Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 11.09.2014

Koalitionspoker beginnt an geheimem Ort

 
Dresden. Die CDU sucht einen neuen Regierungspartner, und schon heute wird es ernst. Denn dann starten die Sondierungsgespräche mit den Grünen, morgen sind die Sozialdemokraten an der Reihe. Das heutige Treffen soll in völliger Abgeschiedenheit stattfinden - weder Ort noch Zeit wurden genannt. Das formale Prozedere steht allerdings längst fest: Jeweils fünf Personen stark sind die Delegationen, wenn CDU und Grüne zusammenkommen. Unangefochtener Kopf bei der Union ist Ministerpräsident Stanislaw Tillich, Unterstützung erhält er von Generalsekretär Michael Kretschmer. Vervollständigt wird die Runde durch Fraktionschef Frank Kupfer, den Landwirtschaftsexperten Georg-Ludwig von Breitenbuch sowie Kultusministerin Brunhild Kurth. Denn klar ist: Schulpolitik wird bei den Sondierungen ein zentrales Thema sein.

Bei den Grünen verhandeln die Parteichefs Claudia Maicher und Volkmar Zschocke. Doch auch Noch-Fraktionschefin Antje Hermenau, die Landtagsabgeordnete Eva Jähnigen und der Bundestagsabgeordnete Stephan Kühn sind dabei. Unklar ist, wer letztlich das Sagen hat. Formal ist Zschocke Verhandlungsführer, aber Hermenau dürfte sich intensiv einbringen - im Kampf für ihr Lieblingsprojekt Schwarz-Grün.

Die Delegationsrunden bei den schwarz-­roten Gesprächen bestehen zwar aus sieben Leuten, aber von Breitenbuch muss auf CDU-Seite trotzdem weichen. Stattdessen sitzen die Staatssekretäre Andrea Fischer (Soziales) und Hansjörg König (Finanzen) sowie der Zwickauer Landrat Christoph Scheurer mit am Tisch.

Wie bei der CDU sind auch die Rollen auf SPD-Seite klar verteilt. Chef im Ring ist Martin Dulig, ihm zur Seite steht Generalsekretär Dirk Panter. Mit im Boot bei den Sondierungsgesprächen sind auch die Abgeordneten Eva-Maria Stange, ­Stefan Brangs sowie Ex-Landrätin Petra Köpping. Die kommunale Seite vertreten bei der SPD zwei Oberbürgermeister - Pia Findeiß aus Zwickau sowie der Leipziger Burkhard Jung.

Von Jürgen Kochinke und Kai Kollenberg

Chancen für Schwarz-Grün
Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Schwarzen und Grünen?

Manche Grüne und auch einige aus der Union würden das rundweg bestreiten. Richtig aber ist: So spinnefeind wie noch vor ein paar Jahren sind sich CDU und Grüne längst nicht mehr. Die bisherige Grünen-Fraktionsvorsitzende Antje Hermenau hat sich mit Vehemenz bei den Verhandlungen zur Schuldenbremse eingebracht, was ihrer Partei, vor allem aber ihr selbst Respekt bei der CDU verschafft hat. Beide Parteien haben zuletzt auch betont, dass sie den Kita-Betreuungsschlüssel verbessern und den Stellenabbau bei der Polizei stoppen wollen. Offener Zwist droht hier kaum.

Wo wird es schwierig?

Die Energiepolitik dürfte bei den schwarz-grünen Sondierungen der schwierigste Brocken überhaupt werden. Schließlich gilt die Sachsen-CDU - an erste Stelle Ministerpräsident Stanislaw Tillich - als ausgemachter Braunkohle-Fan. Dagegen wollen die Grünen den Braunkohleausstieg bis spätestens 2030. Zudem ist die grüne Bildungspolitik vielen CDU-Abgeordneten ein Dorn im Auge: Denn hier setzen die Grünen auf Gemeinschaftsschulen von der Einschulung bis zum Abitur. Die CDU dagegen will das mehrgliedrige Schulsystem behalten.

Stimmt es atmosphärisch zwischen den potenziellen Partnern?
 
Naja, beide Seiten bemühen sich. Tillich möchte schon aus taktischen Gründen nicht auf Sondierungen mit den Grünen verzichten. Klares Indiz für diese Lesart: In den vergangenen Tagen haben sich in der Union plötzlich viele Freunde einer schwarz-grünen Ehe gefunden. Die Grünen ihrerseits wollen die Tür zur CDU nicht voreilig zuschlagen: Unterhalten könne man sich ja mal. Die Erwartungshaltung ist aber nicht allzu groß. Die Kontakte zwischen beiden Parteien waren abseits von Hermenaus schwarz-grünen Bemühungen eher sporadischer Natur. Tillich muss den Ökos deswegen etwas Substanzielles bieten, will er mit ihnen in echte Koalitionsverhandlungen eintreten. Ohne einen Kompromiss bei der Braunkohle-Frage geht das kaum.
Wie wahrscheinlich ist Schwarz-Grün?

Tillich hat Druck aus der Bundes-CDU, die nach Hessen gern noch ein zweites schwarz-grünes Bündnis sehen würde. Denn genau das würde den Weg für die Union ebnen für eine weitere Machtoption in Berlin. Deswegen könnte der Ministerpräsident bereit sein, den Grünen ein erhebliches Stück entgegenzukommen. Wie die Öko-Partei sich dann positioniert, ist reichlich unklar. Der Einfluss des linken Flügels ist groß, der die Turteleien mit der CDU für die Wahlschlappe verantwortlich macht. Selbst bei nennenswerten Zugeständnissen ist unsicher, ob die Grünen-Spitze die eigene Truppe von einer Koalition überzeugen kann - zumal ein weiteres Risiko besteht: Ein schwarz-grünes Bündnis hätte nur eine magere Drei-Stimmen-Mehrheit im Landtag.

Chancen für Schwarz-Rot 
Wo liegen die Schnittmengen zwischen CDU und SPD?

Die größte Gemeinsamkeit zwischen Schwarzen und Roten existiert jenseits aller politischen Inhalte: Beide Seite wollen definitiv regieren, unklare Verhältnisse wie bei den Grünen gibt es nicht. CDU-Chef Stanislaw Tillich kennt die SPD intensiv, schließlich haben beide Seiten schon 2004 bis 2009 zusammen regiert. SPD-Chef Martin Dulig hat sich zudem in den letzten Wahlkampfwochen betont staatstragend präsentiert und jede böse Attacke gegen die CDU vermieden. Inhaltliche Schnittmengen gibt es quer durch fast alle Ressorts.

Welche offenen Baustellen könnten Schwarz-Rot gefährden?

Zwar hat Dulig forsch angekündigt, ohne einen verbesserten Kita-Betreuungsschlüssel werde es keine Koalition mit der SPD geben. Doch auch in der CDU gibt es seit langem ähnliche Forderungen. Ein handfester Stolperstein ist dieser Punkt kaum. Zwar sind die Vorstellungen der beiden Parteien in den Bereichen Schule, Wirtschaft und Polizeistellenabbau keineswegs deckungsgleich. Aber auch hier hat Tillich noch vor dem Wahlabend Signale gesendet, dass er hier und da einlenken will. Ein Knackpunkt allerdings bleibt: Dulig will einen Teil jener Milliarden, die die CDU in den 24 Jahren ihrer Regentschaft in Fonds und diversen Sondertöpfen gebunkert hat, in die laufende Gestaltung der Politik stecken. Schließlich sollen bis 2024 jährlich 275 Millionen Euro an Bildungsinvestitionen fließen. Beim Thema Finanzen ist allerdings der CDU-Markenkern betroffen, was einen Kompromiss schwierig macht.

Wie steht's um das Verhältnis der handelnden Personen?

Man kennt sich, zum Teil schätzen sich Christ- und Sozialdemokraten sogar - aber nicht überall. Zwar ist mit SPD-Mann Karl Nolle der härteste Kritiker einer CDU-dominierten Politik aus dem Landtag gegangen, aber noch immer haben nicht wenige Unionschristen erhebliche Probleme mit der SPD-Bildungsfachfrau Eva-Maria Stange. Das rührt noch aus den Jahren der letzten schwarz-roten Koalition und hat sich nachhaltig eingebrannt. Allerdings gilt auch hier: Unüberbrückbar sind die Verwerfungen nicht.

Wie realistisch ist es, dass es zu einem schwarz-roten Bündnis kommt?
Seit vielen Wochen gilt eine CDU/SPD-Koalition als die wahrscheinlichste aller Varianten. Dahinter steht die These: Tillich könnte die Grünen nur nutzen, damit die SPD nicht allzu frech wird - um am Ende doch mit Dulig zu regieren. Die SPD wiederum braucht die Regierungsbeteiligung, damit Frontmann Dulig als Minister bekannt wird und sich so womöglich die eigenen Chancen im Wahljahr 2019 erhöhen. Darüber hinaus votiert auch die Berliner SPD-Spitze für Schwarz-Rot in Sachsen - denn im Bund regiert sie in derselben Formation.