich auf den Tisch. Es ist ein Beschluss des Familiensenats am Oberlandesgericht Dresden vom 23. Juli 2012. Darin steht, dass die drei Richter „keine belastbaren Bedenken“ gegen einen Umgang des Kindesvaters mit den drei Söhnen von Tanja Privenau haben. „Keine Bedenken, dass ein gewalttätiger und vorbestrafter Nazi und sein rechtes Netzwerk uns nach all den Jahren des Versteckens aufspüren können?“, fragt sie empört. „In welcher Welt leben diese Richter eigentlich?“
Der Fall Privenau ist mehr als ein normaler Familienrechtsstreit, bei dem es um die Frage geht, wer darf Umgang mit den minderjährigen Kindern pflegen. Hier geht es auch um die Fürsorgepflicht des Staates für Menschen, die sich unter großen persönlichen Gefahren gegen Extremisten stellen und damit die Gesellschaft schützen.
Vor sieben Jahren ist Tanja Privenau aus der rechtsextremen Szene ausgestiegen. Eine Sensation war das damals, Polizei und Verfassungsschutz wollten es kaum glauben. Für sie zählte die Frau aus Norddeutschland, die schon als 13-Jährige in die Szene eingetaucht war, zu den überzeugten Nationalsozialistinnen. Sie war Kameradschaftsführerin, gehörte der später verbotenen Wiking-Jugend an, koordinierte die Frauenarbeit in der rechten Szene, hielt Schulungen ab und organisierte Neonazi-Aufmärsche, bei denen sie auch mit Pflastersteinen warf, wie sie zugibt. „Ich war 20 Jahre lang Neonazi von Beruf“, sagt sie.
2003 setzte der innere Wandel bei ihr ein. Ihre fünf Kinder hätten sie zum Nachdenken gebracht, sagt sie. Die Kleinen hätten zunehmend gelitten unter der von ihren Eltern gewählten Ausgrenzung aus der Gesellschaft. Ein Erlebnis mit ihrem ältesten Sohn gab schließlich den Ausschlag. Der Junge ist geistig behindert. Als Tanja Privenau mit ihm in ein Zeltlager der 2009 verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ fuhr, wurde er von den rechten Aufpassern misshandelt. Da habe ihr Entschluss festgestanden: „Ich wollte raus aus der Szene und endlich ein normales Leben führen.“
Doch der erste Ausstiegsversuch misslang, auch weil der Verfassungsschutz nicht bereit war, ihr eine neue Identität zu geben. Aber sie ließ nicht locker, wollte auch ihren Mann Markus, mit dem sie drei Söhne hat, vom Ausstieg überzeugen. Vergeblich. Markus Privenau, wegen eines tödlichen Unfalls mit einer Schusswaffe vorbestraft, ist bis heute ein überzeugter Neonazi mit engen Beziehungen zur NPD. In Bremen, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern ist er eine bekannte Größe in der rechten Szene, dort hat er viele Freunde und Unterstützer unter den gewaltbereiten Neonazis. Tanja Privenau schildert, wie sie, ihr Mann und die ganze Familie 2002 auf einen Bauernhof bei Bremen gezogen sind. Dort hätten sie oftmals heftig darüber gestritten, ob man sich von der rechten Szene abwenden soll oder nicht. Damals habe „der Privenau“, wie sie ihren Mann nennt, sie immer wieder körperlich bedroht und geschlagen, auch die Kinder. Markus Privenau hat das vor dem Oberlandesgericht in Dresden jedoch bestritten.
2005 schließlich zeigte Tanja Privenau ihren Mann an, wegen seiner angeblich illegalen Versandgeschäfte mit Nazi-Klamotten und Rechtsrock-CDs. Und sie jagte ihn vom gemeinsamen Hof. „Die nächsten Monate waren die Hölle“, erzählt sie. „Immer wieder tauchten Freunde von dem Privenau vor unserem Hof auf, solche Schlägertypen, sie filmten uns oder standen einfach nur rum, um uns Angst einzujagen.“ Ihre fünf Kinder trauten sich nicht mehr raus, nachts hätten sie alle in einem Raum geschlafen. Zwar fuhr die Polizei nun häufiger Streife am Hof vorbei, aber solange nichts passierte, konnten die Beamten auch nichts tun.
Schließlich rettete die Aussteigerinitiative Exit sie und die Kinder vor Markus Privenau und seinen rechten Kameraden. Danach waren auch die Sicherheitsbehörden bereit, ihr zu helfen. Tanja Privenau gab bei Polizei und Verfassungsschutz ihr Wissen über die rechte Szene preis. Sie half bei Exit mit, Neonazi-Aussteiger zu betreuen. Immer wieder tritt sie auch, mit Perücke und Sonnenbrille maskiert, bei Fernsehsendungen und öffentlichen Veranstaltungen auf, um über die von NPD und Neonazis ausgehende Gefahr zu berichten.
Die Behörden schützten sie und ihre Familie mit einer neuen Identität und gaben der Mutter und ihren Kindern die Möglichkeit, eine Wohnung in Sachsen zu beziehen. Ihr Noch-Ehemann wetterte derweil in rechten Internetforen über die „Verräterin“, die ihm seine Kinder genommen habe. „Da konnte man lesen, dass man mich eines Tages finden würde und mich dem ‚Reichsgericht‘ übergeben werde“, erzählt Tanja Privenau. „Ich habe das schon so verstanden, dass die Nazis mich damit unter ihresgleichen zum Abschuss freigaben.“
Schon nach einem Jahr hatten Neonazis die Aussteigerin aufgespürt. „Plötzlich stand da ein Auto vor meinem Haus, da saßen Rechte drin. Da wusste ich, jetzt haben sie dich, jetzt wissen sie, wie du heißt.“ Privenau und ihre Kinder mussten erneut die Identität wechseln und wieder umziehen. Seitdem wohnen sie, bislang unentdeckt, in einem anderen Bundesland.
„Es ist ein Leben in Angst, nicht zuletzt durch das jahrelange Gerichtsverfahren, in dem ich immer die Sorge hatte, dass unsere Tarnung auffliegt“, sagt sie. Tanja Privenau ist davon überzeugt, dass ihr Mann und seine Freunde noch immer hinter ihr her sind. „Die wollen uns nicht die Möglichkeit geben, ein neues Leben unbeschwert zu führen.“
Vor allem die Kinder leiden unter diesem Druck. Die drei Söhne waren nach der Flucht lange in psychotherapeutischer Behandlung. Ihre große Tochter aber ist an der Lebenssituation psychisch zerbrochen, 2010 starb sie, gerade mal 20-jährig. „Sie hat unsere körperliche Bedrohung durch meinen Ex-Mann in der Zeit, als wir noch zusammenlebten, nie mehr aus dem Kopf bekommen“, sagt Tanja Privenau leise. „Es war schrecklich, für uns alle.“
Im November 2008 wurde die Ehe der Privenaus vom Amtsgericht Dresden geschieden. Das Sorgerecht bekam die Mutter zugesprochen. Dem Vater versagte das Gericht damals auch das Umgangsrecht für die drei Söhne. Die Begründung: Die Kinder müssen zum Schutz ihrer jugendlichen Persönlichkeit von der politischen Indoktrination durch die rechtsradikalen Positionen des Vaters ferngehalten werden.
„Ich war damals sehr froh über das Urteil, weil ich glaubte, dass er nun auf legalem Weg nicht mehr an meine neue Identität und unseren Wohnort kommen würde“, sagt Tanja Privenau. Vor allem für die Kinder sei das damals wichtig gewesen, die sich in therapeutischer Behandlung befanden. „Diese Behandlung hat ihnen sehr geholfen, mit ihrer zerrissenen Identität klarzukommen, mit dem Tod ihrer Schwester, mit dem, was sie von ihren großen Geschwistern gehört hatten über die Drohungen damals, und der Gewalt.“
Aber der Vater ging in Berufung. Zuständig für das Verfahren wurde nun der Familiensenat des Oberlandesgerichtes Dresden. „Da hatte ich schon den Eindruck, die behandeln das wie einen ganzen normalen Familienstreit“, sagt Tanja Privenau. „Unsere Bedrohungslage, die Naziszene, in der sich der Privenau bewegt – das hat die Richter gar nicht interessiert.“
Tatsächlich kommt das Gericht in seinem Beschluss, der dieser Zeitung vorliegt, zu der Einschätzung, dass sich „eine konkrete Gefährdung … nicht feststellen“ lasse. Zwar lägen Bewertungen des Landeskriminalamtes Niedersachsen und des Verfassungsschutzes vor, wonach für die Mutter und ihre Kinder „die abstrakte Gefahr bestehe, erheblich erhöhtem körperlichem und seelischem Druck ausgesetzt zu sein“. Auch seien demnach „spontane Einzelhandlungen möglich, um ein Exempel zu statuieren“. An einer aktuellen und konkreten Gefahrenlage habe der Senat aber seine Zweifel, zumal körperliche Übergriffe des Vaters lange zurückliegen, heißt es in dem Beschluss. Auch eine Beeinflussung der Kinder mit rechtsradikalem Gedankengut sei nicht zu erwarten, da zumindest im ersten Jahr die Treffen zwischen Vater und Kindern im Beisein eines sogenannten Umgangspflegers stattfinden werden.
Tanja Privenau sorgt sich nun vor allem aber um die Gesundheit ihrer drei Söhne. „Im Laufe des Verfahrens sind die Jungs von einer Psychologin und dem künftigen Umgangspfleger befragt worden“, erzählt sie. Dabei habe man sie mit ihren alten Namen angesprochen, Fotos für den Vater gemacht, ihnen Briefe von Markus Privenau vorgelesen. „Sie waren völlig verwirrt und aufgewühlt danach, sie bekamen Fieber und waren richtig krank.“
Am 6. Oktober soll es laut dem Gerichtsbeschluss zum ersten Zusammentreffen zwischen den drei Jungen und ihrem Vater kommen. Das soll sich an jedem ersten Sonnabend des Monats wiederholen, jeweils zwei Stunden lang und bis kommenden Juli im Beisein des Umgangspflegers. Danach kann der Neonazi-Vater seine Kinder auch allein treffen. „Spätestens dann kann es ihm gelingen, unsere neue Identität herauszubekommen“, sagt Tanja Privenau. „Dann wissen er und seine Freunde, wo sie uns finden können.“
Doch noch hat die 40-Jährige die Hoffnung, dass ihr „Sicherheitskokon“, wie sie es nennt, nicht zerrissen wird. Ihr Anwalt bereitet eine Verfassungsklage gegen das Dresdner Urteil vor. „Die Sicherheitsbehörden profitieren bis zum heutigen Tage von meinem Wissen und meinen Einschätzungen über die rechtsextreme Szene“, sagt sie. „Da kann ich doch auch erwarten, dass der Staat mich und meine Kinder schützt und uns dabei hilft, ein Leben ohne Angst führen zu können.“
Von Andreas Förster