Karl Nolle, MdL
Die Welt, 14.12.2001
Rückhalt für Biedenkopf in der CDU schwindet
Sachsens Ministerpräsident gerät durch neue Vorwürfe immer stärker unter Druck – Nachfolge wird vorbereitet
DRESDEN. - Noch dementiert die sächsische Staatskanzlei hartnäckig. „Dass der Ministerpräsident in Kürze zurücktritt, halte ich für ausgeschlossen", teilt ein Regierungssprecher mit. Genau dieses Szenario aber wird immer wahrscheinlicher. Der Thron des wegen diverser Affären massiv unter Druck geratenen Regenten Kurt Biedenkopf (CDU) wackelt bedenklich.
Dass es für „Biko" eng wird, dämmert inzwischen selbst getreuen Weggefährten wie Fraktionschef Fritz Hähle. „Wir haben eine vernichtende Presselage", soll dieser gestern vor den CDU-Parlamentariern eingeräumt haben. Allen Teilnehmern war klar, wer dafür die Verantwortung trägt: Biedenkopf, der mit ständig neuen Negativschlagzeilen auf sich aufmerksam macht. Sein Rückhalt in Partei und Fraktion schwindet unaufhörlich, berichten Unionskreise. „Wie lange noch?", titelt die „Leipziger Volkszeitung" und spricht damit jene Frage aus, die auch im Regierungslager nicht mehr zu den Tabuthemen zählt.
Biedenkopf ist umstritten wie noch nie. Ein Ton angebender Christdemokrat ist sich sicher: „Wenn jetzt noch etwas kommt, ist es aus." Das könnte schon heute der Fall sein. In einer Aktuellen Stunde muss sich „Biko" auf Antrag der Opposition erneut zur Paunsdorf-Affäre erklären. „Der Ministerpräsident und die Wahrheit" lautet der Titel der Debatte. Kernpunkt ist: Hat der Regierungschef im Zusammenhang mit dem Bau einer Büro- und Einkaufsanlage in Leipzig-Paunsdorf zu Gunsten eines befreundeten Unternehmers Einfluss genommen? Vor einem Untersuchungsausschuss des Landtags hatte der Premier das dementiert. Ein neu aufgetauchter Briefwechsel lässt aber erhebliche Zweifel an dieser Version aufkommen.
„Da gibt es enormen Erklärungsbedarf", meint mit Ex-Innenminister Heinz Eggert sogar ein CDU-Abgeordneter. Da in dem Komplex Landesbehörden zu unüblich guten Mietkonditionen untergebracht worden sind; könnte dem Freistaat womöglich ein Millionenschaden entstanden sein. Der in Erklärungsnot steckende Biedenkopf will selbst ans Rednerpult treten, um die Vorwürfe zu entkräften. Misslingt die Offensive, dürfte die Forderung im CDU-Lager nach einem Rücktritt noch nachdrücklicher werden.
Bereits am Mittwoch hatte die Fraktion ihren Regierungschef unterkühlt behandelt. Dabei war dieser über seinen Schatten gesprungen und hatte persönliches Fehlverhalten eingeräumt. In der letzten Woche kaufte das Ehepaar Biedenkopf bei Ikea ein. Energisch wurde an der Kasse ein Rabatt verlangt, obwohl das Möbelhaus nie Nachlässe gewährt. Das verschüchterte Personal lenkte nach minutenlangem Hickhack ein. Die Entschuldigung Biedenkopfs, ihm tue die Sache Leid, quittierte die Fraktion mit eisigem Schweigen. Ein Teilnehmer „Nicht einmal seine eigenen Minister haben nach der Erklärung geklatscht."
Der peinliche Vorfall mag eine Lappalie sein. Doch er reiht sich - und das macht es politisch anrüchig - in eine lange Kette ein. Schon bei der Putz-, Wohn-, Dienstwagenaffäre im Sommer ist der Eindruck entstanden, die Biedenkopfs würden aus ihrer Prominenz bedenkenlos persönliche Vorteile ziehen. Nun werden dem Sachsenregenten Etiketten wie Rabattkönig" und „Schnorrerkäufer" angehängt, die von einem galoppierenden Autoritätsverfall zeugen.
Die Ikea-Geschichte könnte, so vermutet Eggert, „ein tödliches Grinsen" enthalten. Das gilt umso mehr, als jetzt eine ähnlich gelagerte Shopping-Episode ans Tageslicht gekommen ist. Ingrid Biedenkopf soll nach einem Bericht der „Bild"-Zeitung schon länger bei Karstadt zu Vorzugskonditionen einkaufen. „Das ist so eine Art Großkundenrabatt", räumt die Staatskanzlei ein. Frau Biedenkopf nutze den Nachlass im Kontext ihrer Vereinsaktivitäten. Ob der Vorteil auch privat nutzbringend war, konnte bis Redaktionsschluss nicht beantwortet werden.
Unterdessen wird bei den stark dezimierten, aber unerschütterlichen Biedenkopf-Getreuen auf den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) verwiesen. Gegen ihn seien während der Parteispendenaffäre auch Rücktrittsforderungen erhoben worden: „Und heute wird er in der Union als möglicher Kanzlerkandidat gehandelt." Soll heißen: Mit der Zeit wächst Gras über die Affären. Doch dieses Kalkül könnte sich als falsch erweisen.
Die Fraktion hat ein Verfahren verabredet, das Biedenkopf als eine Demütigung empfinden muss. Wegen dessen anhaltender Affären werden die drei wichtigsten Politiker der Sachsen-Union die Strategie neu abstecken. Dabei geht es ausdrücklich auch um die Frage, ob Biedenkopf sein Amt vorzeitig aufgibt. Neben Biedenkopf und Hähle gehört dem Kreis Sachsens CDU-Chef Georg Milbradt an - den Biedenkopf im Frühjahr als Finanzminister entlassen hatte, der aber als klarer Favorit für das Amt des Ministerpräsidenten gilt. Ausgerechnet mit Milbradt muss sich Biedenkopf nun an einen Tisch setzen und über das Ende seiner politischen Karriere sprechen. „Der Ministerpräsident ist nicht mehr zu halten", meint ein einflussreicher Parteimann und fügt hinzu, „jetzt geht es in die heiße Phase der Übergabeverhandlungen."
(Uwe Müller)