Karl Nolle, MdL

AP-Presseagentur 18:18 Uhr, 24.11.2000

+++Sächsischer SPD-Abgeordneter attackiert Biedenkopf

Verweis auf «nationalsozialistische Familientradition»
 
Halle (AP) Wegen des mutmaßlich rassistischen Mordes an dem sechsjährigen Joseph hat der sächsische SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle schwere Vorwürfe gegen die Landesregierung erhoben und Ministerpräsident Kurt Biedenkopf persönlich scharf angegriffen. Die Regierung in Dresden rede den Rechtsextremismus klein, sagte Nolle am Freitag im NachrichtenRadio MDR info. Er hoffe, dies habe nichts mit der nationalsozialistischen Vergangenheit von Biedenkopfs Familie zu tun. Ein Regierungssprecher nannte dies ungeheuerlich.

Der wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion warf der Regierung Verharmlosung der rechtsextremistischen Gewalt vor:
«Ich hoffe auch, dass diese fragwürdige Zurückhaltung, die hier stattfindet, was die Rechtsradikalität angeht, nichts mit der eigenen nationalsozialistischen Familientradition von Kurt und Ingrid Biedenkopf zu tun hat, die ja selber in ihrer Familie dort tief verstrickt waren. Sie selber nicht, aber ihre Eltern. Und ich denke, dass das erst Recht Anlass geben müsste für den Ministerpräsidenten, sich hier ganz entschieden auf die Seite derjenigen zu stellen, die gegen diese Rechtsradikalität vorgehen.» (...)

Nolle regte eine Sondersitzung des Rechtsausschusses des Landtages an, bei der es auch um personelle Konsequenzen gehen müsse. Die polizeilichen Erkenntnisse über paramilitärische Übungen in der sächsischen Schweiz seien eklatant und würden ständig verharmlost. «Das ist von oben gewollt, dass das nicht an die Öffentlichkeit dringen soll und dass das angeblich kein Problem in Sachsen ist.»

Im Zusammenhang mit dem Fall in Sebnitz machte Nolle darauf aufmerksam, dass der inzwischen verstorbenen SPD-Landtagsabgeordnete Joachim Richter schon 1998 einen Brief an die Staatsregierung geschrieben habe. Darin habe er informiert, dass es Anhaltspunkte gebe, wonach der Junge nicht eines natürlichen Todes gestorben sei.

Kommentar
Die vollständige Mitschrift meines Life-Interviews vom 24.11.00, 12:02 Uhr, im Nachrichtenradio MDR info liegt hier (siehe zweite Meldung vom 24.11.00) vor. Die sehr betroffen machenden Bezüge zur NS-Zeit werden in Kürze, mit weiteren Quellen untersetzt und hier dokumentiert. Vorab zwei Quellen zu Wilhelm Biedenkopf (Vater) und Fritz Ries (Schwiegervater): Engelmann, Großes Verdienstkreuz, STEIDL 1998 und Schwarzbuch Helmut Kohl, STEIDEL 2000. Beide Taschenbücher sind im Buchhandel seit 1987! bzw. 1994! erhältlich. (Arisierungskäufe von jüdischen Unternehmen, tausende von Zwangsarbeiter/innen arbeiteten für Fritz Ries)


Die Geschichte mit Joseph war für mich, zum Zeitpunkt des Interviews, die emotionale Spitze einer Serie von rechtsradikalen und rechtsterroristischen Übergriffen, Straftaten und polizeilichen Erkenntnissen der letzten Monate, die in auffälliger Form von der Staatsregierung verharmlost und kleingeredet wurden.

Es muss gefragt und aufgeklärt werden, ob es möglicherweise dieselbe Haltung war, die MP Biedenkopf zu seiner unsäglichen Äußerung über bisher in Sachsen angeblich noch nicht Vorgekommenes (Tote und Häuserbrände) veranlasste und die den Ermittlungseifer und die Ermittlungsphantasie von Polizei und Staatsanwaltschaft lahmlegte. Die Haltung nämlich, dass das Problem in Sachsen einfach nicht sein darf.

Die Staatsregierung hat in Sachen Rechtsradikalität und Fremdenhass nicht genug getan. Zu wenige Lehrer können sich glaubhaft zu Demokratie, Rechtsstaat und Toleranz bekennen. Und von Engagierten in der Jugendarbeit ist zu hören, dass Jugendliche, die als Nicht-Rechte in sächsische Justizvollzugsanstalten kommen, nicht selten mit rechtsradikaler Haltung den Knast wieder verlassen, weil drinnen die Rechten (wohl Häftlinge) das Regiment führen.
KARL NOLLE

Hier einige Presseerklärungen der SPD-Landtagsfraktion zu dem Thema:

SPD-Landtagsfraktion
Pressemitteilung

Bereich: Ausländer- und Asylangelegenheiten
Stichwort: Jurk zu Biko-Interview
Autor: Thomas Jurk
Datum: 28.09.00
Nummer: 306

Ministerpräsident vergisst Opfer rechter Gewalt
Jurk: Biedenkopf leidet unter deutlichem Realitätsverlust


Dresden. „Entsetzt“ zeigte sich heute der Fraktionschef der SPD-Landtagsfraktion, Thomas Jurk, über den „immer deutlicher werdenden Realitätsverlust des Ministerpräsidenten.“ Biedenkopf wird heute in der Sächsischen Zeitung in einem Interview zum Rechtsradikalismus mit dem Satz zitiert „In Sachsen haben noch keine Häuser gebrannt, es ist auch noch niemand umgekommen.“ „Weiß Biedenkopf wirklich nichts von Jorge Gomondai und den anderen Fällen, in denen in Sachsen Menschen durch Rechtsradikale zu Tode gekommen sind“ fragt Jurk, „oder verdrängt er die Fakten bewusst?“ Insgesamt seien es, so die Fakten, die die Frankfurter Rundschau veröffentlicht hat, sieben Todesfälle durch Rechtsradikale Aktionen alleine in Sachsen gewesen: Mike Zerna (Hoyerswerda, 19.2.93); 5/94: namentlich nicht aufgeführter 43jähriger Leipziger; Achmed Bachir (Leipzig, 23.10.96); Bernd G. (Leipzig); Bundeswehrsoldat an sächsischem Stausee (Mai 95); Nuno Lorenzo (Leipzig, Juli 98). Vom „scheinbaren Rechtsextremismus“ zu sprechen sei eine unglaubliche Verharmlosung der Situation. Sachsen grundsätzlich als immun gegenüber der rechten Gefahr zu bezeichnen, heiße nicht mehr und nicht weniger, als völlig zu ignorieren, was in manchen Orten des Freistaates wirkllich los sei. Grundsätzlich positiv stehe, so Jurk, die SPD der angekündigten Erweiterung des Zivilrechts gegen Rechts, die Biedenkopf vorschlägt, gegenüber. Nur: „Wie lange soll der Gesetzentwurf noch angekündigt werden? Wir würden ihn jetzt ganz gerne ganz schnell im Landtag sehen.“


SPD-Landtagsfraktion
Pressemitteilung

Bereich: Innenpolitik
Stichwort: Rechtsextreme Straftaten
Autor: Hanjo Lucassen
weitere Autoren:
Datum: 21.11.00
Nummer: 366

Deutlich mehr Ermittlungsverfahren als 1999
Lucassen: Rechtsextremismus in Sachsen nicht verharmlosen


Dresden. Im Freistaat Sachsen gibt es eine starke Zunahme der Ermittlungsverfahren infolge rechtsextremer Straftaten. Allein in den ersten drei Quartalen des Jahres 2000 wurden mehr Ermittlungsverfahren eingeleitet als im gesamten Jahr 1999. Das geht aus der Antwort des sächsischen Justizministeriums zu einer Kleinen Anfrage hervor, die der sächsische SPD-Landtagsabgeordnete Hanjo Lucassen gestellt hatte. Für Lucassen haben die Zahlen vor allem zwei Hintergründe. „Einerseits gibt es nach wie vor eine hohe Zahl von Straftaten mit rechtsextremen Hintergrund. Eine Entwarnung darf es da nicht geben. Andererseits werden auch mehr strafbare Handlungen von den Bürgern zur Anzeige gebracht. Couragiertes Verhalten von Bürgerinnen und Bürgern wird dadurch deutlich, dass sie rechtsextreme Straftaten nicht dulden“ sagte Lucassen. Er warnte die Staatsregierung vor einer Verharmlosung der rechtsextremen Gewalt. Erst in der letzten Landtagssitzung hatte Innenminister Hardraht das Bild eines Freistaats skizziert, welcher im Gegensatz zur restlichen Bundesrepublik rückläufige rechtsextreme Vorfälle zu verzeichnen habe. „Die neuen Zahlen sprechen eine andere Sprache“, betonte Lucassen. Der SPD-Landtagsabgeordnete wies darauf hin, dass es auch einen Zuwachs von gewaltbereiten, rechtsextremen Skinheads in Sachsen gab. Von 1998 zu 1999 erhöhte sich deren Zahl von 900 auf 1.100 Personen. „Ein hoher Verfolgungsdruck der Polizei verbunden mit gelebter Zivilcourage von Bürgerinnen und Bürgern ist daher dringend notwendig zur Bekämpfung des Rechtsextremismus in Sachsen“, sagte Lucassen.


SPD-Landtagsfraktion
Pressemitteilung

Bereich: Innenpolitik
Stichwort: Verbot der SSS
Autor: Peter Adler
weitere Autoren:
Datum: 09.11.00
Nummer: 345

Adler: Innenminister muss sofort handeln
Sachsens SPD fordert Verbot der rechtsradikalen SSS


Dresden. Ein sofortiges Verbot der vereinsähnlichen, rechtsradikalen Organisation „Skinheads Sächsische Schweiz“ (SSS) forderte heute der Innenpolitische Sprecher der sächsischen SPD-Landtagsfraktion Peter Adler. Anders als bei Parteien ist bei Vereinen und vereinsähnlichen Organisationen der Innenminister für ein Verbot zuständig. „Wenn Minister Hardraht es mit seiner Unterstützung eines NPD-Verbotes ernst meint, dann muss er jetzt gemeinsam mit dem Justizminister auch handeln und die SSS sofort verbieten“, meinte Adler. Der Verfassungsschutz hatte zur SSS befunden, es handele sich um eine rechtsextreme „militärisch-nationalistische Vereinigung“ mit streng hierarchischem Aufbau. Der SSS gehören nach dem Bericht 100 Mitglieder und 200 Sympathisanten an. Es handele sich bei der SSS um die quantitativ stärkste Skinhead-Organisation im Freistaat.